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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.3 vom 03.02.2000, Seite 16

USA

Boomende Knastindustrie

Der Fall des schwarzen Journalisten Mumia Abu Jamal hat das Vollzugssystem der USA und die dort in vielen Bundesstaaten angewendete Todesstrafe wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Doch die USA sind nicht nur für die Praxis der Todesstrafe berüchtigt. In keiner anderen führenden Wirtschaftsnation sitzen proportional zur Bevölkerung so viele Menschen im Gefängnis. Seit 1980 hat sich die Anzahl der Gefängnisinsassen mehr als verdreifacht: fast zwei Millionen, von denen nur ca. 30% eine weiße Hautfarbe haben, sitzen in einer der lokalen Haftanstalten, in den Staats- oder Bundesgefängnissen. In den USA kommen auf 100.000 Einwohner mehr als 600 Inhaftierte, in Europa sind es nicht einmal hundert Gefängnisinsassen. "Während Verurteilungen und Arreste beständig ansteigen, können aus der Kriminalität Profite gezogen werden. Steigen Sie ein in diese boomende Branche!", wirbt die World Research Group, eine New Yorker Investmentfirma.

Wackenhut Corrections Cooperations ist ein "industriell führendes Unternehmen und ein Pionier in der Privatisierung von Strafvollzugseinrichtungen auf der ganzen Welt", so die Eigenwerbung des zweitgrößten Unternehmens dieser Branche. Die Umsätze des Sicherheits- und Bestrafungsunternehmens sind beachtlich, im Vergleich zum Vorjahr sind die Einnahmen 1999 um knapp 100 Millionen Dollar auf 315 Millionen gestiegen. Das renommierte Wirtschaftsinstitut Forbes wertet Wackenhut als eines der lukrativsten mittelständischen Unternehmen in den USA. Insgesamt machen die drei größten Unternehmen der Branche, die mittlerweile fast 10% der US-Haftplätze unter Vertrag haben, mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz jährlich. Expertenschätzungen gehen davon aus, dass innerhalb weniger Jahre schon ein Fünftel der Haftplätze in privater Hand sein werden.
Vor Wackenhut rangiert die Corrections Cooperations of America aus Nashville, an dritter Stelle folgt Esmor, ein Unternehmen, das erst seit wenigen Jahren im Geschäft ist, aber schon jetzt mehr als zehn Strafvollzugs- und Arresteinrichtungen unterhält. Alle drei sind Global Players und operieren in Australien, England und Puerto Rico. Wackenhut steigt nun auch mit einem 1524-Betten-Knast in Südafrika, dem Land mit der weltweit höchsten Kriminalitätsrate, ins Geschäft ein.
Formal geht es den privaten ebenso wie den staatlichen Betreibern um "Resozialisierung". Die Praxis hat jedoch wenig mit diesem wohlfahrtsstaatlichen Modell aus den 70er Jahren gemein. Damals ging es darum, Straffällige wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Resozialisierung war eine repressive Methode mit menschlichem Antlitz, die nicht an den Gesellschaftsstrukturen, sondern an den angeblichen "Defiziten" des straffälligen Individuums ansetzte. Reine Verwahrungsanstalten waren zu dieser Zeit verpönt. Die erfreuen sich nun einer Renaissance, denn heute steht in den USA wie auch in anderen Ländern die Kostenkalkulation und die wirtschaftliche Rentabilität für öffentliche und private Dienstleister im Bestrafungsgewerbe an erster Stelle. Das Individuum und seine vergleichsweise kostenintensive, nach Ansicht der Unternehmer auch wenig profitträchtige "Resozialisierung" verliert zunehmend an Bedeutung.
Politische Entscheidungsträger profitieren außerdem von der Bereinigung der Arbeitslosenstatistik durch die Masseninhaftierungen. Experten gehen davon aus, dass die US-Statistik im Verlauf der 90er Jahre um 2% gesenkt werden konnte.

Bestrafungsindustrieller Komplex

In Anlehnung an den "militärisch- industriellen Komplex" bezeichnen Kritiker und Kriminologen die neuen Entwicklungen im Vollzugsbereich als "Bestrafungsindustriellen Komplex". In den Vorständen der Konzerne sitzen einflussreiche Politiker, und die neue Branche entwickelt sich in dem Maße, wie soziale Leistungen abgebaut und Löhne gesenkt werden.
Die Privatisierung der Haftanstalten verkörpert wie kaum ein anderer Bereich die neuen gesellschaftlichen Trends. Den Mangel an sozialem Schutz ersetzten die politischen und administrativen Institutionen durch vermehrte polizeiliche und strafrechtliche Kampagnen und Maßnahmen. Das entspricht durchaus dem Anliegen der privaten Knastindustrie, die natürlich sicher gehen muss, nicht nur neue Komplexe zu bauen, sondern die Zellen auch zu füllen. Erste Analysen von Marktexperten haben ergeben, dass ab einer Belegungsrate von 90-95% Gewinne garantiert werden können. Dafür haben viele der US-Bundesstaaten, die mit weitreichenden Gesetzgebungskompetenzen ausgestattet sind, schon längst gesorgt. Ein großer Teil der Gefängnisinsassen ist wegen Verstößen gegen eines der zahlreichen Drogengesetze verurteilt worden. In Kalifornien trägt die Regelung "Three strikes" dazu bei, dass die Haftanstalten gefüllt werden: bei drei Gesetzesverstössen gibt es lebenslänglich.
Doch die Belegungsrate allein reicht nicht aus. Die Privaten und ihre politischen Fürsprecher werben damit, kostengünstiger als die staatlichen Einrichtungen zu arbeiten und bieten zum Teil ein umfassendes Strafvollzugsprogramm an. Wackenhut baut etwa nicht nur private Knäste, sondern stellt auch die Lebensmittelversorgung, den Gesundheitsdienst, das Sicherheitspersonal und ist für die Durchführung von "Rehabilitationsprogrammen" verantwortlich. Damit ist es in der Praxis nicht weit her. In New Mexiko betreibt Wackenhut zwei Gefängnisse, in denen das Unternehmen nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Corporate Watch fast keine Bildungsmaßnahmen oder Jobtrainings durchführt. In der Bibliothek gebe es kaum Bücher. Dabei bezahle der Bundesstaat Wackenhut für diese Dienstleistungen, so Corporate Watch. Zu Wackenhuts Unternehmensphilosophie gehört es außerdem, die Räume der Gefangenen in kleine, käfigähnliche Zellen aufzuteilen und die Zeit der Umschlüsse, in denen sich die Gefangenen auch außerhalb ihrer Zelle bewegen können, möglichst gering zu halten. Das spart Personal.
Im Sommer des vergangenen Jahres musste Wackenhut in New Mexico die Erfahrung machen, dass die Stimmung in den seit knapp einem Jahr eröffneten Knästen explosiv geworden war. Es gab mehrere Aufstände und zahlreiche Morde in den Wackenhut-Haftanstalten. Es traf auch auch einen der untertariflich bezahlten Wackenhut- Aufseher, der ganz allein 60 Insassen auf Umschluss beaufsichtigte, als ein Aufstand losbrach. In den staatlichen Gefängnissen wäre das undenkbar gewesen, denn dort müssen mindestens zwei Aufseher gemeinsam die Umschlüsse beaufsichtigen. Das war der erste tote Aufseher, den es seit 17 Jahren in New Mexico gegeben hatte. Die untertariflichen und schlechten Arbeitsbedingungen bei Wackenhut haben dem Unternehmen beim Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO den Ruf eingebracht, "eine der gewerkschaftsfeindlichsten Firmen der Nation" zu sein.
Doch am meisten trifft es die Insassen selbst. Das schlecht ausgebildete Personal ist häufig überfordert. Berichte von Übergriffen gegen Gefangene nehmen zu. Auch bei der Gesundheitsversorgung sparen die Unternehmen, die für die komplette Versorgung der Gefangenen einen fixen Preis bekommen, an allen Ecken und Enden. Gefängnisärzte setzen wichtige Medikamente ab und behaupten mit Regelmäßigkeit, dass Patienten simulieren würden, wenn sie über Beschwerden klagen. Auch straffällige Jugendliche sind von den Privatisierungen nicht ausgenommen. Corrections Cooperations of America und Wackenhut unterhalten jeweils sieben private Jugendhaftanstalten. Auch hier ist die Tendenz steigend, denn viele Verwaltungen sehen in der wachsenden Anzahl von straffällig gewordenen Jugendlichen vor allem einen Kostenfaktor, den es zu reduzieren gilt.
Fachautoren wie Christian Parenti, Autor des im letzten Jahr erschienen Buchs Lockdown America: Police and Prisons in the Age of Crisis, zweifeln an der These der Kostenersparnis für die Steuerzahler. "Während private Gefängnisse sehr profitabel sind, reduzieren sie jedoch nicht die Kosten der Inhaftierungen für die Bundesregierungen", so Parenti.
Neben den Unternehmen selbst profitieren auch renommierte Bankenhäuser wie Goldman Sachs und Merrill Lynch, die jährlich 2-3 Milliarden Dollar mit Investmentfonds für den Neubau privater Haftanstalten umsetzen. Die Konzerne American Express und General Electric sind bereits als millionenschwere Investoren von privaten Gefängnissen in Oklahoma und Tennessee aufgetreten. Telekommunikationsunternehmen wie AT&T, Sprint und MCI buhlen um Excluxivverträge und verlangen von den Gefängnisinsassen das sechsfache des üblichen Preises für ein Ferngespräch.

Neue Zwangsarbeit

"Gefängnisse in Virginia sind offen für die Wirtschaft", so eine Werbebroschüre des Bundesstaats. Die Gefangenen seien "willige und erfahrene Arbeiter, die weder Betriebsrenten, noch Gesundheitsversicherungen oder Urlaub beanspruchen", heißt es dort weiter. Einer der lukrativsten Aspekte, der nicht nur in privaten, sondern auch in staatlichen Haftanstalten mittlerweile zur Praxis gehört, ist der Verkauf der Arbeitskraft der Gefängnisinsassen. Ähnlich wie bei dem Wechsel vom Wohlfahrtsstaat zum System des "workfare" sollen nun auch die Inhaftierten für ihre eigenen Haftkosten aufkommen. Zu diesem Zweck haben Unternehmen wie Microsoft, Boeing, TWA und zahlreiche Textilfirmen Verträge mit den Bundesstaaten abgeschlossen, um in den Haftanstalten Betriebe einrichten zu können.
Nachdem die Unternehmenspraxis in sog. freien Produktionszonen in Ländern der Dritten Welt zunehmend auf eine kritische Öffentlichkeit stößt, gehen immer mehr Konzerne dazu über, die Vorteile der Arbeit in heimischen Gefängnissen zu nutzen. MicroJet, ein Boeing-Tochterunternehmen, lässt z.B. in einem Gefängnis im Bundesstaat Washington Zulieferteile für den Flugzeugbau herstellen. Die Beschäftigten erhalten dort den Mindestlohn von nicht einmal 5 Dollar je Stunde mit der Option auf eine Lohnerhöhung auf 7 Dollar. Für dieselbe Arbeit auf dem freien Markt müsste Boeing bis zu 30 Dollar je Stunde zahlen. Wie alle anderen Unternehmen, die von der Arbeit in den Knästen profitieren, spart Boeing auch sämtliche Versicherungskosten und muss außerdem nicht für Betriebsunfälle aufkommen, die vom Staat bzw. den privaten Betreibern von Haftanstalten gezahlt werden. Zudem sind die Arbeitskräfte in den Gefängnissen ideal für eine "Just-in-time"-Produktion. Gibt es einmal Leerlauf, bleiben die Häftlinge einfach in ihren Zellen.
Selbst wenn einige der Beschäftigten 7 Dollar verdienen, unter dem Strich bleibt davon wenig übrig. 20% werden pauschal für die Haftkosten abgezogen, 10% gehen auf ein Treuhänderkonto des Justizministeriums, 5% an Programme für die Unterstützung von Kriminalitätsopfern. Hinzu kommen Steuern und Abgaben für die Sozialversicherungen sowie zahlreiche Gebühren. Den Gefangenen bleibt etwa ein Viertel des Mindestlohns. In Washington müssen sie davon auch noch Gebühren für Fernsehen und Familienbesuche zahlen. Essen, Bekleidung und Unterkunft werden zwar gestellt, doch Seife und Zahnbürste müssen ebenso wie Medikamentengebühren bezahlt werden.
Trotz der billigen Arbeitskräfte sind die Gefängnisse derart überfüllt, dass es dort eine "Erwerbslosenquote" von über 50% gibt. Die Unternehmen bevorzugen Gefangene mit längeren Haftstrafen, die wegen Betrug, Entführung oder Drogenschmuggel sitzen. Sie seien in der Regel intelligenter und verhinderten einen häufigen Wechsel am Arbeitsplatz, so die Unternehmer. "Diese Arbeiter sind zufrieden mit ihrer Bezahlung, kommen nicht zu spät wegen der Rush Hour oder kranken Kindern, die sie zu Hause versorgen müssen. Sie nehmen auch keinen Urlaub. Wohin sollten diese Kerle schon in Urlaub fahren?", fragt Bert Atwater, der in einem Washingtoner Gefängnis Karabinerhaken herstellen lässt.
Obwohl die Billigarbeit in den Knästen eine direkte Lohnkonkurrenz für die Arbeit auf dem "freien" Markt darstellt, sprechen sich viele innerhalb und außerhalb der Knäste dafür aus. Gefangene finanzieren sich mit dem geringen Geld, das ihnen übrigbleibt, die wenigen Annehmlichkeiten wie Tabak, Süßigkeiten und Kaffee. Einige von ihnen sparen sich das Honorar für einen Anwalt zusammen, der ihr Verfahren noch einmal neu aufrollen soll. Andere sind stolz darauf, ihre Familien wenigstens mit etwas Geld unterstützen zu können.
Bei einer Volksbefragung zur Verfassungsänderung im Bundesstaat Oregon stimmten 1995 über 70% für einen unentgeltlichen Arbeitszwang von Inhaftierten. Das brachte gleich zwei Probleme mit sich: der Handel von unentgeltlich hergestellten Produkten über die Grenzen des Bundesstaats hinweg ist nicht möglich und einige Gefangene wollten ihr "Recht auf Arbeit" einklagen. Um beide Probleme zu umgehen, gab es 1997 eine neue Abstimmung, die für die arbeitenden Gefangenen "Bonuspunkte" vorsieht, die sie einmal im Monat für den Einkauf im gefängniseigenen Kiosk gutgeschrieben bekommen. 91% der Wahlberechtigten in Oregon - Gefangene dürfen nicht wählen - stimmten für die neue Regelung. Das zuständige Ministerium, das Department of Corrections (DOC), plant ein Milliardenprogramm für den Neubau von sieben Haftanstalten mit Unternehmensanbindung.
Auch in Texas erhalten Gefangene für ihre Arbeit nicht einmal den Mindestlohn. Dort hat sich eine Gewerkschaft der Gefängnisarbeiter gegründet, die sich für ein Wahlrecht der Gefangenen und Mindestlohn für alle in Texas Inhaftierten, die einer Arbeit nachgehen, einsetzt.
Das sind erste Ansätze, sich gegen die neue Form der Zwangsarbeit zur Wehr zu setzen. Ende des 19.Jahrhunderts waren private Gefängnisse schon einmal ins Visier der öffentlichen Kritik geraten. Auf dem Höhepunkt der Proteste, 1891, stürmten verärgerte Minenarbeiter mehrere Gefängnisse in Tennesee und befreiten 400 Gefangene. Diese Gefängnisse hatten ihre Insassen an die Tennessee Coal, Iron and Railroad Company ausgeliehen, die daraufhin alle gewerkschaftlich organisierten Arbeiter fristlos entlassen hatte. Anschließend ging die Anzahl der aus Gefängnissen "geleasten" Arbeitskräfte nicht nur in Tennessee langsam zurück. 1935 beendete die Ära des New Deal vorläufig die private Ausbeutung von Gefängnisarbeit in den USA. Mit der neoliberalen Politik genehmigte 1979 der US-Kongress sieben Pilotprojekte privatwirtschaftlicher Nutzung von Arbeitskräften in Gefängnissen, die 1990 auf fünfzig erweitert wurden und heute eine halbe Million Menschen umfassen.
In der Zeitschrift North Coast Xpress wirft Dan Pens die Frage auf, wer von dieser neuen Entwicklung betroffen ist. "Die Aktionäre von Microsoft, US West, Costco und United Van Lines werden mit dem Arrangement zufrieden sein. Aber erwerbslose Schweißer, Telefonisten und Metallarbeiter werden das anders sehen. Spätestens wenn sie realisieren, dass der einzige Weg zu einer bezahlten Arbeit der Weg in den Knast ist."
Gerhard Klas


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