Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 2

Großdemonstration gegen UNAM-Räumung

Mexiko

Zehntausende Studenten, unterstützt von Oppositionspolitikern und Gewerkschaftern, demonstrierten am 9.Februar gegen die polizeiliche Räumung der staatlichen Universität Mexikos (UNAM) und für die Freilassung ihrer inhaftierten Kommilitonen. Schätzungen sprechen von bis zu 150000 Teilnehmern, die vor den Regierungspalast im Stadtzentrum von Mexiko-Stadt zogen. Die Studentenbewegung zeigte damit, dass sie sich nach ihrer Niederlage auf dem Campus keineswegs geschlagen gibt.
Bereits am Dienstag hatten sich mehr als 800 UNAM-Studierende in der UAM, einer anderen staatlichen Hauptstadt-Universität, versammelt und verkündet, der Streik werde fortgesetzt. Die inhaftierten Studierenden sind für sie "politische Gefangene". Studenten mehrerer Universitäten traten in eintägige Solidaritätsstreiks und kündigten weitere Aktionen an.
Am Sonntag hatte die Polizei auf Geheiß von Präsident Ernesto Zedillo den seit fast zehn Monaten von streikenden Studierenden besetzten UNAM-Campus geräumt und hunderte Aktivisten festgenommen. Mit ihrem Streik protestierten die Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren und Einschnitte in die Uni- Autonomie.
Die Studenten erfahren Unterstützung und Verständnis in einem Ausmaß, das sie während ihres Streiks wohl nur ganz zu Anfang hatten. Für die "sofortige Freilassung" aller Studenten hat sich der Präsidentschaftskandidat Cuauhtémoc Cárdenas von der gemäßigt linken PRD ausgesprochen. López Obrador, PRD-Bürgermeisterkandidat für die Hauptstadt, rief persönlich zur Mittwochsdemonstration auf.
Doch die PRD steckt in einem Dilemma: Einerseits macht die Regierung die PRD immer wieder für den Streik verantwortlich, andererseits hat die große Mehrheit der Streikenden die unklare Haltung der PRD zum Uni-Streik scharf kritisiert.
Ein gespaltenes Verhalten zum Streik hatten auch die linksliberalen Intellektuellen, deren Ratschläge vom Obersten Streikrat der Studenten kaum zur Kenntnis genommen wurden. Das führte dazu, dass viele Persönlichkeiten sich wenige Tage vor der Räumung hinter den UNAM-Rektor de la Fuente stellten. Nun müssen sie sich fragen lassen, ob sie sich nicht naiverweise vor den Regierungskarren spannen ließen und der polizeilichen Lösung, die sie jetzt verdammen, den Weg bereiteten. PRD-Mitglieder wie der Historiker Adolfo Gilly sind heute überzeugt, dass die Regierung nur auf Zeit spielte, aber nie ernsthaft mit den Studenten verhandeln wollte.
Unklar ist noch, wie die Regierung weiter verfahren will. Der ehemalige Innenminister und jetzige Präsidentschaftskandidat der regierenden PRI, Francisco Labastida Ochoa, verlangt plötzlich eine "generöse Versöhnung". Doch sein Amtsnachfolger Diodoro Carrasco lehnt eine Amnestie für die Studierenden ab. 269 von ursprünglich über 800 Festgenommenen sitzen noch in verschiedenen Gefängnissen. Gegen 85 von ihnen ist inzwischen sogar Anklage wegen "Terrorismus" erhoben worden. Viele Studenten sind derzeit untergetaucht, über 400 Haftbefehle sollen nicht vollstreckt worden sein.
Eine harte Linie wird von den Unternehmerverbänden, der katholischen Kirchenhierarchie und einigen Politikern der konservativen Oppositionspartei PAN gefordert. Die großen privaten Fernsehsender TV Azteca und Televisa unterstützen mit ihren Kommentaren und selektiven Informationen diesen Kurs. Sie haben in diesen Tagen Ruhe und Ordnung als oberste Staatsräson entdeckt.
In einigen Äußerungen kommt auch die Befürchtung zum Ausdruck, die Regierung könne noch vor den Präsidentschaftswahlen im Juli dieses Jahres versuchen, den Aufstand der zapatistischen Guerilla im Bundesstaat Chiapas niederzuschlagen. Der amtierende Präsident Zedillo äußerte sich vor kurzem offen verächtlich über die Zapatisten und zeigte kein Interesse mehr an der Neuaufnahme von Verhandlungen. Da es in vergangenen Jahren durchaus üblich war, dass der scheidende Amtsinhaber seinem wahrscheinlichen Nachfolger aus der eigenen Partei unangenehme imageschädigende Aufgaben abnimmt, ist die Argumentation nicht aus der Luft gegriffen.
Gerold Schmidt (Mexiko-Stadt)


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