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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 4

Wanderkirchenasyl

Teil einer sozialen Bewegung

Anlässlich des zweijährigen Jubiläums des Wanderkirchenasyls hatte am 4.Februar das Kölner Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" zur offenen Podiumsdiskussion eingeladen. Mit etwas mehr als hundert Besuchern fanden weniger als von den Veranstaltern erwartet den Weg in das in das Bürgerzentrum "Alte Feuerwache".
Zu Hoch-Zeiten hielten sich 450 kurdische Flüchtlinge in rund hundert evangelischen und katholischen Kirchengemeinden in Nordrhein-Westfalen auf. Gemeinsam mit den Kirchengemeinden und den Gruppen der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" kämpften sie für ihr Aufenthaltsrecht.
Eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten konnte in den vergangenen Jahren jedoch nicht gefunden werden. Heute harren noch immer 200 in den Kirchengemeinden und wissen nicht, ob sie nicht auch eines Tages Opfer einer "aufenthaltsbeendenden Maßnahme" werden. Erst vor wenigen Wochen wurde Yusuf Demir, der sich im Wanderkirchenasyl befand, in die Türkei abgeschoben, dort umgehend festgenommen, drei Tage lang unter Schlägen verhört.
"Die politische Situation im Land zu verändern war eine entscheidende Motivation, diese Aktion durchzuführen", erklärte rückblickend der Kölner Pfarrer Theo Göbel. "Wir haben es nicht geschafft, das Asylrecht zu verändern", führt Göbel, in dessen Gemeinde eine Flüchtlingsgruppe untergebracht ist, weiter aus. Stattdessen seien die Unterstützer weniger geworden und "die Kräfte erschöpft. Wir konnten einzelnen helfen und Schutz gewähren, auch etwas politisches Bewusstsein erzeugen." Eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung hat es nur für die wenigsten Kurdinnen und Kurden aus dem Wanderkirchenasyl gegeben.
Mehrere Teilnehmer betonten die Bedeutung des Regierungswechsels für das Wanderkirchenasyl. Nach der Bundestagswahl hätte die sozialdemokratisch-grüne Landesregierung deutlich signalisiert, dass "diese Aktion nun zu beenden sei", erklärt eine Kölner Unterstützerin. Andere Organisationen verhielten sich ähnlich.
"Pro Asyl hat uns vor der Bundestagswahl, auf dem Höhepunkt auch unseres publizistischen Erfolgs, unterstützt. Heute wollen sie nichts mehr mit uns zu tun haben", erklärt Mercedes Pasqual, eine Mitstreiterin der ersten Stunde. Als weiteres Problem benannten einige die Tendenz der neuen Bundesregierung, im Hinblick auf den in Aussicht gestellten EU-Beitritt die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei "entsorgen" zu wollen.
Bei der heterogenen Zusammensetzung des Wanderkirchenasyls, "den drei K: Kurden, Kirche und Kampagne", lag es auf der Hand, dass auch das eigene Vorgehen und die Konflikte untereinander einer kritischen Betrachtung unterzogen wurden. Fast einhellig schätzten die Anwesenden ihr Einlassen auf das Angebot der Landesregierung, "Einzelfalllösungen" herbeizuführen, als Fehler ein. Die Orientierung auf die Einzelfälle hätte letztendlich nur für wenige zum dauerhaften Aufenthalt und für das Wanderkirchenasyl insgesamt zur Aufgabe der politischen Ziele geführt.
Während eine Sprecherin der Bielefelder Kampagne die Bedeutung der "Selbstorganisation der Flüchtlinge" hervorhob und sowohl der Kampagne als auch den Kirchengemeinden "paternalistisches Verhalten" vorwarf, lenkte Hasan Kandemir, ein Flüchtling aus dem Wanderkirchenasyl, das Augenmerk zunächst auf die Sprachbarriere und den Generationskonflikt innerhalb der kurdischen Flüchtlingsgruppen.
Doch gewichtiger bei der kritischen Analyse ist für ihn die Fixierung auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Nach Ansicht Kandemirs sollte der Kampf um ein Bleiberecht vielmehr gemeinsam mit Flüchtlingen aus anderen Ländern geführt werden. Einige stellten die Frage nach weiteren Bündnispartnern.
Dafür müsse es allerdings gelingen, "von der Ein-Punkt- Bewegung wegzukommen und sich als selbstverständlicher Teil der sozialen Bewegung zu verstehen", so Monika Becker, eine Unterstützerin aus Bielefeld. Als ersten Schritt müsse man aus der "Schwäche der vergangenen Jahre lernen und fortan nicht mehr nur mit politischen Fluchtgründen argumentieren, sondern Armutsflüchtlinge und wirtschaftliche Gründe mit einbeziehen."
Gerhard Klas


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