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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 7

Renten

Zynisches Ende christlicher Familienpolitik

Das beitragsbezogene Rentensystem trägt dazu bei, den Lebensstandard der ArbeiterInnen auch im Alter zu sichern. Es hat viele Vorteile. Aber es ist an einem traditionellen Familien- und Eheleitbild orientiert, das Frauen ihr Leben lang einen gut verdienenden Haupternährer zur Seite stellt. Die vielfältigen Benachteiligungen, die Frauen während ihres Erwerbslebens und auch sonst in der Gesellschaft erfahren, setzen sich daher auch nach dem Ausscheiden aus dem Beruf in der Alterssicherung im Rentenalter fort.

Eine ausreichende Absicherung im Alter, bei Krankheit und Erwerbslosigkeit ist nach dem bundesrepublikanischen Sozialsystem nur bei durchgehender Vollzeiterwerbstätigkeit und bei durchschnittlichem Einkommen gewährleistet. Die Höhe der Rente richtet sich danach, wie lange und in welcher Höhe Beiträge zur Rentenversicherung geleistet wurden. Trotz formal-rechtlicher Gleichstellung werden Frauen strukturell durch das soziale Sicherungssystem benachteiligt, weil sie die Anspruchs- und Leistungsvoraussetzungen aufgrund ihrer "Familienpflichten" oft nicht erfüllen können.
Frauen, die keine kontinuierlichen Erwerbsverläufe haben, verbunden mit niedrigen Einkommen, oder Frauen, die in geringfügigen Erwerbsarbeitsverhältnissen tätig waren, sind auch im Alter oftmals arm. Sie bekommen niedrige oder keine eigenen Renten, auch dann nicht, wenn sie zeitlebens nie die Hände in den Schoß gelegt haben. Trude Unruh bezeichnete deshalb die Altersarmut als das "zynische Ende der christlichen Familienpolitik".
Diese Politik geht, obwohl nur noch etwa ein Drittel der Haushalte in der BRD Ost und West, Familienhaushalte im Sinne der Eltern-Kind-Einheit sind, von einem Familienmodell aus, das einen "Haupternährer" und eine Hausfrau bzw. Dazuverdienerin vorsieht. Dieses Familienmodell wird von staatlicher Seite subventioniert. Das Ehegattensplitting bspw. belohnt allein die durch Staat (und meist auch Kirche) abgesegnete Hausfrauen- und Zuverdienerinnenehe mit den (für die Frauen) bereits erwähnten Nachteilen. 40-50 Millionen DM kostet diese Hausfrauengratifikation den Sozialstaat jährlich.
Das Erziehungsgeldgesetz sieht ein vom Einkommen des Ehemannes abhängiges Taschengeld von 600 DM für einen bestimmten Zeitraum vor, das Pflegegeldgesetz eine Aufwandsentschädigung, die ebenfalls nicht existenzsichernd ist. Freilich können die Rollen getauscht werden. Dann hat der Ehemann die Nachteile zu tragen, die in der Regel die Frauen auf sich nehmen. Kein Wunder, dass fast alle Väter sich weigern, Erziehungs"urlaub" zu nehmen und fast alle Söhne durch ihr berufliches Engagement davon abgehalten werden, ihre Mütter im Alter zu pflegen.
Im Hintergrund steht das Drei-Phasen-Modell, mit dem für Frauen vorgesehenen Ablauf: Berufsausbildung, nachfolgende Berufstätigkeit - Heirat und Erziehungszeit mit Ausstieg aus der Berufsarbeit - berufliche Wiedereingliederung. Die Schwierigkeiten des beruflichen Wiedereinstiegs sind bekannt. Hinzu kommen sozialstaatliche Einsparungen bei der Bereitsstellung von Infrastruktur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nicht nur Kinder kosten heute Karriere, sondern auch die Pflege der Eltern und Schwiegereltern.

Strukturelle Benachteiligung
Die Übernahme von Pflege- und Sorgearbeiten kostet nicht nur Karriere, sondern - wie aufgezeigt wurde - auch Rente. Die Folge der strukturellen Benachteiligung der Frauen im Rentensystem ist, dass etwa ein Drittel der Renten in der Bundesrepublik fast auf Sozialhilfeniveau liegen. Etwa 80% der über 65-jährigen Sozialhilfeempfänger sind weiblich. Vor allem sind es alleinlebende und geschiedene ältere Frauen im westlichen Teil der Bundesrepublik. Noch sind die ostdeutschen Frauen etwas besser gestellt, weil diejenigen, die jetzt im Rentenalter sind, auf eine kontinuierliche Berufstätigkeit zurückblicken können.
Die Durchschnittsrente einer in der Bundesrepublik lebenden Frau, die während ihres Erwerbslebens Arbeiterin war, lag nach Angaben des Statistischen Bundesamts 1997 bei 663 DM (Männer 1582 DM. Eine frühere Angestellte bekommt durchschnittlich 1060 DM (Männer 2146). 40% der Frauen, aber nur 1% der Männer haben überhaupt keine eigene Rente aus eigenen Anwartschaften. Fast jede zehnte Rentnerin ist von Altersarmut betroffen.
Das wird sich auch im neuen Jahrtausend nicht ändern, denn die Reformvorschläge der "neuen" Bundesregierung sehen vor, dass die Renten in den nächsten Jahren (2000 und 2001) nicht dem Anstieg der Nettolöhne folgen sollen, sondern sich an der Inflationsrate orientieren. Danach werden die Renten Anfang Juli um 0,6% erhöht, die Lebenshaltungskosten aber durch aktuelle Preissteigerungen weiter ansteigen. Zudem wird die 1997 von der alten Bundesregierung beschlossene Heraufsetzung der Altersgrenze ab 1.1.2000 erstmals voll wirksam. Wer früher als mit 65 Jahren in den Ruhestand geht, muss künftig Abschläge in Kauf nehmen. Inwieweit das "Bündnis für Arbeit" mit einer "Rente ab 60" zu befriedigenden Lösungen kommt, ist noch völlig offen.
Die vorübergehende Aussetzung der Nettoanpassung soll von der Einführung einer bedarfsorientierten, sozialen Grundsicherung begleitet werden. Im Gegensatz zur Sozialhilfe sollen die Kinder von Grundsicherungsberechtigten nicht unterhaltspflichtig sein. Damit könnte die Situation vieler alter Frauen verbessert werden. Auch eine Aufstockung bereits bestehender Renten ist nach den Plänen der Bundesregierung vorgesehen. Allerdings steht die Definition des Mindestniveaus, das aus Einnahmen der Ökosteuer finanziert werden soll, noch aus.

Jeder Frau die eigene Rente
Die Forderung von Gewerkschaftsfrauen und Deutschem Frauenrat zielen darauf, dass "jede Frau die eigene Rente" bekommt. Sie wollen eine Weiterentwicklung des beitragsbezogenen Rentensystems zu einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen. Um dies zu erreichen, ist nach Meinung der Frauen vor allem auf eine bessere Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und Pflege notwendig.
Der Reformvorschlag des Bundesarbeitsministers sieht vor, ein Optionsmodell anzubieten, das die zunehmende Ausdifferenzierung der Lebensstile und (Zusammen-)Lebensformen stärker als bisherige berücksichtigt. Bei den am 9.1.2000 wieder aufgenommenen Verhandlungen zu Rentenreform anlässlich des "Bündnis für Arbeit" war von der eigenen Rente für jede Frau (leider) keine Rede.
Um der entwürdigenden Altersarmut, von der Frauen in besonderem Maße betroffen sind, zu entgehen, wird es notwendig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen und damit auch eine eigenständige Alterssicherung möglich machen. Um das zu erreichen, müssten alle Beschäftigungsverhältnisse in die Versicherungspflicht einbezogen werden, die notwendige Infrastruktur bereitgestellt und entsprechende Erwerbsarbeitszeitmodelle ermöglicht werden, die eine bruchlose Gestaltung des Erwerbslebens für Männer und Frauen zulassen.
Bis das erreicht ist, müsste eine einkommensunabhängige, bedarfsorientierte Mindestrente für alle, unabhängig von den gezahlten Versicherungsbeiträgen und unabhängig von der gewählten Lebensform, eingerichtet werden. Diese Rente sollte existenzsichernd sein und an alle, die die Altersgrenze erreicht haben oder aufgrund von Invalidität nicht berufstätig sein können, gezahlt und in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden.
Warum soll eine älter werdende Gesellschaft, wie immer wieder unterstellt wird, eine weniger innovative und leistungsfähige Gesellschaft sein? Wenn Frauen (und Männer) heute doppelt so alt werden, wie zu Beginn dieses Jahrhunderts, so ist das vor allem dem Fortschritt im Bereich der Gesundheitsvorsorge und in der medizinischen Versorgung zu verdanken. Wenn die Systeme zur sozialen Sicherung diesem Fortschritt hinterherhinken, so ist eine Gesellschaft zu beklagen, die die tatsächliche Altersstreuung in der Bevölkerung nicht zur Kenntnis nimmt.
57% der Älteren, also die Mehrheit, sind Frauen. Bei den über 70-Jährigen beträgt der Anteil sogar zwei Drittel. Es hängt nicht mit der steigenden Lebenserwartung zusammen, wenn das Alter heute zum Problem wird, sondern damit, dass Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen, "ausgedient" haben und abserviert werden sowie damit, dass wir in einer Gesellschaft leben, deren Leitbilder Jugend, Familie und Ehe sind.
Viele ältere Frauen entsprechen heute nicht mehr dem Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat: Sie haben ihre eigenen Terminkalender und bekommen mit ihren erwachsenen Kindern Schwierigkeiten, weil sie für die Betreuung der Enkel nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen, keine "richtigen" Omas sind, eigene Interessen haben und nicht zum "alten Eisen" gehören wollen.
Auch ältere Menschen sind handelnde Subjekte und können den Lauf des Geschehens mitbestimmen. Wir kennen bereits Seniorengenossenschaften, die jungen Menschen mit ihren Erfahrungen zur Seite stehen und andere Altenprojekte, die ihre Erkenntnisse an Jüngere weiter geben oder/und dafür arbeiten, dass die Interessen der Alten in der Gesellschaft Gehör finden.
Gisela Notz


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