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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 8

Ein ganz normaler Abschiebetag

Lügen, Demütigungen, Misshandlungen und Tod

Guinea ist ein kleiner Staat in Westafrika und Ziel für tausende von Flüchtlingen aus anderen Staaten. Doch auch dort gibt es genügend Gründe zu fliehen, denn auch Guinea zählt zu den ärmsten Ländern der Erde.
Einige fliehen nach Deutschland. Doch was in diesem reichen Land auf sie wartet, hat nichts mehr mit Zivilisation zu tun. Die unmenschliche Behandlung durch die Auslandsämter, der Aufenthalt im Flüchtlingsheim und schließlich der bundesweit größte Abschiebeknast in Büren sind mittlerweile für tausende eine Prozedur gewesen, die mit der Abschiebung endete.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Was mit den Flüchtlingen während der Abschiebung und bei ihrer Rückkehr geschieht, bleibt noch mehr im Verborgenen als der Aufenthalt in der BRD. Nur wenn die Abschiebung tödlich verläuft, lässt sich wie am 28.Mai 1999 ein sozialdemokratischer Innenminister dazu hinreißen, ein paar Tage einen Abschiebestopp für eine kleine Auswahl von Flüchtlingen zu verhängen. Der Sudanese Aamir Ageeb war im Mai gerade 30 Jahre alt und musste sterben, weil BGS-Beamte seinen Kopf, auf den zuvor ein Motorradhelm gesetzt worden war, zwischen seine Knie pressten, bis Aamir Ageeb kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Unerwartete Weigerung

Normalerweise wäre auch die Abschiebung von 15 Männern nach Guinea kaum beachtet geworden, wenn nicht die Einreisebehörden der Hauptstadt Conakry den Flüchtlingen die Einreise verweigert hätten. Also folgte dem gemeinsamen siebenstündigen Hinflug der 30 BGS Beamten, die die Flüchtlinge "begleiteten” ein achtstündiger Rückflug für Flüchtlinge und die deutschen Beamten. Wieder zurück im Knast in Büren machten die Flüchtlinge gegenüber Mitarbeiterinnen des "Vereins für Menschen in Abschiebehaft Büren” Aussagen über die Misshandlungen und Beleidigungen, die sie durch die BGSler erfahren hatten.
Einige von ihnen waren während des gesamten Hin- und Rückflugs an Händen und Füßen gefesselt gewesen, wobei der Anschnallgurt noch durch die Gürtelschnallen an ihren Hosen gezogen waren. Zur Toilette wurden sie getragen, teilweise konnten sie wegen der Fesselung nicht einmal ihre Hosen öffnen, was durch Beamte übernommen wurde, die dabei ihren rassistischen Gedanken freien Lauf ließen. Während des Aufenthalts in Conakry wurden die Fesseln entfernt, damit die einheimischen Behörden diese nicht wahrnehmen konnten.
Ein offener Brief der Flüchtlinge an die Innenminister von Land (NRW) und Bund blieb unbeantwortet. Eine Anfrage an die Bundesregierung durch die Abgeordnete der PDS-Fraktion Ulla Jelpke, ob sie Kenntnis von den gemachten Vorwürfe habe, beantwortet diese am 28.Januar diesen Jahres lapidar: "Ja. Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung haben sich diese Vorwürfe jedoch als unbegründet herausgestellt und werden zurückgewiesen." Normalerweise pflegt die Bundesregierung auf derartige Fragen keine Antworten zu geben, da sie nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen würde.
Aber bei "Niggern", wie die Flüchtlinge von den BGS Beamten genannt wurden, ist von vorne herein klar, wer die Wahrheit sagt. Der afrikanischen Zeugen hat man sich auch schnellstens entledigt, denn solche Vorwürfe haben keine aufschiebende Wirkung auf die Abschiebung.
Die Schwierigkeiten für den BGS, die sich bei der Abschiebung im letzten März ergaben, rührten aus dem mangelnden Nachweis der guineischen Staatsangehörigkeit. Viele Flüchtlinge leugnen ihre Staatsangehörigkeit, denn das ist oft das letzte Mittel, um eine drohende Abschiebung zu verhindern. Die Ausländerbehörden verwenden auch dies mittlerweile gegen die Flüchtlinge. Zum Beispiel wird einem Gefangenen des Bürener Abschiebeknasts die Entlassung in Aussicht gestellt, wenn er bereitwillig eine Ehrenerklärung unterschreibt, dass er guinesischer Staatsangehöriger sei.
Eine solche Ehrenerklärung, abgegeben gegenüber Botschaftsangehörigen der guinesischen Botschaft, war auch die Grundlage für die Ausstellung der notwendigen Passersatzpapiere der abgewiesenen Flüchtlinge. Seit Anfang 1999 sind Zentrale Ausländerbehörden wie zum Beispiel die Dortmunder und die Hamburger Behörde dazu übergegangen, "teilzentrierte Passbeschaffungsverfahren" durchzuführen. Botschaftsangehörige kommen in die entsprechende Ausländerbehörde, um dort die Flüchtlinge zu treffen, die auch unter Zwang vorgeführt werden.

Den Behörden ausgeliefert

"Wir verstehen immer noch nicht, warum die Zentrale Auländerbehörde (ZAB) Dortmund uns am 6.5.99 in ihrem Hause der guineischen Geheimpolizei und den guineischen diplomatischen Behörden ausgeliefert hat. Die ZAB hat ihnen damit Gelegenheit gegeben, in erschreckender Weise mit uns zu sprechen, uns in unseren verschiedenen Landesprachen zu berohen, sollten wir in unser Land zurrückkehren. Unsere Angaben (nach Herkunft, Asylgründen, Namen und Wohnorten der Familien, usw.) haben sie auf Band aufgenommen", monieren die Flüchtlinge in einem Brief, den sie an Bundesinnenminister Schily und NRW-Innenminister Behrens schickten. Doch die Beschwerde über die Abschiebepraxis der ZAB Dortmund, die sich "guter persönlicher Kontakte" zu diesen Stellen rühmt, dürfte im Sande verlaufen.
Einen Fauxpas wie bei der Abschiebung im März wollte sich die ZAB Dortmund nicht noch einmal leisten. Deshalb baten sie beim guineischen Sicherheitsminister Comdé um ein Gespräch. Bereits kurz nach der misslungenen Abschiebung im Mai letzten Jahres fanden in Bonn und Dortmund Gespräche zwischen dem kommissarischen Geschäftsführer der guineischen Botschaft, dem ersten Botschaftssekretär, einem eigens aus Conakry angereisten Kommissar der Luft- und Grenzpolizei und Vertretern der ZAB Dortmund statt.
Klar war: Die Zeugen sollten verschwinden. Doch lediglich sechs Personen, die bereits im März ‘99 abgeschoben werden sollten, erhielten die notwendigen Einreisepapiere. Auch deren Ausreise wurde durch den Tod des Sudanesen Ageeb verzögert. Die Schamzeit dauerte vier Wochen, in denen Schily keine "Asylbewerber" abschieben ließ, von denen Widerstand gegen ihre Abschiebung zu erwarten war. Nur zwei Tage Später erfolgte die Sammelabschiebung nach Guinea.
Wegen zu erwartender Proteste wurden die Flüchtlinge unter "hohem Sicherheitsaufwand" am 30.Juni 1999 in zwei Gefängnisbussen nach Düsseldorf verschleppt. An Händen und Füßen gefesselt trugen sie Beamte dort ins Flugzeug. Laut BGS verlief der Flug ruhig und die Abwicklung in Conakry ohne Probleme.
Neben fünf Flüchtlingen, die bereits im März vergeblich zur Abschiebung nach Conakry geflogen worden waren, befanden sich noch sieben andere. Die ZAB Dortmund war mit ihrer Arbeit zufrieden und wandte sich neuen Sammelabschiebungen zu.
Die Familien der Abgeschobenen aber hörten erst einmal zwei Monate nichts von ihren Verwandten. Sie und diejenigen, die die Flüchtlinge hier in Deutschland betreut hatten, sorgten sich nicht zu Unrecht, denn laut Amnesty International ist in Guinea die Folter "nach wie vor verbreitet".
Unterstützer in Deutschland finanzierten eine zweiköpfige Delegation, die den Verbleib der Flüchtlinge recherchieren sollte.

Auf der Suche

Beim gemeinsamen Essen in Guinea, zu dem Sicherheitsminister Comdé geladen hatte, verriet der deutsche Botschafter der Delegation, dass es in Guinea noch immer zur "Züchtigung durch den Stock" käme. Aber dies sollten die Delegierten mal "nicht so dramatisch sehen". Wenig dramatisch und eher den guten persönlichen Kontakten entsprechend ist demnach wohl auch die Tatsache, dass die gesamten Asylakten an die Polizeibehörden Guineas übergeben worden waren. Darin hatten die Flüchtlinge unter anderem angegeben, dass sie an Protestdemonstrationen gegen die gewaltsame Zerstörung des Stadtteils Kaporo ebenso wie an Demonstrationen der Studierenden teilgenommen hatten.
Nach tagelangen und hartnäckigen Nachfragen händigten Beamte der Delegation die fehlenden Adressen der Flüchtlingsverwandten aus. Wie durch ein Wunder tauchten jetzt auch drei der Flüchtlinge wieder auf. "Sie wurden offenbar kurzfristig auf freien Fuß gesetzt und hatten schreckliche Angst, mit uns zu reden", erklärte eine Delegationsteilnehmerin. Dennoch erzählten die Flüchtlinge über Ousame Sou, der mit ihnen abgeschoben, anschließend in einer Nachbarzelle untergebracht worden war und der mittlerweile nicht mehr lebt. Sou, so war von ihnen zu erfahren, hatte auf dem Abschiebeflug eine Spritze bekommen, damit er sich ruhig verhielt.
In den folgenden Tagen hatte Sou nach ihren Aussagen zunehmend über Übelkeit geklagt, er hatte nichts mehr gegessen und war am 19.6.99 ins Krankenhaus "Ignace Green" gebracht worden. Nachfragen ergaben, dass er zwei Stunden nach seiner Einlieferung gestorben sei. Unklar bleibt, wo er bis zu seiner Einlieferung gewesen ist und wer ihn eingeliefert hat.
Auf die Anfrage der Abgeortneten Ulla Jelpke nach dem Tod von Ousame Sou antwortet die Bundesregierung am 28.Januar: "Nach unbestätigten Angaben durch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte Deutsche Sektion e.V. ist diese Person angeblich an einem ‚Leberkoma‘ gestorben. Die Bundesregierung verfügt über keine weiteren Erkenntnisse über die Ursache des Todes von O.S. Wiederholte Bitten der Deutschen Botschaft in Conakry um Bestätigung des Todesfalles und Mitteilung der näheren Umstände wurden durch das Krankenhaus bislang nicht beantwortet."

Neue Masche

Doch die Sammelabschiebungen gehen weiter. Da jedoch die Abschiebungen nach Conakry nicht immer so glatt verlaufen, wie sich das eine deutsche Behörde vorstellt, werden zur Zeit andere Modelle erprobt: Sammelabschiebungen von Afrikanern verschiedener Nationalitäten nach Ghana. Eine solche Sammelabschiebung fand am 19.11.99 statt, weitere sind geplant. Die ghaneischen Behörden in Accra sollen dann für die Weiterschiebung der Flüchtlinge sorgen. Die Bundesregierung leugnet, dass es ein Abkommen mit Ghana über solche Sammelabschiebungen gäbe.
Es scheint, als ob die Landesinnenminister oder die ZABs solche Sammelabschiebungen einzeln aushandeln. Obwohl "der Bundesregierung keine Erkenntnisse über den gegenwärtigen Aufenthaltsort der am 19.11. rückgeführten guinesischen Staatsbürger vorliegen", soll diese Form der Abschiebung weiter durchgeführt werden.
Es ist davon auszugehen, dass die Abgeschobenen in Conakry direkt am Flughafen festgenommen wurden und nur gegen Zahlung eines höheren Geldbetrags auf freien Fuß gesetzt werden. Dass der deutsche Botschafter nicht Augenzeuge eines solchen Vorgehens wurde, hat wohl damit zu tun, dass das Abschiebeflugzeug aus Accra Verspätung hatte. Botschafter Fischer, der die Landung und die Einreise beobachten sollte, hatte bereits den Flughafen in Conakry verlassen. Abgeschoben wird bis "Beweise vorliegen, dass die abgeschobenen Guineer aufgrund ihrer Rückführung inhaftiert werden, denn es sei ja auch möglich, dass sie dort wegen Straftaten inhaftiert würden, die sie vor ihrer Ausreise begangen haben", so der Kommentar eines Mitarbeiters des NRW-Innenministeriums.
Die Abschiebemodalitäten verschärfen sich zusehends. Bis in den Herbst letzten Jahres luden etwa die Hamburger Ausländerbehörden mittels Musterbriefen die Flüchtlinge zum Termin. Heute sehen sie von dieser Praxis ab, denn die Flüchtlinge würden zu oft Verdacht schöpfen und sich absetzen. Wenn sie nicht sowieso schon in Abschiebeknästen sitzen, nutzen die Abschiebebehörden Termine, wie bspw. zur Duldungsverlängerung, bei denen Flüchlinge persönlich vorsprechen müssen, aus. Beim Erscheinen in der Behörde erfolgt die Festnahme, anschließend die Abschiebung.
Dabei sind Düsseldorf und die ghanaische Hauptstadt Accra offensichtlich zentrale Verschiebeadressen. Düsseldorf dient als Sammelstelle für Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer. Von dort aus geht es nach Accra und dann in weitere afrikanische Länder.
In Hamburg kam es Ende letzten Jahres zu einer Demonstration, an der 400 Menschen, vor allem afrikanische Flüchtlinge, teilnahmen. Das ist zu wenig. Doch die Flüchtlingsheime, Abschiebeknäste und Abschiebungen sind scheinbar so zum Alltag geworden, dass selbst die Toten, die diese Praxis immer wieder fordert, kaum noch Anlass zum Widerstand sind.
Tommy Schroedter


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