Sozialistische Zeitung |
Die Sozialpartnerschaft, die erprobte Herrschaftsform des österreichischen Kapitals nach 1945, wird
seit Anfang der 80er Jahre zunehmend zersetzt: durch die Rückkehr von internationalen Wirtschaftskrisen, durch sinkende Profitraten und
steigende internationale Konkurrenz, durch die Einengung des Verteilungsspielraums für Zugeständnisse an die
lohnabhängige Bevölkerung. Aufgrund dessen ist das österreichische Großkapital in den letzten Jahren zunehmend von
der Suche nach Kompromissen mit der Arbeiterklasse abgerückt.
Einen weiteren Anstoß hat diese Orientierung durch den Sieg des
Westens im Kalten Krieg, das Ende des österreichischen "Sonderstatus" zwischen den Blöcken und die Integration in
den EU-imperialistischen Block bekommen. Die spezifisch österreichische Form der institutionalisierten Sozialpartnerschaft, die
aufgrund der traditionellen Schwäche der österreichischen Bourgeoisie immer auf eine starke Einbeziehung der Bürokratie
der Arbeiterbewegung in den Staat aufbaute, stellt daf ür jedoch ein zunehmendes Hindernis dar.
In den letzten 15 Jahren ist das österreichische Privatkapital
gestärkt worden, das Bürgertums hat an Selbstbewusstsein gewonnen, und mit der stärkeren westeuropäischen
Bourgeosie im Rücken traut sich es sich nun zunehmend eine härtere Gangart gegen die Arbeiterklasse zu. In den letzten Jahren
waren die Opfer vor allem Frauen, MigrantInnen, Hilfsarbeiter, Arbeiterinnen in Reinigungsbetrieben und Firmen, die persönliche
Dienstleistungen erbringen, sowie Beschäftigte in anderen ungeschützten Verhältnissen. Die parellel dazu verlaufenden
Einsparungen bei den Sozialleistungen trafen diese Schichten am stärksten.
Demgegenüber schreckten die Unternehmer bisher noch vor frontalen
Angriffen auf die gut organisierten Kernschichten in der Energiewirtschaft, der chemischen Industrie, der Metallindustrie, bei der Bundesbahn
usw. zurück. Hier sind Facharbeiter beschäftigt, die das Rückgrat der Gewerkschaft bilden.
Allerdings mussten auch diese Schichten massive Veränderungen in
der Arbeitsorganisation hinnehmen: eine deutliche Steigerung des Zeit- und Leistungsdrucks am Arbeitsplatz, die Drohung mit
Arbeitsplatzverlust, die Flexibilisierung ihrer Arbeitszeit. Hier wollen die Unternehmer die Daumenschrauben anlegen: Senkung der
Reallöhne, Durchlöcherung der Kollektivverträge, Zurückdrängen des Einflusses der
Gewerkschaften.
Haider erntet, was andere gesät haben
Dazu müssen in immer stärkerem Ausmaß
sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen aufgekündigt werden, und die FPÖ bietet sich mit ihrer feindlichen Haltung
gegenüber den Regulativen Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer, mit ihrer Kampagne gegen die "Privilegien der roten
Bonzen", als Sprachrohr für genau die Teile des Kapitals an, die hier aufs Pedal drücken.
Aber nicht nur immer weniger Unternehmer betrachten die
Sozialpartnerschaft als ein Instrument in ihrem Interesse. Auch immer mehr Lohnabhängige entfremden sich von dem herrschenden
"korporatistischen" System. Die ArbeiterInnen, Angestellten und die öffentlich Bediensteten bekommen zunehmend Druck am
Arbeitsplatz zu spüren. Die Beschönigung der Situation durch Vertreter des Establishments in Gestalt der großen Koalition
(Victor Klima: "Österreich ist ein gutes Land, wir sind wohlhabend und es geht bergauf") kommt ihnen als zynische
Verhöhung ihrer Existenzsorgen vor.
Die österreichische Arbeiterklasse hat allerdings - durch Jahrzehnte
der Sozialpartnerschaft ruhiggestellt und auf passive Delegierung ihrer Interessen trainiert - kaum Erfahrung mit Klassenkämpfen und mit
dem selbsttätigen Eintreten für ihre Interessen. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern konnte sich - wegen
der institutionalisierten Sozialpartnerschaft - kein relevanter klassenkämpferischer Pol herausbilden.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Lohnabhängige
entweder der Politik frustriert den Rücken kehren oder sich wohlmeinenden Helfern und Führern zuwenden - sei es der
Ombudsmann der Kronenzeitung oder ein reaktionärer Populist wie Haider oder Lugner. Deren Hetze fällt auf fruchtbaren Boden,
weil das Establishment jahrelang einen patriotischen gesellschaftlichen Scheinkonsens aufgebaut hat: es geht "um Österreich",
es muss "gespart werden", es gibt "ein Ausländerproblem". Haider und Lugner sind nur die konsequenteren
Vertreter dieser Orientierung; sie ernten, was andere gesät haben.
Das gilt auch für die Innenpolitik. Gerade der bisherige
sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl ist für seine restriktive Ausländerpolitik berühmt-berüchtigt.
Unter seiner Federführung wurden die "Fremdengesetze " erlassen, die die Immigration praktisch auf Null reduzieren.
Während seiner Amtszeit wurde ein nigerianischer Asylwerber bei der Abschiebung im Flugzeug von Polizisten durch Verkleben des
Mundes getötet.
Keinen Boden unter den Füßen
Die Wahlniederlage der SPÖ war ein Ausdruck
dieser gesellschaftlichen Entwicklung wie auch einer grundlegenden inneren Entwicklung der Sozialdemokratie. Die SPÖ hat in den
letzten 15 Jahren die neoliberale Politik in Österreich führend umgesetzt: von der Zerschlagung der Verstaatlichten Stahlwerke in
den 80er Jahren bis zu den Sparpaketen Mitte der 90er.
Zwischen 1970 und 1995 sind in Österreich - unter
sozialdemokratischer Kanzlerschaft - die Einkommen aus unselbständiger Arbeit (da sind die Manager dabei) um 200% gestiegen, die
aus Vermögen um 1500% (!). 28000 österreichische Kapitalisten haben ein Jahreseinkommen von über 1 Million,
während gleichzeitig 400000 Menschen unter der Armutgrenze leben. 2500 Österreicher besitzen 70% des
Gesamtvermögens. Die 40 größten Firmen zahlen im Durchschnitt unter 10% ihrer Profite Steuern, während der Anteil
der Lohnsteuern am Gesamtsteueraufkommen stetig steigt. Jeder zweite in Österreich neu entstehende Job ist ein ungeschütztes
Arbeitsverhältnis. Diese Bilanz sozialdemokratischen Regierens lässt sich auch durch eine noch so kluge Wahlkampftaktik nicht
mehr kaschieren.
Darüber hinaus haben in den sozialdemokratischen Parteien in den
letzten zehn bis zwanzig Jahren bedeutende Veränderungen stattgefunden. Fast überall in Europa sind ihre Mitgliedszahlen
rückläufig. Ihre Parteistrukturen und Jugendorganisationen haben an Leben verloren. Sie werden von ihren Mitgliedern und
Wählern immer weniger mit Begeisterung und immer mehr in der bescheidenen Hoffnung unterstützt, dass die Genossen in der
sozial demokratischen Parteiführung nicht ganz so arbeiterfeindliche Schufte sind wie die bürgerlichen Parteispitzen.
Die direkte organisatorische Verankerung des sozialdemokratischen
Reformismus in der Arbeiterklasse ist in den letzten Jahren deutlich geschwächt worden. Die organische Verbindung der
Sozialdemokratie zur Arbeiterklasse reduziert sich immer mehr auf ihre Vorherrschaft in den Gewerkschaften. Auch einige Wahlsiege in den
letzten Jahren haben diesen Trend nicht umgekehrt. Deshalb war diese Unterst ützung auch instabil und konnte rasch wieder
verlorengehen, wenn die Hoffnungen enttäuscht wurden.
Arbeitsgruppe Marxismus (Wien)