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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 13

Österreich

Sozialpartnerschaft und Sozialdemokratie

Die teilweise dämonisierenden Äußerungen vorwiegend der bürgerlich-liberalen Presse über die Persönlichkeit Haiders sind um so hitziger, je mehr das Geheimnis seines Erfolgs in ihm selbst gesucht wird. Tatsächlich ist er nur deshalb ein Star, weil er auf eine kollektive Nachfrage trifft. Der Aufstieg der FPÖ ist im Kern ein Symptom der Veränderung der österreichischen Klassengesellschaft in den letzten 15 Jahren.

Die Sozialpartnerschaft, die erprobte Herrschaftsform des österreichischen Kapitals nach 1945, wird seit Anfang der 80er Jahre zunehmend zersetzt: durch die Rückkehr von internationalen Wirtschaftskrisen, durch sinkende Profitraten und steigende internationale Konkurrenz, durch die Einengung des Verteilungsspielraums für Zugeständnisse an die lohnabhängige Bevölkerung. Aufgrund dessen ist das österreichische Großkapital in den letzten Jahren zunehmend von der Suche nach Kompromissen mit der Arbeiterklasse abgerückt.
Einen weiteren Anstoß hat diese Orientierung durch den Sieg des Westens im Kalten Krieg, das Ende des österreichischen "Sonderstatus" zwischen den Blöcken und die Integration in den EU-imperialistischen Block bekommen. Die spezifisch österreichische Form der institutionalisierten Sozialpartnerschaft, die aufgrund der traditionellen Schwäche der österreichischen Bourgeoisie immer auf eine starke Einbeziehung der Bürokratie der Arbeiterbewegung in den Staat aufbaute, stellt daf ür jedoch ein zunehmendes Hindernis dar.
In den letzten 15 Jahren ist das österreichische Privatkapital gestärkt worden, das Bürgertums hat an Selbstbewusstsein gewonnen, und mit der stärkeren westeuropäischen Bourgeosie im Rücken traut sich es sich nun zunehmend eine härtere Gangart gegen die Arbeiterklasse zu. In den letzten Jahren waren die Opfer vor allem Frauen, MigrantInnen, Hilfsarbeiter, Arbeiterinnen in Reinigungsbetrieben und Firmen, die persönliche Dienstleistungen erbringen, sowie Beschäftigte in anderen ungeschützten Verhältnissen. Die parellel dazu verlaufenden Einsparungen bei den Sozialleistungen trafen diese Schichten am stärksten.
Demgegenüber schreckten die Unternehmer bisher noch vor frontalen Angriffen auf die gut organisierten Kernschichten in der Energiewirtschaft, der chemischen Industrie, der Metallindustrie, bei der Bundesbahn usw. zurück. Hier sind Facharbeiter beschäftigt, die das Rückgrat der Gewerkschaft bilden.
Allerdings mussten auch diese Schichten massive Veränderungen in der Arbeitsorganisation hinnehmen: eine deutliche Steigerung des Zeit- und Leistungsdrucks am Arbeitsplatz, die Drohung mit Arbeitsplatzverlust, die Flexibilisierung ihrer Arbeitszeit. Hier wollen die Unternehmer die Daumenschrauben anlegen: Senkung der Reallöhne, Durchlöcherung der Kollektivverträge, Zurückdrängen des Einflusses der Gewerkschaften.

Haider erntet, was andere gesät haben

Dazu müssen in immer stärkerem Ausmaß sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen aufgekündigt werden, und die FPÖ bietet sich mit ihrer feindlichen Haltung gegenüber den Regulativen Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer, mit ihrer Kampagne gegen die "Privilegien der roten Bonzen", als Sprachrohr für genau die Teile des Kapitals an, die hier aufs Pedal drücken.
Aber nicht nur immer weniger Unternehmer betrachten die Sozialpartnerschaft als ein Instrument in ihrem Interesse. Auch immer mehr Lohnabhängige entfremden sich von dem herrschenden "korporatistischen" System. Die ArbeiterInnen, Angestellten und die öffentlich Bediensteten bekommen zunehmend Druck am Arbeitsplatz zu spüren. Die Beschönigung der Situation durch Vertreter des Establishments in Gestalt der großen Koalition (Victor Klima: "Österreich ist ein gutes Land, wir sind wohlhabend und es geht bergauf") kommt ihnen als zynische Verhöhung ihrer Existenzsorgen vor.
Die österreichische Arbeiterklasse hat allerdings - durch Jahrzehnte der Sozialpartnerschaft ruhiggestellt und auf passive Delegierung ihrer Interessen trainiert - kaum Erfahrung mit Klassenkämpfen und mit dem selbsttätigen Eintreten für ihre Interessen. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern konnte sich - wegen der institutionalisierten Sozialpartnerschaft - kein relevanter klassenkämpferischer Pol herausbilden.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Lohnabhängige entweder der Politik frustriert den Rücken kehren oder sich wohlmeinenden Helfern und Führern zuwenden - sei es der Ombudsmann der Kronenzeitung oder ein reaktionärer Populist wie Haider oder Lugner. Deren Hetze fällt auf fruchtbaren Boden, weil das Establishment jahrelang einen patriotischen gesellschaftlichen Scheinkonsens aufgebaut hat: es geht "um Österreich", es muss "gespart werden", es gibt "ein Ausländerproblem". Haider und Lugner sind nur die konsequenteren Vertreter dieser Orientierung; sie ernten, was andere gesät haben.
Das gilt auch für die Innenpolitik. Gerade der bisherige sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl ist für seine restriktive Ausländerpolitik berühmt-berüchtigt. Unter seiner Federführung wurden die "Fremdengesetze " erlassen, die die Immigration praktisch auf Null reduzieren. Während seiner Amtszeit wurde ein nigerianischer Asylwerber bei der Abschiebung im Flugzeug von Polizisten durch Verkleben des Mundes getötet.

Keinen Boden unter den Füßen

Die Wahlniederlage der SPÖ war ein Ausdruck dieser gesellschaftlichen Entwicklung wie auch einer grundlegenden inneren Entwicklung der Sozialdemokratie. Die SPÖ hat in den letzten 15 Jahren die neoliberale Politik in Österreich führend umgesetzt: von der Zerschlagung der Verstaatlichten Stahlwerke in den 80er Jahren bis zu den Sparpaketen Mitte der 90er.
Zwischen 1970 und 1995 sind in Österreich - unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft - die Einkommen aus unselbständiger Arbeit (da sind die Manager dabei) um 200% gestiegen, die aus Vermögen um 1500% (!). 28000 österreichische Kapitalisten haben ein Jahreseinkommen von über 1 Million, während gleichzeitig 400000 Menschen unter der Armutgrenze leben. 2500 Österreicher besitzen 70% des Gesamtvermögens. Die 40 größten Firmen zahlen im Durchschnitt unter 10% ihrer Profite Steuern, während der Anteil der Lohnsteuern am Gesamtsteueraufkommen stetig steigt. Jeder zweite in Österreich neu entstehende Job ist ein ungeschütztes Arbeitsverhältnis. Diese Bilanz sozialdemokratischen Regierens lässt sich auch durch eine noch so kluge Wahlkampftaktik nicht mehr kaschieren.
Darüber hinaus haben in den sozialdemokratischen Parteien in den letzten zehn bis zwanzig Jahren bedeutende Veränderungen stattgefunden. Fast überall in Europa sind ihre Mitgliedszahlen rückläufig. Ihre Parteistrukturen und Jugendorganisationen haben an Leben verloren. Sie werden von ihren Mitgliedern und Wählern immer weniger mit Begeisterung und immer mehr in der bescheidenen Hoffnung unterstützt, dass die Genossen in der sozial demokratischen Parteiführung nicht ganz so arbeiterfeindliche Schufte sind wie die bürgerlichen Parteispitzen.
Die direkte organisatorische Verankerung des sozialdemokratischen Reformismus in der Arbeiterklasse ist in den letzten Jahren deutlich geschwächt worden. Die organische Verbindung der Sozialdemokratie zur Arbeiterklasse reduziert sich immer mehr auf ihre Vorherrschaft in den Gewerkschaften. Auch einige Wahlsiege in den letzten Jahren haben diesen Trend nicht umgekehrt. Deshalb war diese Unterst ützung auch instabil und konnte rasch wieder verlorengehen, wenn die Hoffnungen enttäuscht wurden.

Arbeitsgruppe Marxismus (Wien)


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