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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.5 vom 02.03.2000, Seite 2

Türkei

AKW im Erdbebengebiet

Seit mehreren Jahren schon sollte der Auftrag für den Bau des ersten Kernkraftwerks in der Türkei zugeteilt worden sein. Doch die türkische Regierung, der mittlerweile Angebote von drei Konsortien vorliegen, hat die Entscheidung mehrmals aufgeschoben. Nun drängt die Zeit, denn im November soll der Bau des Atommeilers in Akkuyu an der Mittelmeerküste planmäßig beginnen. Neben dem US-amerikanischen Unternehmen Westinghouse und einem kanadisch-japanischen Konsortium hat sich die Firma Nuclear Power International (NPI), an der die Siemens Kraftwerk Union (KWU) und die französische Framatom beteiligt sind, um die Ausschreibung beworben.
"In Europa geht das Nuklearzeitalter zu Ende, und die Türkei will bis 2020 zehn Reaktoren bauen", entrüstet sich Melda Keskin, die für das Greenpeace-Mittelmeerbüro von Istanbul aus den Widerstand organisiert. Allein acht Reaktoren sollen voraussichtlich in Akkuyu gebaut werden, berichtet Greenpeace. Die Bucht von Akkuyu gilt als eines der letzten unberührten Gebiete der Mittelmeerregion, das weder touristisch noch industriell erschlossen und zudem Heimat der vom Aussterben bedrohten Mönchsrobbe ist. Die Bemühungen der Atomlobby, die einheimische Bevölkerung für das Projekt zu gewinnen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Außer dem Bürgermeister von Akkuyu, dem einzigen Befürworter, sind die Ortsvorsteher der umliegenden 23 Gemeinden und der Stadt Silifke strikte Gegner des Projekts. Sie befürchten drastische Einbußen in der Landwirtschaft und dem Tourismus.
Am meisten fürchten die Bewohner der Region einen Nuklearunfall. "In der Nähe von Akkuyu befindet sich eine Erdbebenspalte, und deswegen sind wir wirklich nervös", erklärt Ummet Buyuk, Bürgermeister von Buyukeceli, einem Ort unweit von Akkuyu. Demgegenüber behauptet Lutfi Sarici, der Direktor des Nuklearprogramms, dass es sich "möglicherweise um die geologisch stabilste Region in der Türkei handelt".
Sarici beruft sich auf Berichte aus den 70er Jahren, die längst veraltet sind. Eine geologische Untersuchung aus den Jahren 1987-1990 kommt zu einem anderen Ergebnis. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Akkuyu nur 20-25 Kilometer von einer aktiven, erdbebengefährdeten Erdfalte entfernt liegt.
Während die jüngsten Untersuchungsergebnisse die türkischen Behörden kalt lassen, werden kritische Stimmen lauter. Nicht nur die in der Region Akkuyu ansässige Bevölkerung, auch Nachbarländer, vor allem Zypern, haben an die türkische Regierung appelliert, das Bauvorhaben zu überdenken.
Doch die hochverschuldete türkische Regierung setzt wie so viele andere auch auf private Investititonen aus dem Ausland. Erst Mitte Februar hatte Präsident Demirel erklärt, er erwarte in den nächsten drei bis vier Jahren 40 Milliarden US-Dollar an Investitionen, die vor allem aus der Nuklarwirtschaft und der Tourismusindustrie kommen sollen, berichtet die Wirtschaftszeitung Wall Street Journal.
Die besten Chancen für den Zuschlag hat das deutsch- französische Konsortium NPI, das das günstigste Angebot vorgelegt hat. Dabei handelt es sich um einen Druckwasserreaktor mit 1300 Megawatt Leistung, den NPI für 2,4 Milliarden US-Dollar errichten will. Wegen der Erdbebengefahr beabsichtige man, das sicherste Atomkraftwerk der Welt zu bauen, erklärte NPI-Präsident Fischer. Bereits eine Woche nach dem schweren Erdbeben im vergangenen Jahr hatte Siemens erklärt, der Konzern wolle unbeirrt an dem Bau des Atomkraftwerks in Akkuyu festhalten.
Siemens hofft auf Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung für dieses Bauvorhaben. In ihrer Koalitionsvereinbarung hatten SPD und Grüne eine Reform der Außenwirtschaftsförderung angekündigt, "insbesondere der Gewährung von Exportbürgschaften (Hermes) nach ökologischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichtspunkten". Greenpeace hat seit dem Regierungswechsel mehrmals an Bundesaussenminister Fischer appelliert, in Sachen Akkuyu keine Hermesbürgschaften zu bewilligen. "Bisher hat es jedoch noch keine klare Absage an die Hermesbürgschaft für den türkischen Atomreaktor gegeben", so die Greenpeace- Sprecherin Susanne Ochse gegenüber der SoZ.

Gerhard Klas


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