Sozialistische Zeitung |
Unter dem Motto "Wir schützen unsere Arbeitsplätze" hat die 650-köpfige
Belegschaft der Hoesch Spundwand und Profil GmbH in Dortmund ihre achtmonatige Auseinandersetzung mit dem Thyssen-Krupp-Konzern um
den Erhalt ihrer Arbeitsplätze erfolgreich beendet. Unmittelbares Ergebnis des von vielen Aktionen geprägten Arbeitskampfs ist,
dass der Thyssen-Krupp-Konzern das Werk nicht wie geplant an den Arbed-Konzern verkaufen konnte, der die erklärte Absicht hatte, es
in 2-3 Jahren still zu legen. Unter dem Druck der Belegschaft musste der Konzern die Salzgitter AG als neuen Eigentümer akzeptieren, mit
der Folge, dass der erzielte Kaufpreis ca. 30-40 Mio. DM niedriger war. Diese beabsichtigt die Salzgitter AG nun, in das Werk zu investieren,
weil die langfristige Fortführung der Produktion zu ihrer Konzernstrategie passt. NORBERT BÖMER, BR-Vorsitzender bei HSP,
zieht Bilanz.
Wir haben uns erfolgreich in die Eigentumsfrage eingemischt. Unserem Kampf ist es zu verdanken, dass der Thyssen-
Krupp-Konzern gezwungen wurde, Arbeitsplätze vor den Verkaufspreis zu setzten. Wir haben praktisch unter Beweis gestellt, dass auch
kleine Belegschaften in einem Riesenkonzern sich erfolgreich gegen die Folgen der Globalisierungsstrategie wehren können. (HSP macht
gerade mal 0,3% vom Umsatz und hat 0,3% der Belegschaft des TK-Konzerns.)
Wir haben einer von uns sensibilisierten Öffentlichkeit
Verständnis geweckt, dass Unternehmensverkäufe mehr sind als ein Handel mit Gebrauchtwagen, weil in aller Regel das Schicksal
der Beschäftigten und ihrer Familien auf dem Spiel steht.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade große, sich
globalisierende Konzerne im Zeitalter der Analysten und Börsianer äußerst empfindlich auf ihr Image in der
Öffentlichkeit bedacht sind.
Eine witzige, leicht verständliche aber offensive
Öffentlichkeitsarbeit auch über neue Medien wie das Internet, gekoppelt mit breit gefächerten Aktionen ist ein entscheidender
Hebel in solchen Auseinandersetzungen.
Wir haben unter Beweis gestellt, dass ein offensiv agierender Betriebsrat
und ein gut organisierter gewerkschaftlicher Vertrauensleutekörper mit verteilten Rollen in der Lage sind, zusammen mit einer
kampferprobten Belegschaft eine Auseinandersetzung über Monate mit Fantasie und Ausdauer durchzustehen.
Herausragend bei den Kampfformen war die immer wieder unterbrochene
außerordentliche Belegschaftsversammlung, die über 60 Stunden auf dem Buckel hatte und sowohl im Betrieb wie auf der
Straße, im Rathaus und vor der Konzernzentrale stets unter den Augen der Öffentlichkeit und der Presse ablief.
Den Durchbruch brachte schließlich der achttägige Streik vom
19. bis 27.Oktober 1999. Zu ihm entschloss sich die Belegschaft, als erkennbar wurde, dass trotz aller Beteuerungen der Gegenseite das Werk
an den "Meistbietenden" verschachert werden sollte und damit alle 650 Arbeitsplätze auf der Abschussliste standen.
Dass die Belegschaft den Mut und die Entschlossenheit aufbrachte, trotz
Lohnverlusten von 500 bis 1200 Mark brutto den Streik acht Tage durchzuhalten, kam natürlich nicht aus heiterem Himmel. In den Jahren
1994 bis 1999 hat sie eine ganze Reihe von wichtigen Kampferfahrungen gemacht.
Eine große Rolle spielte dabei, dass die Betriebsrats- und
Vertrauensleutestrukturen nach Ausgliederung des Werks 1994 neu aufgebaut wurden, alte Bindungen an die SPD-Betriebsgruppe und die IG-
Metall-Ortsverwaltung wegbrachen und einige wenige linke Kollegen, die die Arbeitskämpfe der 80er und 90er Jahre in Dortmund und
Rheinhausen mitgemacht hatten, entscheidenden Einfluss auf die neu geschaffenen Strukturen nehmen konnten.
Dies hatte sich schon mehrfach gezeigt:
- bei zwei ganztägigen Streiks zum Thema Lohnfortzahlung;
- bei ganztägigen Arbeitsniederlegungen zusammen mit den
Bergarbeitern und ihrer Menschenkette 1996/1997;
- bei dem viertägigen Solidaritätsstreik anlässlich der
feindlichen Übernahme und der Fusion Thyssen-Krupp-Stahl Ostern 1997;
- bei zwei erfolgreichen Kampagnen und Kurzstreiks gegen die neue
Geschäftsführung von HSP 1997/1998;
- bei den Warnstreiks in den Tarifrunden der Eisen- und Stahlindustrie.
In der 670 Beschäftigte zählenden Belegschaft gibt es 60
gewählte IG-Metall-Vertrauensleute, von denen sich wöchentlich bzw. 14-tägig ca. 20-35 in der BR-Infostunde versammeln.
Nicht unerheblich ist, dass einige der aktivsten Kolleginnen und Kollegen auch fachlich Schlüsselstellungen im Betrieb einnehmen.
Seit Jahren pflegen Vertrauenskörper und Betriebsrat
überbetriebliche Kontakte, lokal, regional und zum Teil auch international.
Bewusst wurde der Kontakt zu den Belegschaften von
Konkurenzunternehmen gesucht (Arbed und British Steel). Dies war auch ein Hebel, mit dem während des achttägigen Streiks
relativ schnell rund 60000 Mark für den Streikfonds mobilisiert werden konnten. Nach Beendigung des Streiks konnte an ca. 250
Kolleginnen und Kollegen Unterstützung von bis zu 350 DM gezahlt werden.
Obwohl der Betriebsrat seit Jahren eine progressive und offensive Rolle
bei der Vertretung der Belegschaft spielt, steht die eigenständige Rolle und Aktivität des gewerkschaftlichen
Vertrauenskörpers nicht nur auf dem Papier. Es ist üblich und akzeptiert, dass unterschiedliche Auffassungen vor der Belegschaft
offen gelegt und zur Abstimmung gestellt werden. Dies wurde auch während des Streiks weitgehend so praktiziert. Ein
überstimmter BR-Vorsitzender oder VK-Leiter ist durchaus üblich und wird nicht als Prestigeverlust gewertet.
mit
- Petra Limburg, Mitglied der Vetrauenskörperleitung,
beschäftigt in der Datenverarbeitung;
- Kani Aktunc, Betriebsratsmitglied, beschäftigt am Hubbalkenofen;
- Norbert Bömer, BR-Vorsitzender.
Zu den Versuchen der
HSP-Belegschaft, auch von Stilllegung betroffene Belegschaften zum Widerstand zu ermuntern.
Petra Limburg:
So war es ja auch mit Kaiserstuhl. Die haben kampflos aufgegeben. Das
war während des Streiks, da sind wir hingefahren, und da hörten wir auch, dass die im September nächsten Jahres stillgelegt
werden. Wir haben mit den Betriebsräten gesprochen, die sagten nur, wir überlegen, wie wir das unseren Kollegen beibringen. Ich
sagte, das kann doch wohl nicht wahr sein, ihr müsst doch wenigstens was versuchen, ihr müsst doch kämpfen, ihr seid
fünfhundert Leute - das gibts doch gar nicht, man kann das doch nicht so einfach hinnehmen. Die sagten dann, dass sie nichts
machen. Wir waren morgens da mit zwölf, fünfzehn Leuten, und da durften auch nur zwei rein beim Betriebsrat. Ihr wart
nachmittags da zur Versammlung.
Norbert Bömer:
Die hatten eine Heidenangst, als wir mit unseren zwei Bussen ankamen und
zu der Belegschaftsversammlung reingekommen sind, wo denen die Stilllegung bekanntgegeben worden ist.
Zu den Erwartungen an IG
Metall und Konzernbetriebsrat
Norbert Bömer:
Nein, von den Kollegen drüben konnten wir nicht mehr erwarten, und
dann haben wir auch von der Taktik her - das gilt auch für die IG Metall - von anderen erstmal gar nichts erwartet. Wir haben alles auf
uns selbst konzentriert. Wir haben gesagt, was sollen wir uns frusten, dass andere uns nicht helfen - dann könnten wir uns auch
zurücklehnen, und dann wird nichts gemacht. Wir hatten auch keinen Bock, uns an anderen abzuarbeiten, nach dem Motto, ihr hättet
doch mehr für uns tun müssen, sondern wir haben gesagt, wir machen alles für uns selbst, und da machen wir möglichst
viel, und das war auch richtig.
Petra Limburg:
Wir waren in den umliegenden Betrieben, wir haben Flugblätter
verteilt, wir haben Faxe rausgeschickt, und es sind auch einige von anderen Firmen gekommen.
Kani Actunc:
Das Echo war sehr groß, auch bei den anderen Firmen ist der Streik
sehr gut angekommen, das hat der Vorstand auch sehr genau mitverfolgt, durch die Nachrichten und Zeitungen haben die das mitbekommen, und
da haben die ... na, Muffe brauchten sie nicht haben, aber wenn eine Reaktion auf uns danach noch gekommen wäre, das wussten sie nicht,
da haben sie doch ein bisschen Muffe gehabt.
Norbert Bömer:
Ja, die wollen jetzt 20000 Leute verkaufen, und haben bei 500, 600 schon
soviel Theater gehabt. So war auch unser Kalkül.
Zum Verhältnis Betriebsrat und Belegschaft
Kani Actunc:
Vom Betriebsrat und von den Vertrauensleuten ist gegenüber der
Belegschaft kaum gelogen worden, und diese Wirkung hat die Kollegen hundertprozentig hochgetrieben. Wenn der Betriebsrat das runtergeredet
hätte, wären die Kollegen nicht mit dieser Motivation in den Streik gegangen. Was vom Vorstand gesprochen worden war, kam
vom Betriebsrat nicht sofort raus, aber es kam immer, was die Kollegen wissen müssen, die Wirklichkeit, nicht irgendwas Gelogenes.
Die Wirkung davon war, dass die Belegschaft selbst in den Streik getreten ist. Der Betriebsrat hat nicht gefordert, dass sie streiken sollen, die
Kollegen haben selbst radikal darauf gedrungen, in den Streik zu gehen, und das war das Entscheidende, schätze ich. Ich weiß nicht,
wie es in anderen Betrieben aussieht, mit welcher Wirkung Betriebsräte arbeiten, aber bei uns ist das so, dass die Kollegen informiert
sind, wenn jemand was wissen will, der weiß es auch.
Zur Streikbeteiligung und Streikorganisation
Petra Limburg:
Wenn von der jetzigen Belegschaft die Auszubildenden und der
Außendienst abgezogen werden, dann noch die durchschnittliche Fehl- und Krankenquote, kommt man auf rund 450 Anwesende
während der letzten Wochen, von denen 365 am Streik teilgenommen haben. Bei den Arbeitern war die Beteiligung 100 Prozent.
Die Streikenden wurden in eigener Organisation erfasst, "Streikzeit
ist Arbeitszeit" war die Parole, das wurde auch in den Schichtenbüchern festgehalten. Die Kollegen waren meist zwischen 5,5 und
6,5 Tage im Streik, bei Bruttolohnverlusten zwischen 500 bis 1200 DM, durchschnittlicher Nettoverlust rund 700 DM. Der Betriebsrat hat
ebenfalls nicht gearbeitet, d.h. sie hatten genauso Lohnabzüge wie die anderen.
Nichtstreikende (z.B. aus der Notbelegschaft) haben aus ihrem Lohn
für den Streikfonds gespendet. Die IG Metall, die offiziell den Streik nicht unterstützen konnte (?), senkte die Beiträge der
Betroffenen für zwei Monate auf drei DM.
In dem Streikfonds kamen bis zum 23.11. ca. 60000 Mark zusammen, es
wird natürlich weitergesammelt. Es wurde ein Beirat gebildet, der die Vergabe der Gelder überwacht, Auszahlung ist nur an
Streikende mit Nachweis möglich, genaue Regeln wurden festgelegt.
Petra Limburg:
Der Streik an sich ist sehr gut gelaufen. Wir haben immer was
unternommen, auch am Wochenende waren zehn, fünfzehn Leute da, die sich abgewechselt haben. Von Tag zu Tag wurde es besser. Es
sind auch immer noch Leute dazu gekommen, die am Anfang nicht mitgestreikt haben, wir wurden mehr und nicht weniger.
Norbert Bömer:
Das war auch an den Toren gut organisiert. Die Meister haben ihre
Schichtenbücher dabei gehabt und die Schichten registriert. Die Vertrauensleute haben Buch geführt, wer da und wer nicht da war,
haben eigenverantwortlich Aufgaben übernommen. Da wirkten auch die Erfahrungen, die Gerd Pfisterer aus Rheinhausen mitgebracht hat,
aber das meiste lief von selbst.
Wie den Streik erfolgreich beenden?
Rolf Euler:
Nochmal zum Ende des Streiks. Es gab für den Betriebsrat das
Problem, dass er an bestimmte Sachen gebunden bist. Ihr habt zwar gesagt, dass ihr euch nicht daran gehalten habt, aber in so einer Phase gibt
es dann doch Kontroversen auf der Belegschaftsversammlung.
Petra Limburg:
An dem Morgen, als wir aufgehört haben, hatten wir die
Streikversammlung unten vor dem Tor gemacht, alle Kollegen konnten sich äußern. Einige haben auch ihre Meinung gesagt, dann
wurde abgestimmt. Es gab ja einige, die gearbeitet haben; auf unsere Streikversammlung kamen auch immer die, die am arbeiten waren. Aber
wir haben nur unter den Streikenden abgestimmt: "Streiken wir weiter, oder nicht?" Das Ergebnis war halbe-halbe. Wir sind dann
in die Belegschaftsversammlung gegangen, da kam auch noch der Rest, und wir haben Bescheid gegeben, dass wir wieder arbeiten.
Norbert Bömer:
Die Kontroverse lief am Tag vorher. Da trafen wir uns in der Vorgruppe,
also im Betriebsausschuss und in der Vertrauenskörperleitung - so vier, fünf Leute haben einiges vordiskutiert - und dann in der
Aktiven-Versammlung, wo die Vertrauensleute alle da waren - von da aus sind wir immer in die Streikversammlung gegangen. Am Dienstag
mittag konnten wir uns bis zur Streikversammlung nicht auf eine einheitliche Position einigen. Deshalb haben wir am Dienstag ausführlich
die unterschiedlichen Positionen dargelegt. Ich habe mich in der Kontroverse am weitesten vorgewagt, musste aber erkennen, das war noch
nicht tragfähig, das war weder Montag noch Dienstag tragfähig, obwohl ich glaubte, dass wir unserem Ziel ziemlich nahe waren,
dass wir schon was erreicht hatten - aber das braucht auch manchmal seine Zeit.
Das hängt auch davon ab, wer verhandelt mit dem Vorstand. Wir
haben zusätzlich Kollegen in die Verhandlungsgruppe delegiert. Ich habe gesagt, das geht nicht, dass der Betriebsrat fürs
Verhandeln zuständig ist und die Streikleitung für den Streik, da müssen auch welche aus der Streikleitung in die
Verhandlungsgruppe. So mussten wir den Gerd per Kampfabstimmung gegen seinen Willen überzeugen, dass er da mitreingehört.
Das war ein interner Diskussionspunkt. Der Gerd will fürs Kämpfen zuständig sein, und fürs Verhandeln sollen andere
zuständig sein.
Petra Limburg:
Aber entschieden haben immer die streikenden Kollegen, wir haben nur
Vorschläge unterbreitet, im Endeffekt haben wirklich alle streikenden Kollegen abgestimmt. Es war nicht so, dass der Betriebsrat gesagt
hat, so müsst ihr das machen, oder die VKL hat gesagt, so müsst ihr das machen. Wir haben uns unsere Meinung gebildet, die
verschiedenen Positionen alle dargelegt, und die Streikenden haben dann entschieden.
Norbert Bömer:
Wir haben uns um eine Streitkultur bemüht, so dass die
unterschiedlichen Positionen auch akzeptiert wurden, und dass sie in Ruhe aufgelistet wurden. Allerdings hat der Betriebsrat am Dienstag
nachmittag, als der Druck kam, als angekündigt wurde, wir werden ausgesperrt, vier Leute werden rausgeschmissen, wir müssen
auf zwei Schichten runter, weil die Menge absackt, da hat der Betriebsrat gesagt, wir sind der Meinung, dass wir was erreicht haben, und dass
wir die Arbeit wieder aufnehmen. An der Stelle haben wir uns als Betriebsrat eindeutig positioniert und sind damit auch in die Diskussion vor
dem Tor reingegangen
Wer Interesse an der ausführlichen Streikdokumentation hat, kann sie beim Betriebsrat HSP unter
folgender Adresse beziehen: Hoesch Spundwand und Profil GmbH, Betriebsrat, Alte Radstr.27, 44147 Dortmund.