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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.5 vom 02.03.2000, Seite 7

Brühler Bahn-Unglück

Wer ist schuld?

Für den Eisenbahnunfall in Brühl am 6.Februar gibt es nach bisherigem Ermittlungsstand eine Reihe von Ursachen: die Ausbildung des Lokfürers, die ungewöhnlich lange und irreführende Bahnhofsdurchfahrt ("Lokführer-Falle"), die irreführenden schriftlichen Anweisungen und Signalisierungen sowie das Fehlen einer magnetischen Absicherung der Höchstgeschwindigkeit.
Die Medien haben sich eher auf einen Nebenaspekt des Unglücks konzentriert. Monitor dokumentierte die seit längerer Zeit geäußerte Vermutung, wonach es bei der Fahrt des Unglückszugs zwischen Brühl-Güterbahnhof und Brühl-Personenbahnhof auf dessen Wegstrecke - d.h. auf dem Gegengleis, worauf dieser wegen einer Baustelle umgeleitet worden war - ein mobiles Signal mit Tempo 90 als Höchstgeschwindigkeit gegeben habe. Darüber hinaus könnte ein weiteres mobiles Signal, das als Höchstgeschwindigkeit sogar 120 erlaubt hätte, "in der Nähe gelegen haben" (so die ermittelnde Staatsanwältin).
Diese Tatsache waren zuvor von der DB AG und dem Eisenbahnbundesamt - der Aufsichtsbehörde - abgestritten worden. Monitor konnte nun mit Filmaufnahmen belegen: Diese Signale gab es. Sie standen auch "in der richtigen Richtung", wenn man so will: in der falschen. Sie signalisierten dem Unglückslokführer des D203, er könne diese hohe Geschwindigkeit fahren. Als Grund dafür, dass es diese "mobilen Signale" gab, wird angegeben: Diese hätten erst für die Zeit nach Aufhebung der Baustelle gegolten, sie wären vom Gleisbautrupp zu früh aufgestellt worden.
Doch scheint dies nicht der entscheidende Aspekt zu sein. Denn die DB AG und das EBA haben ja Recht: Es mag noch so viele irreführende mobile Signale gegeben haben - entscheidend war das vorausgegangene Einfahrtssignal auf der Höhe des Brühler Güterbahnhofs, das Tempo 40 vorschrieb. Dieses wurde erst durch das Ausfahrtsignal am Ende des Brühler Personenbahnhofs aufgehoben. Bis dahin war Tempo 40 zu halten - was durch all die irreführenden und falsch gesetzten zusätzlichen Signale natürlich erschwert wurde.
Die Südddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau haben hervorgehoben, dass es möglicherweise "mündliche Absprachen zwischen Lokführern und Stellwerkern" gegeben habe, die Baustelle "mit hoher Geschwindigkeit zu passieren, ohne zuvor auf das linke [östliche] Nebengleis auszuweichen".
Auch diese Meldung hat Hand und Fuß. Ein solcher Vorgang würde, wenn er zutrifft, bedeuten, dass massiv und in Gruppenabsprache von Fahrdienstleitern und Lokführern gegen bestehende - bisher als "ehern" geltende - Regeln verstoßen worden wäre. Denn die Durchfahrt auf dem Gegengleis ohne auf das Nebengleis auszuweichen verstößt grundsätzlich gegen das Reglement der Bahn, da dieses Gegengleis über kein Ausfahrtsignal verfügt, das sich allein auf dem besagten Nebengleis befindet.
Der brisanteste Aspekt des Unglücks taucht jedoch nur andeutungsweise im Kölner Stadtanzeiger vom 19.2. auf: "Wenn allerdings bekannt wird, dass es Zweifel an der Qualität der Lokführerausbildung gibt und dass die Verringerung der Zahl der Lokführer zu einem dramatischen Anstieg der Überstunden (also der menschlichen Belastung) geführt hat … dann muss eben doch nach der Verantwortung der Bahn gefragt werden."
Das ist allzu zaghaft formuliert. Es ist nicht nur die Ausbildung, an deren Qualität es "Zweifel" gibt. Der Führer des Unglückszugs hatte - übersetzt in die Umgangssprache - schlicht "keinen Lokführerschein".
Der Vertreter des Eisenbahnbundesamts (EBA) stellte vergangene Woche vor dem Verkehrs- und Bauausschuss des Bundestags fest: Es gab bei der Wiedereinstellung des zuvor in Prüfungen der Bahn durchgefallenen Lokführers nur eine Art Schnellkurs, an dessen Ende keine Prüfung stand - weder eine praktische, noch eine theoretische. Stattdessen habe es "ein Fachgespräch mit neun Fragen" gegeben.
Der EBA-Vertreter stellte dies ausdrücklich in einen größeren Zusammenhang und deckte auf, dass sich die Aufsichtsbehörde seit Sommer 1999 genau bei dem sensiblen Punkt Lokführer im "Widerspruchsverfahren" mit der DB AG befindet. Bahnchef Mehdorn hat auf derselben Sitzung den EBA- Vertreter in ungewöhnlich scharfer Form angegriffen und sich dabei "verbeten", dass dieser aus einem "internen Briefwechsel" zwischen dem EBA und dem für Personalfragen verantwortlichen Vorstandsmitglied Föhr zitierte.
Angesichts der Tatsachenfeststellungen zur Ausbildung der Lokführer bei der Bahn musste Mehdorn allerdings indirekt dem EBA-Vertreter Recht geben. Nach der Ausschusssitzung nahmen verschiedene Ausschussmitglieder auf den Eklat Bezug - so kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Fischer, Mehdorns unverantwortliche Kritik am EBA.
Die Feststellungen des Eisenbahnbundesamts in Sachen Lokführerausbildung sind weitreichend. Wenn das EBA diese öffentlich nicht wiederholt, dann dürfte der Grund darin liegen, dass dieses Bundesamt vom Bundesverkehrs- und Bauministerium bzw. von Minister Klimmt unter Druck gesetzt wird. Doch genau deshalb müsste es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit geben.
Eine Aufsichtsbehörde, die maßgeblich für die Sicherheit im Schienenverkehr verantwortlich ist, kann ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn sie bei einem solch sensiblen Thema zum Schweigen gebracht werden kann. Und die Ausssage des EBA lautet schlicht und einfach: Nicht nur der fragliche Lokführer hatte nach dem bisher geltenden Reglement der Bahn und des EBA keine Berechtigung zum Führen einer Lok im Personenfernverkehr.
Die Deutsche Bahn AG will generell die Ausbildungsstandards weiter senken und hat voraussichtlich weitere Lokführer nach solchen gesenkten Standards eingestellt.
Sollte sich dies bewahrheiten, dann ist dies schlicht kriminell. Und die Verantwortlichen für das Brühler Unglück und für den Abbau von Sicherheit im Schienenverkehr sitzen ganz oben.

Winfried Wolf


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