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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.5 vom 02.03.2000, Seite 8

‘Großzügig‘ und ‘humanitär‘?

Die Bilanz der rot-grünen Asylpolitik fällt mager aus

Bewegung in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik hatte die rot-grüne Regierung zum Amtsantritt versprochen. Neben der Einführung eines neuen Staatsbürgerrechts, dem sog. Doppelpass, kündigte sie vor allem eine großzügige "Altfallregelung" für hier lebende Flüchtlinge und eine liberalere Asylpolitik an. Daraus ist bisher nichts geworden.
Am 18./19.November beschloss die Konferenz der Innenminister der Länder eine sogenannte Altfallregelung für lange in der BRD lebende Flüchtlinge und abgelehnte AsylbewerberInnen. Diesen sollte ein gesichertes Bleiberecht zugestanden werden, "großzügig" und "humantär", so die Ankündigungen der rot-grünen Koalition.
Daraus wurde nichts. Schon im Vorfeld hatte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) angekündigt, mehr als 20000 Menschen würden wohl nicht in den Genuß eines Bleiberechts kommen, Flüchtlingsinitiativen gehen von noch wesentlich weniger aus. Lediglich 5000 werden es sein, so die Schätzung von PRO ASYL. Eine Zahl, die auch nach Ansicht des Multikulturellen Zentrums Trier realistisch ist. 1996 profitierten von den ebenfalls anvisierten 20000 Menschen lediglich 7800 von der damaligen Altfallregelung.
Um überhaupt in den Genuss der Regelung zu kommen, müssen Flüchtlingsfamilien mit minderjährigen Kindern vor dem 1.Juli 1993, Alleinstehende und Kinderlose vor dem 1.Januar 1990 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Sie müssen nachweisen, dass sie den Lebensunterhalt für die gesamte Familie durch legale Arbeit selbst bestritten haben, ohne Sozialhilfe oder auch ergänzende Sozialhilfe zu beziehen - unabhängig davon, ob sie sozialhilfeberechtigt waren. Weiterhin müssen sie ausreichend Wohnraum vorweisen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt haben.
Das freilich ist nicht so einfach angesichts des in vielen Bundesländern geltenden Arbeitsverbots für Asylsuchende und Flüchtlinge. So werden in Berlin aufgrund dieses Verbots nur etwa 30 Familien von der Regelung profitieren. Das teilte die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) Mitte Dezember mit. "Damit will ich mich nicht zufrieden geben", so John weiter. Denn die Altfallregelung helfe gerade jenen Menschen nicht, die nicht in ihre Heimatländer zurück könnten. "Diese Menschen müssen ohnehin in der Bundesrepublik bleiben. Für sie steht nur die Frage, unter welchen sozialen Bedingungen sie bleiben", so John wörtlich.
Doch auch ohne das Arbeitsverbot ist die Erfüllung der Voraussetzungen schwer genug: Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, mit lediglich monatlich geltenden Aufenthaltsgenehmigungen versehen, ist es gerade für Familien mit Kindern schwer, zumindest das Mindesteinkommen zu verdienen. Ganz zu schweigen davon, damit auch noch "ausreichenden Wohnraum" anmieten zu können.
"Der neuen Altfallregelung fehlt es an Großzügigkeit und an einer humanitären Perspektive. Sie benachteiligt vor allem die sozial Schwächeren, Alleinerziehende und kinderreiche Familien", bilanziert deshalb das Diakonische Werk in Augsburg. Im Vergleich mit früheren Altfallregelungen sei die neue Bestimmung in einigen Punkten sogar noch härter ausgefallen.
Hier ist vor allem die "Stichtagsregelung" zu nennen. Die Voraussetzungen zur Anerkennung als Altfall müssen bereits am 19.November 1999, dem Tag der Innenministerkonferenz, erfüllt sein. Wegen der Schwierigkeiten der Flüchtlinge bei der Arbeitssuche - sie dürfen nur arbeiten, wenn keine Deutsche oder hier lebender Ausländer bereit steht - wurden 1996 Übergangsfristen eingeräumt. Es reichte, wenn die Betroffenen einem Arbeitgeber vorweisen konnten, der sie bei festem Bleiberecht einstellen würde. Pech beispielsweise für den Liberianer Mahamadu Seidu. Ihm entzog das Hamburger Arbeitsamt im April 1998 die Teilzeit-Arbeitserlaubnis, damit seine Arbeit in einem Mövenpick-Restaurant von nun an ein Deutscher machen könne. Gegen den Willen der Restaurantleitung. Seitdem bezieht Seidu Sozialhilfe, nun soll er - nach elf Jahren in Deutschland - abgeschoben werden. Als "Altfall" gilt er nicht.
Damit teilt er das Schicksal fast aller Flüchtlinge in Hamburg. Lediglich zwei seien bislang als "Altfälle" anerkannt worden, teilte Mahmut Erden von der Hamburger GAL der Taz mit. Sie arbeiten am Flughafen als Übersetzer für MuttersprachlerInnen aus Pakistan und Sri Lanka.
Innenminister Schily ist derweil auch in der eigenen Partei in die Kritik geraten. Der Parteitag der SPD am 9.Dezember 1999 forderte eine großzügigeres Asylrecht und eine generelle Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge. Die Mehrheit der Delegierten forderte außerdem ein erweitertes Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber und eine großzügigere Anerkennung bei Asylanträgen. Mit Schilys Aussage, wonach mehr als 90% der Asylbewerber Wirtschaftsflüchtlinge seien, sei "der programmatische Boden der deutschen Sozialdemokratie verlassen worden", betonte der Parteitag. Schily habe damit "der in der Bundesrepublik latent vorhandenen Fremdenfeindlichkeit Vorschub geleistet".
Schily zeigte sich davon allerdings wenig beeindruckt. "Ein Parteitag beschließt so manches", konstatierte er trocken und macht weiter wie bisher. So traf er sich am 1.Februar mit dem seinem französischer Amtskollege Jean-Paul Chevènement, um über die "Grenzen der Belastung" durch Zuwanderung zu sprechen. Das Ergebnis: Im Laufe der im Sommer beginnenden französischen EU-Ratspräsidentschaft sollen vor allem die nationalen Abschiebepraxen europaweit angeglichen und verschärft werden.
Auch weigert er sich nach wie vor, die noch aus der Kohl-Zeit kommenden Vorbehalte der Bundesregierung gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen. Deutschland verstößt mit seinem restriktiven Ausländerrecht gegen mehrere Artikel dieser Konvention. In einem Gespräch mit der "National Coalition für die Umsetzung der Konvention" am 22.Februar ließ Schily verlauten, er halte er nichts von Symbolik und befürchte für das Ausländerrecht unliebsame Konsequenzen. Welche das sein sollen, konnte Schily allerdings nicht sagen. Damit ignoriert der Innenminister weiter Beschlüsse seiner eigenen Partei und des Bundestags.
Der grüne Koalitionspartner schweigt derweil. Lediglich die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Marieluise Beck, übt sich in Schönreden. Die Altfallregelung sei ein "erfolgreicher Kompromiss" und ein "Teilerfolg für die Integration". Ebenso das neue StaatsbürgerInnenrecht: Eine Million neuer StaatsbürgerInnen erwartet Beck im Jahr 2000. Schilys Ministerium sieht das freilich anders. Hier geht man von lediglich rund 200000 AntragstellerInnen jährlich aus. Das wären gerade mal doppelt so viele wie bisher.

Gerd Riesselmann


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