Sozialistische Zeitung |
Wer erinnert sich nicht an den Abend des 24.November 1999? Vor einer Frankfurter Konzernzentrale nur
strahlende Gesichter - beim Bundeskanzler, Vorstandsboss, Gewerkschaftschef, Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, umrahmt von Hunderten
jubelnden "Holzmännern", garniert mit Danksagungen an Bankmanager ob der gezeigten "volkswirtschaftlichen
Verantwortung". Der große "Pakt zwischen Staat, Kapital und Arbeit" scheint geschlossen: Die Banken riskieren 3,7
Milliarden Mark, von denen 0,25 der Bund verbürgt bzw. kreditiert, die Beschäftigten opfern 0,245 Milliarden. Überall
Friede, Freude ...
Wie sieht es ein Vierteljahr später aus? Das Puzzle der bisher
bekannt gewordenen Fakten erlaubt eine Zwischenbilanz über Verlierer und Gewinner. Und die ist nicht nur gesellschaftspolitisch
niederschmetternd, sie fällt größtenteils auch erstaunlich weit entfernt von der veröffentlichten Meinung aus.
Nicht überrascht, dass Bundeskanzler Schröder sich mit seinem
Scheckbuch-Engagement politisch sanierte. Schon eher, dass die 250 Bundes-Millionen nicht sein eigentliches Druckmittel waren, diese
vermutlich niemals fließen und die Firma Holzmann dennoch überleben wird.
Ebenso wenig erstaunt, dass die bisherigen Holzmann-Aktionäre
bluten müssen. Nicht nur, dass der Kurs ihrer Aktie von rund 125 Euro vor Bekanntwerden der Fast-Pleite um rund 100 Euro sackte, sie
werden durch den mittlerweile vollzogenen Kapitalschnitt auf 1/26 der bisherigen Anteile am Grundkapital auch von künftig vielleicht
wieder gezahlten Dividenden kaum profitieren. Das ist insbesondere für die rund 5000 Holzmann-Belegschaftsaktionäre hart, deren
Zubrot fürs Alter damit futsch sein dürfte.
Schon erstaunlicher ist, dass ausgerechnet die Bundesverbände der
deutschen Industrie (BDI) und der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) 55,2 Millionen Mark für Holzmann "stiften".
Sie sind nämlich Träger des Pensionssicherungsvereines (PSV), der bis 2003 die Hälfte der Kosten der laufenden
Holzmann-Betriebsrenten übernimmt. Dieses Geld dürfte aus Sicht der Spitzenverbände der Wirtschaft wahrlich gut angelegt
sein, wenn man sich die skandalösen Folgen der "Operation Holzmann" vom November 1999 vor Augen
führt:
Gewinner und Verlierer
Hauptverlierer sind die abhängig Beschäftigten in ihrer Gesamtheit. Denn
der Fortbestand von maximal zwei Dritteln der inländischen Holzmann-Jobs und die soziale Abfederung für die dort Gefeuerten
wird absehbar den Zusammenbruch des Flächentarifvertragsystems nach sich ziehen, der im Bauwesen beginnt, sich aber in andere
Branchen fortpflanzend - zumindest wenn nicht umgehend und energisch gegengesteuert wird.
Hauptgewinner der Affäre dürften die Banken sein. Sie
investieren zwar Milliarden. Nur hätten sie diese auch ohne die Opfer der Beschäftigten und der Kleinaktionäre aufgebracht.
Denn auf dem Spiel standen und stehen noch viel mehr Milliarden - schon gezahlte Krediten an Holzmann, vor allem aber der Gewerbe-
Immobilienmarkt insgesamt, insbesondere in Ostdeutschland.
Indem sie ihre eigenen Risiken mindern, sichern die Banken zugleich die
Interessen der Immobilienbesitzer - vom Wirtschaftsboss bis zum Zahnarzt oder Rechtsanwalt "um die Ecke", die zur
Steuervermeidung ihr Geld in Neubauten, vorzugsweise in den neuen Ländern, pumpten, weil die Regierung sie mit ihrer Steuerpolitik
Anfang der 90er Jahre regelrecht dazu aufforderte.
Überhoben
Die Wurzeln des Beinahezusammenbruchs der Philipp
Holzmann AG 1999, des zumindest in den letzten Jahren umsatzstärksten deutschen Baukonzerns (Geschäftsjahr 1998: 4,953
Milliarden Euro) reichen ins Anfang dieses Jahrzehntes zurück.
Damals verließ Holzmann seine Kernkompetenz, was ihm das Genick
brechen sollte. Der Konzern baute nicht mehr länger nur für Auftraggeber, er baute zunehmend, um selbst zu vermarkten, und wurde
im großen Stil Bauträger. Geld zum Bauen schien - insbesondere in Ostdeutschland - plötzlich mehr als genug vorhanden:
Kernstück des "Aufbaus Ost" waren seit 1991/92 steuerliche Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Neubauten
aller Art. Wer Steuern sparen wollte, der investierte in Immobilien. Allein durch diese steuerliche Regelung soll die veranlagte
Einkommensteuer von 41,5 Milliarden Mark 1992 auf knapp 14 Milliarden 1995 zurückgegangen sein. Die Folge dieser törichten,
von der PDS seinerzeit heftig kritisierten Regel, die erst 1997 zurückgenommen wurde, sind die allerorts leerstehenden Gewerbe- und
Büroneubauten. Die sind aber zumeist für die Anleger kein Problem - solange der Bauträger nicht pleite ist. Denn ohne
dessen Mietgarantien hätten sie ihr Geld seinerzeit nicht herausgerückt.
Solche Zahlungen für gar nicht oder billiger als kalkuliert vermietete
Objekte haben bei Holzmann gigantische Löcher gerissen: 3,3 Milliarden Mark Verluste stammten bis Ende 1998 aus übriger
Geschäftstätigkeit, weitere 2,4 Milliarden wurden plötzlich Anfang November 1999 aus alten Projekten von vor 1997
"identifiziert" - und führten zum Offenbarungseid des Konzerns.
Eine - zumindest für die Banken - größere Bombe als die
Lage des Unternehmens lauert im Osten, wo Holzmann auf Hunderten unvermietbaren Gewerbeobjekten sitzen soll. Mindestens die Hälfte
der Holzmann-Mietgarantien sind durch Bankbürgschaften gesichert - statt des Konzerns müssten nun die Deutsche Bank & Co.
an die Anleger löhnen. Zum anderen gilt - und das ist für die Banker noch dramatischer: Sollte Holzmann pleite gehen, so
heißt es in Makler-Kreisen, würden die Gewerbemieten in ganz Ostdeutschland auf "unter zehn Mark warm" fallen. Die
Folgen eines solchen Zusammenbruchs durch die plötzliche Schwemme von zu verramschenden Immobilien für die Töchter
der Großbanken kann sich jeder selbst ausrechnen (die für die Gewerbemieter ebenfalls…).
Dieser Zusammenhang, der übrigens erst Mitte Januar beiläufig
in einem kleinen Beitrag der Wirtschaftswoche erwähnt wurde, macht erklärlich, warum das Bankenkonsortium trotz viel Geschrei
und Drohgebärden wegen ausstehender Staatsknete bis Ende Januar anstandslos die zugesagte Soforthilfe von einer Milliarde Mark
überwies und Mitte Februar weitere 1,265 Milliarden frisches Kapital einzahlte. Schließlich geht es für sie tatsächlich
um mindestens zweistellige Milliardenbeträge...
Überflüssige Zusagen
Von dieser Zwangslage der Banker,
die ihnen offenbar selber erst in den letzten Wochen klargeworden ist, konnte der Bundeskanzler sicherlich nichts wissen, als er am
24.November mit seinem Millionenangebot im Koffer nach Frankfurt eilte. Doch hätte Schröder ein anderes,
zugegebenermaßen kleineres "Problem" der Banken klar sein müssen, das öffentliche Subventionen verzichtbar
gemacht hätte: ihre Kredite im Lichte des neuen, seit Anfang 1999 geltenden Insolvenzrechts. Dazu hätte ein Blick ins Gesetzblatt
und in den letzten Holzmann-Geschäftsbericht - zwei Klicks ins Internet - genügt. Der Konzern hatte Ende 1998 knapp 2,7
Milliarden Mark Bankkredite laufen, hinzu kamen rund drei Milliarden weitere Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten u.a., die
ebenfalls von Banken kreditiert waren. Diese Milliarden wären nach neuem Konkursrecht trotz ihrer teilweisen Besicherung allesamt
keine privilegierte Forderungen mehr gewesen. Statt auf die direkte Befriedigung von Gläubigeransprüchen setzt das neue Recht
nämlich auf rigide betriebswirtschaftliche Einzelprüfung jedes Bestandteils des Konkursunternehmens, um ein Maximum an
Wirtschaftstätigkeit und damit auch Arbeitsplätzen zu erhalten.
Schröder setzte den Bankern aber nicht die "politische
Pistole" auf die Brust, sondern spendierte Millionen-Zusagen. Vermutlich damit er als handfest "Tätiger" ins
Blitzlichtgewitter der Rettungs-Bekanntgabe treten konnte. Und weil es ihm um das politische Signal "alle - Staat, Banken, Arbeitnehmer -
ziehen an einem Strang" ging; Holzmann als Ableger des "Bündnisses für Arbeit". Dieses Hohelied auf den
"rheinischen Kapitalismus" wird den "Arbeitnehmern" aber noch als billiges Linsengericht sauer
aufstoßen.
Tarifpolitischer GAU
Vielleicht wussten die Banker und Vorständler Mitte November
tatsächlich noch nicht, wie existenziell für sie selbst die drohende Pleite würde. Was sie aber offensichtlich sofort begriffen:
Das ist die Gelegenheit, ihre "Sozialpartner" über den Tisch zu ziehen. Schon am 16.November stand fest, dass die
Beschäftigten mit bis zu einer Viertelmilliarde Mark zur Sanierung beitragen "wollten" - erst am 17. tagte der Aufsichtsrat,
erst für den 18. waren die Verhandlungen des Banken-Konsortiums geplant. Dieses hatte es dann prompt nicht mehr so eilig, vertagte sich
auf den 21., um seine Gespräche am darauffolgenden Morgen im Streit um 2-3% des eigenen Sanierungsanteils erst mal platzen zu lassen.
Zwei Tage später rettete dann der Kanzler, und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Mahneke feierte mit. Aber auch IG-BAU-Chef
Wiesehügel - obwohl er doch durch seinen Stellvertreter und Holzmann-Aufsichtsrat Laux inzwischen hätte im Bilde sein
müssen.
Tage später kam man in der Gewerkschaftszentrale langsam ins
Grübeln. Da hatten die Banker aber mittlerweile "Nägel mit Köpfen" gemacht: Immer mit der - inzwischen
garantiert wider besseren Wissens - ausgesprochenen Drohung des Kreditentzugs wurden am 2.Dezember vom Konzernbetriebsrat und am
10.Dezember von den Betriebsräten der einzelnen Holzmann-Unternehmen förmliche Vereinbarungen über die
"Arbeitnehmer-Sanierungsbeiträge" unterschrieben, mit derselben via Schröder übermittelten Drohung am
19.Dezember auch der IG-BAU-Vorsitzende Wiesehügel an den Verhandlungstisch mit dem Holzmann-Management gezwungen.
In sechswöchigen, gewiss zähen, Verhandlungen gelang es der
Gewerkschaft, den "Pro-Kopf-Beitrag" von ursprünglich 28000 auf 11000 Mark herunterzuhandeln. Eine zusätzlich zur
Mehrarbeit verlangte Lohnsenkung um 9 % kam vom Tisch.
Für die ihren Job Verlierenden erreichte die IG BAU ein Ergebnis,
von dem Bauarbeiter zusammenbrechender kleinerer Betriebe gemeinhin nur träumen können. Auch die nach Tarif bezahlten
"Holzmänner" können mit dem Ergebnis finanziell vielleicht leben. Verheerend ist aber die unbezahlte Mehrarbeit
für die Beschäftigten der gesamten Branche, die gegenwärtig vor neuen Tarifverhandlungen steht. Es seien nur wenige Fakten
genannt, welche die Dramatik der Situation beleuchten:
Von 1995 bis 1999 sank die Zahl der Beschäftigten im Bau von 1,4
auf 1 Million. In Ostdeutschland, wo die Arbeitslosenquote in der Branche schon jetzt zwischen 26 und 37% beträgt, liegt die
Baukapazität trotzdem immer noch um ca. 50% über der Nachfrage. 135000 ausländische Bauarbeiter arbeiten derzeit legal
in der Bundesrepublik. Der tarifliche Mindestlohn beträgt 16,28 Mark - in Südbrandenburg wird teilweise für 10 Mark pro
Stunde gearbeitet.
Klaus Wiesehügel kann noch so vehement ordentliche
Lohnerhöhungen verlangen - die Basis zu ihrer Durchsetzung war schon vorher volkswirtschaftlich denkbar schlecht, mit Holzmann hat
die Gewerkschaft sie sich endgültig wegschlagen lassen. Die losgetretene Dynamik musste Wiesehügel bei Abschluss der
Holzmann-Verhandlungen Ende Januar selber einräumen: Er werde wieder Verhandlungen über Sanierungstarifverträge
führen, falls andere Bauunternehmen in ähnliche Existenzkrisen geraten sollten. Ignaz Walter, Präsident des Hauptverbandes
der Deutschen Bauindustrie (und Chef des bisher zweitgrößten deutschen Baukonzerns) sagte vor wenigen Tagen einem
Wirtschaftsmagazin: "Für die Bauwirtschaft und für den Verband hat Holzmann tatsächlich eine Steilvorlage geliefert.
Wir gehen diesmal gestärkt in die Tarifverhandlungen mit der IG BAU. Sicherlich wird es kein einfaches Unterfangen geben, aber eine
tarifpolitische Wende schon." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen - zumal die "Wende" auch im politischen Raum
massiv flankiert wird.
Das zeigte sich bereits in den einschlägigen Bundestagsdebatten im
November/Dezember; insbesondere die FDP nahm Holzmann zum Anlass, eine "Flexibilisierungsoffensive am Arbeitsmarkt"
einzuläuten. Und die Regierung versteckte sich auf entsprechenden Anfragen hin hinter der Tarifautonomie…
Holzmann darf aber nicht das Einfallstor für die endgültige
Aushebelung des Flächentarifvertrags werden. Das ist nicht nur eine tarifpolitische, sondern auch eine wettbewerbspolitische Frage.
Schon heute zahlen 8% der Baufirmen weniger als die festgesetzten Mindestlöhne - von Tariflöhnen ganz zu schweigen. Wenn
über Holzmann das Tarifgefüge ausgehebelt wird, konkurriert sich die Branche zu Tode und der Virus wird sich auf die gesamte
Wirtschaft ausbreiten - mit fatalen gesellschaftlichen Folgen.
Würde in der Baubranche flächendeckend nur die Hälfte
des "Holzmann-Opfers" durchgesetzt, so bedeutete das für die Beschäftigten einen jährlichen Lohnverlust von
mindestens drei Milliarden Mark - für eine Vorleistung in einem einzelnen Unternehmen, die nach Lage der Dinge gar nicht nötig
war! Kein Wunder, dass BDI und BDA dafür gern mal 55 Millionen springen lassen, zumal die ganze Operation auch noch den Beifall
der Öffentlichkeit fand und nicht zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führte.
Solche "Tarifpolitik" einer verschärften Ausbeutung der
den Mehrwert Schaffenden ist aber nicht nur unsozial, sondern auch volkswirtschaftlich fatal. Schließlich werden damit jene
geschröpft, deren Einkommen tendenziell stärker in den laufenden Konsum fließen. So schwächt man die
Binnennachfrage als Rückgrat einer Volkswirtschaft und lamentiert im selben Atemzug über wachsende Suche des
verfügbaren Kapitals nach Anlagen im Ausland…
Rolf Kutzmutz
Rolf Kutzmutz ist wirtschaftspolitischer Sprecher der
PDS-Bundestagsfraktion.