Sozialistische Zeitung |
Über das globale Abhörsystem Echelon kursierten über Jahre nur Gerüchte:
Gemeinsam mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland würden die USA alle Telefongespräche, Faxe und E-
Mails abfangen und nach Stichwörtern durchsuchen. Die beschuldigten Staaten wiederum haben die Existenz von Echelon weder
bestätigt noch dementiert. Doch 1999 gab Martin Brady, Leiter des australischen Geheimdienstes Defence Signals Directorate (DSD), die
Existenz von Echelon zu. Anfang 2000 publizierte die George-Washington-Universität zwei US-Regierungsdokumente im Internet, die im
Rahmen des "Freedom of Information Act" freigegeben worden waren. Darin zu finden war auch der Begriff
"Echelon".
Die Geschichte von Echelon geht zurück auf das UKUSA-Abkommen, das die USA im Jahre 1948 ins
Leben riefen, um die Funkaufklärung gegen den Warschauer Pakt effektiver zu gestalten. In den folgenden Jahren wurde ein Netz von
Abhörstationen errichtet, darunter eine in Menwith Hill in Großbritannien und eine in Bad Aibling in Westdeutschland. In den 70er
Jahren wurden diese Abhörstationen und ihre Computer miteinander vernetzt und durch ein Wörterbuch ergänzt. Alle
Nachrichten wurden nun nach Schlüsselbegriffen durchsucht, Echelon war geboren. Die maschinell herausgefilterten Nachrichten wurden
anschließend von Mitarbeitern ausgewertet.
Obwohl Echelon offiziell nie erwähnt wurde, gab es immer wieder
Berichte, die auf die Existenz von Echelon hinwiesen. So erklärte 1988 eine ehemalige Mitarbeiterin der National Security Agency
(NSA), der Behörde, die die Abhörstationen in der ganzen Welt betreibt, dass ein amerikanischer Senator mit Hilfe des Echelon-
Systems abgehört worden sei. Doch endgültige Beweise blieben aus. Von Regierungsseite gab es keine Kommentare zu den
Anschuldigungen.
Furore gemacht hat Echelon wieder seit 1997 durch einen Bericht des
Europäischen Parlaments, der vom britischen Journalisten Duncan Campbell verfasst wurde. Campbell erhebt in dem Bericht den
Vorwurf, dass die NSA in Europa routinemäßig alle E-Mails, Telefongespräche und Faxe abfange und dabei vor allem
Wirtschaftsspionage betreibe. Seitdem befasst sich das Europäische Parlament mit dem Thema Echelon.
Welche Aufgaben hat
die NSA?
Campbell stützt die These der Wirtschaftsspionage allerdings nur auf teilweise recht kurze Presseberichte, wie im
Falle des Verkaufs von Airbus-Flugzeugen an Saudi-Arabien. Die NSA habe alle Faxe und Anrufe ausgewertet und dem amerikanischen
Rüstungsunternehmen Boeing/McDonnell Douglas einen Tip gegeben; das Unternehmen bekam letztlich auch den Zuschlag, so berichtete
jedenfalls die Baltimore Sun, Campbells einzige Quelle. Kritiker in den USA werfen Campbell vor, seine Anschuldigungen seien
übertrieben.
James Bamford, Autor eines Buches über die NSA (The Puzzle
Palace), hält die Annahme, dass die NSA europäische Unternehmen ausspioniert, nicht für realistisch. "Die NSA sorgt
sich nicht um Unternehmen in Brüssel. Sie sorgt sich um die Dinge, die auf der ersten Seite der Washington Post und der New York
Times zu sehen sind, nämlich Terrorismus und Kosovo", erklärte er.
Auch Steve Aftergood, Mitarbeiter bei der Federation of the American
Scientists (FAS), erklärte, ihm sei nicht bekannt, dass Industriespionage zur Politik der amerikanischen Geheimdienste gehöre.
Gleichwohl, dass Echelon für Industriespionage genutzt werden könnte, bestreitet niemand. Genau hier setzt auch Campbell an:
"Jeder macht es. Es überrascht mich, dass überhaupt irgend jemand denkt, es sei eine Überraschung."
Die NSA selber bestreitet die Vorwürfe. "Die National
Security Agency arbeitet in strikter Übereinstimmung mit US-Gesetzen und Verordnungen bei der Wahrung des Rechts auf
Privatsphäre von US-Bürgern", erklärte Judith Emmel, Sprecherin der NSA, am 7.Dezember 1999. "Ihre
Aktivitäten werden nach höchsten verfassungsmäßigen, gesetzlichen und ethischen Standards durchgeführt."
Die NSA bestreitet auch, dass sie technisch in der Lage sei, jede E-Mail,
jedes Fax und Telefongespräch in der Welt abzufangen und auszuwerten. Doch das zu erreichen ist ihr erklärtes Ziel. Das Stichwort
lautet "Information Warfare". Für die NSA ist globale Überwachung und Informationsbeschaffung Teil einer neuen Art
von Kriegsführung. Dazu NSA-Chef Michael V. Hayden: "Eine Informationsrevolution überschwemmt die Welt. Sie erzwingt
Wandel, der genauso radikal ist wie jener, der durch die Entwicklung der Atombombe hervorgerufen wurde. Genauso wie die Kontrolle
über industrielle Technologie in den letzten zwei Jahrhunderten der Schlüssel zu militärischer und wirtschaftlicher Macht
war, wird die Kontrolle über Informationstechnologie der Schlüssel zur Macht im 21.Jahrhundert sein." Als Ziel der NSA
benennt Hayden die "Informationsüberlegenheit für Amerika".
Die Möglichkeit, dass auch amerikanische BürgerInnen
abgehört werden, hat in den USA Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) auf den Plan
gerufen. "Bis jetzt ist Echelon eine Black Box", erklärte Barry S. Steinhardt, Mitarbeiter bei ACLU. "Es ist mehr als
vernünftig, anzunehmen - die bisherigen Exzesse vorausgesetzt -, dass es missbraucht werden dürfte."
Geheimdienst
ohne Kontrolle
1975 hatte der amerikanische Kongress die NSA zuletzt unter die Lupe genommen. Damals deckte ein Ausschuss auf,
dass die Regierung über 30 Jahre lang missbräuchlich Telegramme abgefangen hatte - innerhalb der USA. Außerdem wurden
im Amerika der 60er Jahre DissidentInnen belauscht.
1978 wurde der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA)
verabschiedet. Danach darf die NSA grundsätzlich keine US-amerikanischen StaatsbürgerInnen abhören, es sei denn sie hat
Grund zur Annahme, dass es sich um Spione handelt oder dass sie Verbrechen begangen haben. "Ich bin mir sicher, dass die NSA ihr
Mandat nicht überschreitet", schrieb NSA-Experte James Bamford letztes Jahr in der Washington Post. "Aber das bedeutet
nicht, dass sie ihr Mandat nicht überschreiten wird."
Für Bamford liegt das Problem darin, dass die derzeit geltenden
Gesetze wie FISA unzureichend sind und außerdem lange vor der letzten technischen Revolution im Kommunikationsbereich
verabschiedet wurden. FISA verbiete der NSA, amerikanische BürgerInnen abzuhören. Aber es verhindere nicht, dass der an
Echelon beteiligte britische Geheimdienst amerikanische BürgerInnen abhört und die Daten via Echelon an die NSA
übermittelt. Auch sei nicht klar, ob das Internet durch FISA abgedeckt ist. Unter Kommunikation fasst FISA Kommunikationsmittel wie
"Radio" und "Kabel". "Elektronische Kommunikation" komme als Begriff nicht vor. Das aber sei, so
Bamford, nach dem Electronic Communications Privacy Act von 1986 der Begriff, unter den das Internet
fällt.
Abhörkonflikt in der EU
In Europa haben die Regierungen bereits reagiert. Frankreich hat schon 1999
wirksamere Verschlüsselungstechniken zugelassen. Denn verschlüsselte Nachrichten können von einem System wie Echelon
nicht mehr erfasst werden. Auch Deutschland hat angekündigt, die Kontrollen für Verschlüsselungstechnologie zu lockern.
Die englisch-britische Spionage könnte für
Großbritannien noch zum Problem werden. Denn Großbritannien ist nicht nur Teilnehmer bei Echeleon, sondern auch Mitglied in
der EU. Das Ausspionieren von anderen EU-Mitgliedern wäre ein Verstoß gegen Maastrichter und Amsterdamer Vertrag.
"Die Beteiligung Großbritanniens an der Ausspionierung seiner europäischen Partner für die USA und mit ihr", so
Georges Sarre, Mitglied der französischen Nationalversammlung, "lässt ernsthafte und legitime Bedenken entstehen, weil
dies einen direkten Interessenkonflikt in der EU schafft". In Frankreich planen inzwischen Abgeordnete, die USA und
Großbritannien zu verklagen. Eine gemeinsame Klage ist in Vorbereitung.
Ende Februar trat der Sprecher des US-Außenministeriums, James P.
Rubin, die Flucht nach vorne an. "Die US-Geheimdienste werden nicht beschäftigt, um sich mit Industriespionage zu befassen, oder
um Handelsgeheimnisse zugunsten einer oder mehrerer US-Unternehmen zu erlangen", erklärte Rubin. Auch Großbritanniens
Premierminister Tony Blair beantwortete die Frage nach der Industriespionage mit einem einfachen: "Nein ist die kurze Anwort."
Die Beteiligung Großbritanniens an Echelon führte auch zu
einer Blockade bei der Verabschiebung des Europäischen Rechtshilfeabkommens. Einer der Streitpunkte war die
"Überwachung von Personen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten ohne deren technische Hilfe". Echelon-Land
Großbritannien hatte vorgeschlagen, dass der überwachende EU-Staat aus Gründen der "nationalen Sicherheit"
darauf verzichten kann, das betroffene Mitgliedsland zu unterrichten. Der Streit endete nach langen Verhandlungen am 2.Dezember 1999 mit
einem Kompromiss: Demnach gilt Informationspflicht bei ministeriellen Überwachungsordnungen, also bei Polizei, Zoll und Finanzamt.
Für Geheimdienste gilt die Informationspflicht nur, wenn diese den Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung helfen.
Am 27.März soll der Rat für Justiz und Inneres das neue
Rechtshilfeabkommen verabschieden. Das Europäische Parlament hat sich mehrheitlich gegen das Abhören ohne technische Hilfe
des betroffenen EU-Mitgliedstaats ausgesprochen. Letztlich bleibt das Votum des Europaparlaments allerdings folgenlos: die Entscheidung trifft
der Rat für Inneres und Justiz. Allerdings billigte eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments das Abhören
von BürgerInnen anderer EU-Staaten, sofern es mit Zustimmung und Unterstützung des betroffenen Mitgliedstaats geschieht.
Politische Netz-AktivistInnen haben bereits begonnen, Pläne gegen
das globale Abhören zu schmieden, das sie nicht nur wegen vermeintlicher Wirtschaftsspionage kritisieren. Ihr Ziel ist es, Echelon zu
sabotieren. Im letzten Herbst wurde im Internet der "Jam Echelon Day" ausgerufen. An einem bestimmten Tag sollten
möglichst viele Menschen möglichst viele E-Mails mit Begriffen wie "Bombe", "Attentat" oder
"Plutonium" verschicken. So sollte Echelon durch Überlastung zum Absturz gebracht werden. Funktioniert hat das dem
Vernehmen nach nicht. Duncan Campbell war schon vorher skeptisch. Echelon verarbeite jeden Tag Terabytes von Daten. "So sehr ich
die Aktion politisch begrüße, auf technischer Ebene wird sie nicht die kleinste Wirkung zeigen."
Dirk Eckert