Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000, Seite 5

Jäger und Sammler im globalen Dorf

Mit Echelon wird weltweit abgehört

Über das globale Abhörsystem Echelon kursierten über Jahre nur Gerüchte: Gemeinsam mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland würden die USA alle Telefongespräche, Faxe und E- Mails abfangen und nach Stichwörtern durchsuchen. Die beschuldigten Staaten wiederum haben die Existenz von Echelon weder bestätigt noch dementiert. Doch 1999 gab Martin Brady, Leiter des australischen Geheimdienstes Defence Signals Directorate (DSD), die Existenz von Echelon zu. Anfang 2000 publizierte die George-Washington-Universität zwei US-Regierungsdokumente im Internet, die im Rahmen des "Freedom of Information Act" freigegeben worden waren. Darin zu finden war auch der Begriff "Echelon".

Die Geschichte von Echelon geht zurück auf das UKUSA-Abkommen, das die USA im Jahre 1948 ins Leben riefen, um die Funkaufklärung gegen den Warschauer Pakt effektiver zu gestalten. In den folgenden Jahren wurde ein Netz von Abhörstationen errichtet, darunter eine in Menwith Hill in Großbritannien und eine in Bad Aibling in Westdeutschland. In den 70er Jahren wurden diese Abhörstationen und ihre Computer miteinander vernetzt und durch ein Wörterbuch ergänzt. Alle Nachrichten wurden nun nach Schlüsselbegriffen durchsucht, Echelon war geboren. Die maschinell herausgefilterten Nachrichten wurden anschließend von Mitarbeitern ausgewertet.
Obwohl Echelon offiziell nie erwähnt wurde, gab es immer wieder Berichte, die auf die Existenz von Echelon hinwiesen. So erklärte 1988 eine ehemalige Mitarbeiterin der National Security Agency (NSA), der Behörde, die die Abhörstationen in der ganzen Welt betreibt, dass ein amerikanischer Senator mit Hilfe des Echelon- Systems abgehört worden sei. Doch endgültige Beweise blieben aus. Von Regierungsseite gab es keine Kommentare zu den Anschuldigungen.
Furore gemacht hat Echelon wieder seit 1997 durch einen Bericht des Europäischen Parlaments, der vom britischen Journalisten Duncan Campbell verfasst wurde. Campbell erhebt in dem Bericht den Vorwurf, dass die NSA in Europa routinemäßig alle E-Mails, Telefongespräche und Faxe abfange und dabei vor allem Wirtschaftsspionage betreibe. Seitdem befasst sich das Europäische Parlament mit dem Thema Echelon.

Welche Aufgaben hat die NSA?

Campbell stützt die These der Wirtschaftsspionage allerdings nur auf teilweise recht kurze Presseberichte, wie im Falle des Verkaufs von Airbus-Flugzeugen an Saudi-Arabien. Die NSA habe alle Faxe und Anrufe ausgewertet und dem amerikanischen Rüstungsunternehmen Boeing/McDonnell Douglas einen Tip gegeben; das Unternehmen bekam letztlich auch den Zuschlag, so berichtete jedenfalls die Baltimore Sun, Campbells einzige Quelle. Kritiker in den USA werfen Campbell vor, seine Anschuldigungen seien übertrieben.
James Bamford, Autor eines Buches über die NSA (The Puzzle Palace), hält die Annahme, dass die NSA europäische Unternehmen ausspioniert, nicht für realistisch. "Die NSA sorgt sich nicht um Unternehmen in Brüssel. Sie sorgt sich um die Dinge, die auf der ersten Seite der Washington Post und der New York Times zu sehen sind, nämlich Terrorismus und Kosovo", erklärte er.
Auch Steve Aftergood, Mitarbeiter bei der Federation of the American Scientists (FAS), erklärte, ihm sei nicht bekannt, dass Industriespionage zur Politik der amerikanischen Geheimdienste gehöre. Gleichwohl, dass Echelon für Industriespionage genutzt werden könnte, bestreitet niemand. Genau hier setzt auch Campbell an: "Jeder macht es. Es überrascht mich, dass überhaupt irgend jemand denkt, es sei eine Überraschung."
Die NSA selber bestreitet die Vorwürfe. "Die National Security Agency arbeitet in strikter Übereinstimmung mit US-Gesetzen und Verordnungen bei der Wahrung des Rechts auf Privatsphäre von US-Bürgern", erklärte Judith Emmel, Sprecherin der NSA, am 7.Dezember 1999. "Ihre Aktivitäten werden nach höchsten verfassungsmäßigen, gesetzlichen und ethischen Standards durchgeführt."
Die NSA bestreitet auch, dass sie technisch in der Lage sei, jede E-Mail, jedes Fax und Telefongespräch in der Welt abzufangen und auszuwerten. Doch das zu erreichen ist ihr erklärtes Ziel. Das Stichwort lautet "Information Warfare". Für die NSA ist globale Überwachung und Informationsbeschaffung Teil einer neuen Art von Kriegsführung. Dazu NSA-Chef Michael V. Hayden: "Eine Informationsrevolution überschwemmt die Welt. Sie erzwingt Wandel, der genauso radikal ist wie jener, der durch die Entwicklung der Atombombe hervorgerufen wurde. Genauso wie die Kontrolle über industrielle Technologie in den letzten zwei Jahrhunderten der Schlüssel zu militärischer und wirtschaftlicher Macht war, wird die Kontrolle über Informationstechnologie der Schlüssel zur Macht im 21.Jahrhundert sein." Als Ziel der NSA benennt Hayden die "Informationsüberlegenheit für Amerika".
Die Möglichkeit, dass auch amerikanische BürgerInnen abgehört werden, hat in den USA Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) auf den Plan gerufen. "Bis jetzt ist Echelon eine Black Box", erklärte Barry S. Steinhardt, Mitarbeiter bei ACLU. "Es ist mehr als vernünftig, anzunehmen - die bisherigen Exzesse vorausgesetzt -, dass es missbraucht werden dürfte."

Geheimdienst ohne Kontrolle

1975 hatte der amerikanische Kongress die NSA zuletzt unter die Lupe genommen. Damals deckte ein Ausschuss auf, dass die Regierung über 30 Jahre lang missbräuchlich Telegramme abgefangen hatte - innerhalb der USA. Außerdem wurden im Amerika der 60er Jahre DissidentInnen belauscht.
1978 wurde der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) verabschiedet. Danach darf die NSA grundsätzlich keine US-amerikanischen StaatsbürgerInnen abhören, es sei denn sie hat Grund zur Annahme, dass es sich um Spione handelt oder dass sie Verbrechen begangen haben. "Ich bin mir sicher, dass die NSA ihr Mandat nicht überschreitet", schrieb NSA-Experte James Bamford letztes Jahr in der Washington Post. "Aber das bedeutet nicht, dass sie ihr Mandat nicht überschreiten wird."
Für Bamford liegt das Problem darin, dass die derzeit geltenden Gesetze wie FISA unzureichend sind und außerdem lange vor der letzten technischen Revolution im Kommunikationsbereich verabschiedet wurden. FISA verbiete der NSA, amerikanische BürgerInnen abzuhören. Aber es verhindere nicht, dass der an Echelon beteiligte britische Geheimdienst amerikanische BürgerInnen abhört und die Daten via Echelon an die NSA übermittelt. Auch sei nicht klar, ob das Internet durch FISA abgedeckt ist. Unter Kommunikation fasst FISA Kommunikationsmittel wie "Radio" und "Kabel". "Elektronische Kommunikation" komme als Begriff nicht vor. Das aber sei, so Bamford, nach dem Electronic Communications Privacy Act von 1986 der Begriff, unter den das Internet fällt.

Abhörkonflikt in der EU

In Europa haben die Regierungen bereits reagiert. Frankreich hat schon 1999 wirksamere Verschlüsselungstechniken zugelassen. Denn verschlüsselte Nachrichten können von einem System wie Echelon nicht mehr erfasst werden. Auch Deutschland hat angekündigt, die Kontrollen für Verschlüsselungstechnologie zu lockern.
Die englisch-britische Spionage könnte für Großbritannien noch zum Problem werden. Denn Großbritannien ist nicht nur Teilnehmer bei Echeleon, sondern auch Mitglied in der EU. Das Ausspionieren von anderen EU-Mitgliedern wäre ein Verstoß gegen Maastrichter und Amsterdamer Vertrag. "Die Beteiligung Großbritanniens an der Ausspionierung seiner europäischen Partner für die USA und mit ihr", so Georges Sarre, Mitglied der französischen Nationalversammlung, "lässt ernsthafte und legitime Bedenken entstehen, weil dies einen direkten Interessenkonflikt in der EU schafft". In Frankreich planen inzwischen Abgeordnete, die USA und Großbritannien zu verklagen. Eine gemeinsame Klage ist in Vorbereitung.
Ende Februar trat der Sprecher des US-Außenministeriums, James P. Rubin, die Flucht nach vorne an. "Die US-Geheimdienste werden nicht beschäftigt, um sich mit Industriespionage zu befassen, oder um Handelsgeheimnisse zugunsten einer oder mehrerer US-Unternehmen zu erlangen", erklärte Rubin. Auch Großbritanniens Premierminister Tony Blair beantwortete die Frage nach der Industriespionage mit einem einfachen: "Nein ist die kurze Anwort."
Die Beteiligung Großbritanniens an Echelon führte auch zu einer Blockade bei der Verabschiebung des Europäischen Rechtshilfeabkommens. Einer der Streitpunkte war die "Überwachung von Personen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten ohne deren technische Hilfe". Echelon-Land Großbritannien hatte vorgeschlagen, dass der überwachende EU-Staat aus Gründen der "nationalen Sicherheit" darauf verzichten kann, das betroffene Mitgliedsland zu unterrichten. Der Streit endete nach langen Verhandlungen am 2.Dezember 1999 mit einem Kompromiss: Demnach gilt Informationspflicht bei ministeriellen Überwachungsordnungen, also bei Polizei, Zoll und Finanzamt. Für Geheimdienste gilt die Informationspflicht nur, wenn diese den Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung helfen.
Am 27.März soll der Rat für Justiz und Inneres das neue Rechtshilfeabkommen verabschieden. Das Europäische Parlament hat sich mehrheitlich gegen das Abhören ohne technische Hilfe des betroffenen EU-Mitgliedstaats ausgesprochen. Letztlich bleibt das Votum des Europaparlaments allerdings folgenlos: die Entscheidung trifft der Rat für Inneres und Justiz. Allerdings billigte eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments das Abhören von BürgerInnen anderer EU-Staaten, sofern es mit Zustimmung und Unterstützung des betroffenen Mitgliedstaats geschieht.
Politische Netz-AktivistInnen haben bereits begonnen, Pläne gegen das globale Abhören zu schmieden, das sie nicht nur wegen vermeintlicher Wirtschaftsspionage kritisieren. Ihr Ziel ist es, Echelon zu sabotieren. Im letzten Herbst wurde im Internet der "Jam Echelon Day" ausgerufen. An einem bestimmten Tag sollten möglichst viele Menschen möglichst viele E-Mails mit Begriffen wie "Bombe", "Attentat" oder "Plutonium" verschicken. So sollte Echelon durch Überlastung zum Absturz gebracht werden. Funktioniert hat das dem Vernehmen nach nicht. Duncan Campbell war schon vorher skeptisch. Echelon verarbeite jeden Tag Terabytes von Daten. "So sehr ich die Aktion politisch begrüße, auf technischer Ebene wird sie nicht die kleinste Wirkung zeigen."

Dirk Eckert


zum Anfang