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Die Tarifverhandlungen in der Metallindustrie sind angelaufen. Sie beginnen mit einem seit Jahrzehnten
bekannten Ritual: Die ersten Verhandlungen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern, aber auch im norddeutschen Küstenbezirk sind
zunächst abgebrochen worden. Nach nur zwei Stunden trennten sich die Delegierten der IG Metall und Gesamtmetall im Tarifbezirk
Küste mit verhärteten Positionen. Der Verhandlungsführer der IG Metall sagte anschließend der Presse, die Positionen
seien "weiter auseinander als ich vor der Tarifrunde angenommen habe".
Eigentlich hätte die Tarifrunde gut anlaufen müssen, denn nach
dem überraschend angesetzten Bündnisgespräch am 23.Dezember 1999 wurde in den Medien der Eindruck erweckt, die
Tarifparteien hätten sich schon fast geeinigt. Zeitungsüberschriften wie "Die Unsicherheiten in der Tarifrunde 2000 sind
beseitigt" oder "Einigung im Bündnis für Arbeit sichert Aufschwung und schafft Arbeitsplätze" vermitteln
jedoch ein völlig falsches Bild von dem, worauf sich die Beschäftigten in den kommenden Auseinandersetzungen einstellen
müssen.
Zunächst ist ein Hinweis auf die Bündnisrunden im Dezember
notwendig. Ohne große Aussichten auf einen Durchbruch haben Arbeitgeber und Gewerkschaften mit der Bundesregierung am
12.Dezember einen neuen Versuch unternommen, das Bündnis für Arbeit voran zu bringen. Aber beim Thema "Rente mit
60" blieben die Fronten bis zuletzt verhärtet.
Wenige Tage vor Weihnachten überraschte der Bundeskanzler die
Spitzenvertreter der Verbände und lud am 23.Dezember zum fünften Bündnisgespräch ein, zu dem einige Teilnehmer
aus ihrem Weihnachtsurlaub anreisten. Mit dem dritten Anlauf ist es Schröder in letzter Minute gelungen, eine moderate Tarifpolitik
anzuschieben und eine reine Tarifrunde 2000 zu verhindern.
Nun liegt ein umfangreiches Kompromisspaket auf dem Tisch, die
sogenannte "Einigung im Bündnis für Arbeit". In der gemeinsamen Erklärung kommt die "Rente mit
60" nicht mehr vor. die IG Metall hat nun die "Beschäftigungsbrücke für Jung und Alt" in ihre
Tarifforderung aufgenommen. Ob der Streit um die "Rente mit 60" damit vom Tisch ist, wird die Tarifauseinandersetzung zeigen.
In dem Bündnispapier des Kanzlers heißt es: "Die
Bündnispartner haben über die Rahmendaten zur Produktivität, Löhnen, Gewinnen und Preisstabilität diskutiert,
für die anstehende Tarifrunde wird eine beschäftigungsorientierte, langfristige Tarifpolitik angestrebt, die sich am
Produktionszuwachs orientieren soll." Dazu würden die Tarifparteien laut Bündnispapier "differenzierte, betriebs- und
branchenbezogene Regelungen anstreben".
Das also ist das sog. Schröder-Papier. Die Einigung im
Bündnis für Arbeit macht vieles möglich und verpflichtet zu nichts. Die Pokerrunde ist angelaufen, jetzt kommt es auf die
Tarifauseinandersetzungen an. Wenige Tage nach der Bündnisrunde in Berlin haben die Teilnehmer offensichtlich vergessen, worauf sie
sich in dem gemeinsamen Papier geeinigt haben. Arbeitgeber und Gewerkschaften bauen für die kommenden Tarifverhandlungen ihre
unterschiedlichen Positionen neu auf.
Die Reaktionen auf die Forderung der IG Metall von 5,5% fielen auf der
Arbeitgeberseite heftig aus. Gesamtmetall-Präsident Stumpfe warf der IG Metall vor, sich nicht an die Abmachungen der
Bündnisgespräche zu halten. Im Bündnis hätten die Tarifparteien vereinbart, sich bei ihren Tarifabschlüssen am
Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität zu orientieren, etwa 2,6%. Doch schon jetzt gibt es hierzu unterschiedliche
Einschätzungen: Kanzler Schröder spricht von 2%, die Wirtschaftswissenschaftler von 2,6%, die IG Metall hingegen von 3,6%.
Neben dem Streit über die Höhe der Produktivität wird
es mit Sicherheit zu schärferen Auseinandersetzungen darüber kommen, was als Richtschnur gelten soll: Die gesamtwirtschaftliche
Produktivität oder die Produktivität der einzelnen Branchen, was die Unternehmer wollen, um einen differenzierten Lohnabschluss
durchzusetzen. Dabei wird vergessen, dass die Produktivität in manchen Unternehmensbereichen schneller wächst als im
Durchschnitt. Im öffentlichen Dienst dagegen lässt sich die Produktivität kaum messen.
Natürlich will die IG Metall die Rente mit 60 noch durchsetzen, die
der Arbeitgeberpräsident "vom Tisch" glaubt. Der IG-Metall-Vorstand ruft hierzu die bezirklichen Tarifkommissionen auf,
die Arbeitgeber zu Gesprächen über einen Ausstieg mit 60 aufzufordern.
In einer Pressekonferenz am 11.Januar erklärte Klaus Zwickel:
"Unsere Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben das Bündnis einen deutlichen Schritt voran gebracht. Die
Arbeitgeber haben im Dezember auf verbindliche Lohnleitlinien bestanden und jede verbindliche Zusage zu früherem Ausscheiden
abgelehnt. Jetzt müssten die Arbeitgeber laut Zwickel eine Wende von 180 Grad vollziehen.
Wenn man das Schröder-Papier liest, ist die Erklärung von
Zwickel, der zwar immer für eine Überraschung gut ist, nicht nachvollziehbar, denn in dem Papier ist nur von einer Verbesserung
der Altersteilzeit die Rede. "Die Altersteilzeit hat sich nicht als Renner erwiesen", so die Einschätzung von Hermann Dierkes
in SoZ 25/99. Bisher ist sie nur in einigen Großbetrieben eingeführt worden. Dort haben die Ausgeschiedenen zum Teil
größere Abfindungen erhalten, als in den Tarifverträgen vereinbart worden war. Die Verbesserungen für kleine und
mittelständische Betriebe werden sich als sehr problematisch erweisen, denn allein in Nordrhein-Westfalen gibt es über 1300
Betriebe, in denen bis zu 100 Beschäftigte arbeiten.
Noch sind keine Abschlüsse durchgesetzt, alles ist noch offen. Jedoch
fordern immer mehr Unternehmer und Führungskräfte das Ende des Bündnisses für Arbeit. Der
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, warnt die Gewerkschaften davor, das
Bündnis für Arbeit zu sprengen. Sie hielten sich mit ihren jetzt bekannt gewordenen Lohnforderungen nicht mehr an die
Bündnisvereinbarungen, kritisierte Göhner in Berlin.
Der Präsident des Zentrums für europäische
Wirtschaftsforschung, Wolfgang Franz, nannte die Forderung eine "Kriegserklärung an das Bündnis für Arbeit"
und einen Schlag ins Gesicht der Arbeitslosen.
Was in den laufenden Tarifverhandlungen wieder auf den Tisch kommt, ist
an der Basis und in den Betrieben überhaupt nicht diskutiert worden. Die Tarifforderung von bis zu 5,5% wird wieder zu Makulatur,
wenn von "Verteilungskomponenten", "Verteilungsspielräumen" und "Gesamtpaket" gesprochen wird.
Zwei Mal hat Zwickel seinem Kontrahenten Stumpfe angeboten, auf dessen Forderung nach einem dreijährigen Lohnabschluss
einzugehen, wenn es dafür einen Ruhestand mit 60 gibt. Weiterer Bestandteil des Forderungspakets der IG Metall ist die
Möglichkeit, auf Wunsch Teile des Urlaubs- und Weihnachtsgelds zum Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge nutzen zu
können. Diesen Punkt haben die IG-Metall-Bezirke Bayern und Baden-Württemberg eingebracht. Sollte ein Pilotabschluss diese
Option beinhalten, würde sie von anderen Bezirken übernommen.
Jetzt, nachdem die Tarifrunde 2000 angelaufen ist, starten die Arbeitgeber
neue Provokationen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert ein Eingreifen des Gesetzgebers. In einem Zeitungsinterview setzte sich
Stumpfe für eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes ein: Die Unternehmer sollen auf gesetzlicher Basis je nach Ertragslage beim
Lohn eigene Wege gehen und vom Tarif abweichen können, wenn in einem Unternehmen 75% der Beschäftigten einer
betriebsspezifischen, vom Tarifvertrag abweichenden Lösung zustimmen.
Angesichts der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt darf die
Tarifpolitik aber nicht in die Betriebe verlagert werden, denn die meisten Betriebe, besonders aber die kleinen und mittelständischen,
sind nicht in der Lage, die Erpressungsversuche der Unternehmer abzuwehren.
Stumpfe fordert weiter, die neuen Tarifverträge für mindestens
drei Jahre abzuschliessen. Außerdem möchte er das Weihnachtsgeld kürzen, das in Nordrhein-Westfalen Bestandteil des
Tarifvertrags ist. Derzeit beträgt das Weihnachtsgeld 55% eines Monatseinkommens. Stumpfe möchte das Weihnachtsgeld flexibler
geregelt wissen und spricht von einer Bandbreite von jeweils der Hälfte nach oben und nach unten. Das wäre ein Rahmen von
27,5% bis 82,5% und dafür benötigt Stumpfe die Änderung des Tarifvertragsgesetzes.
Die DGB-Gewerkschaften gehen ohne eine gemeinsame Forderung in diese
Tarifrunde, die keine einfache sein wird. Täglich melden Zeitungen, dass sich einige Gewerkschaften vom Kurs der IG Metall abwenden.
Die unterschiedlichen Forderungen der "Einheitsgewerkschaft" schaffen Unsicherheiten.
Der ÖTV-Chef Mai will laut Handelsblatt (11.1.) keine Rente mit 60.
Die IG BCE ist nach einer Meldung des Handelsblatts (24.1.) über Zwickels Forderung enttäuscht und hält sie für
falsch.
DGB-Chef Schulte tritt ebenfalls für einen langfristigen
Tarifabschluss ein, wenn die Arbeitgeber einem vorzeitigen Ausscheiden zustimmen und rechnet in diesem Jahr nicht mit
Arbeitskämpfen.
Wie Verlautbarungen der IG Metall zu entnehmen ist, besteht die Gefahr,
dass Unternehmer aus dem Arbeitgeberverband ausscheiden und sich einem neuen Verband anschließen, der sich nicht an tarifliche
Abschlüsse halten muss. Aus diesem Grund ist in mehreren bezirklichen Diskussionen das Thema "Betriebliche
Tarifkommission" (BTK) in den Vordergrund gerückt. Die IG Metall schlägt vor, dass mit den Wahlen der Vertrauensleute
2000 "betriebliche Tarifkommissionen" in den Betrieben gebildet werden. Die geplanten Abläufe für die Wahl und
Arbeit der BTK werden in einem Papier der IG Metall NRW ausführlich dargestellt.
In einem aktuellen Papier der IG Metall zur Situation nach der
Tarifbewegung 1998/99 heißt es: "Die Arbeitgeber drohen mit Verbandsaustritt, verüben Tarifbruch, erpressen
Zugeständnisse der Betriebsräte, verlangen Sonder- und Ausnahmeregelungen." Am 29.März, um 0 Uhr endet die
Friedenspflicht. Die IG Metall muss einen glaubhaften Tarifabschluss durchsetzen und darf keinen faulen Kompromiss eingehen.
Willi
Scherer