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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000, Seite 6

Bündnisgespräche und Lohnrunde 2000

Friedenspflicht endet am 29.März

Die Tarifverhandlungen in der Metallindustrie sind angelaufen. Sie beginnen mit einem seit Jahrzehnten bekannten Ritual: Die ersten Verhandlungen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern, aber auch im norddeutschen Küstenbezirk sind zunächst abgebrochen worden. Nach nur zwei Stunden trennten sich die Delegierten der IG Metall und Gesamtmetall im Tarifbezirk Küste mit verhärteten Positionen. Der Verhandlungsführer der IG Metall sagte anschließend der Presse, die Positionen seien "weiter auseinander als ich vor der Tarifrunde angenommen habe".
Eigentlich hätte die Tarifrunde gut anlaufen müssen, denn nach dem überraschend angesetzten Bündnisgespräch am 23.Dezember 1999 wurde in den Medien der Eindruck erweckt, die Tarifparteien hätten sich schon fast geeinigt. Zeitungsüberschriften wie "Die Unsicherheiten in der Tarifrunde 2000 sind beseitigt" oder "Einigung im Bündnis für Arbeit sichert Aufschwung und schafft Arbeitsplätze" vermitteln jedoch ein völlig falsches Bild von dem, worauf sich die Beschäftigten in den kommenden Auseinandersetzungen einstellen müssen.
Zunächst ist ein Hinweis auf die Bündnisrunden im Dezember notwendig. Ohne große Aussichten auf einen Durchbruch haben Arbeitgeber und Gewerkschaften mit der Bundesregierung am 12.Dezember einen neuen Versuch unternommen, das Bündnis für Arbeit voran zu bringen. Aber beim Thema "Rente mit 60" blieben die Fronten bis zuletzt verhärtet.
Wenige Tage vor Weihnachten überraschte der Bundeskanzler die Spitzenvertreter der Verbände und lud am 23.Dezember zum fünften Bündnisgespräch ein, zu dem einige Teilnehmer aus ihrem Weihnachtsurlaub anreisten. Mit dem dritten Anlauf ist es Schröder in letzter Minute gelungen, eine moderate Tarifpolitik anzuschieben und eine reine Tarifrunde 2000 zu verhindern.
Nun liegt ein umfangreiches Kompromisspaket auf dem Tisch, die sogenannte "Einigung im Bündnis für Arbeit". In der gemeinsamen Erklärung kommt die "Rente mit 60" nicht mehr vor. die IG Metall hat nun die "Beschäftigungsbrücke für Jung und Alt" in ihre Tarifforderung aufgenommen. Ob der Streit um die "Rente mit 60" damit vom Tisch ist, wird die Tarifauseinandersetzung zeigen.
In dem Bündnispapier des Kanzlers heißt es: "Die Bündnispartner haben über die Rahmendaten zur Produktivität, Löhnen, Gewinnen und Preisstabilität diskutiert, für die anstehende Tarifrunde wird eine beschäftigungsorientierte, langfristige Tarifpolitik angestrebt, die sich am Produktionszuwachs orientieren soll." Dazu würden die Tarifparteien laut Bündnispapier "differenzierte, betriebs- und branchenbezogene Regelungen anstreben".
Das also ist das sog. Schröder-Papier. Die Einigung im Bündnis für Arbeit macht vieles möglich und verpflichtet zu nichts. Die Pokerrunde ist angelaufen, jetzt kommt es auf die Tarifauseinandersetzungen an. Wenige Tage nach der Bündnisrunde in Berlin haben die Teilnehmer offensichtlich vergessen, worauf sie sich in dem gemeinsamen Papier geeinigt haben. Arbeitgeber und Gewerkschaften bauen für die kommenden Tarifverhandlungen ihre unterschiedlichen Positionen neu auf.
Die Reaktionen auf die Forderung der IG Metall von 5,5% fielen auf der Arbeitgeberseite heftig aus. Gesamtmetall-Präsident Stumpfe warf der IG Metall vor, sich nicht an die Abmachungen der Bündnisgespräche zu halten. Im Bündnis hätten die Tarifparteien vereinbart, sich bei ihren Tarifabschlüssen am Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität zu orientieren, etwa 2,6%. Doch schon jetzt gibt es hierzu unterschiedliche Einschätzungen: Kanzler Schröder spricht von 2%, die Wirtschaftswissenschaftler von 2,6%, die IG Metall hingegen von 3,6%.
Neben dem Streit über die Höhe der Produktivität wird es mit Sicherheit zu schärferen Auseinandersetzungen darüber kommen, was als Richtschnur gelten soll: Die gesamtwirtschaftliche Produktivität oder die Produktivität der einzelnen Branchen, was die Unternehmer wollen, um einen differenzierten Lohnabschluss durchzusetzen. Dabei wird vergessen, dass die Produktivität in manchen Unternehmensbereichen schneller wächst als im Durchschnitt. Im öffentlichen Dienst dagegen lässt sich die Produktivität kaum messen.
Natürlich will die IG Metall die Rente mit 60 noch durchsetzen, die der Arbeitgeberpräsident "vom Tisch" glaubt. Der IG-Metall-Vorstand ruft hierzu die bezirklichen Tarifkommissionen auf, die Arbeitgeber zu Gesprächen über einen Ausstieg mit 60 aufzufordern.
In einer Pressekonferenz am 11.Januar erklärte Klaus Zwickel: "Unsere Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben das Bündnis einen deutlichen Schritt voran gebracht. Die Arbeitgeber haben im Dezember auf verbindliche Lohnleitlinien bestanden und jede verbindliche Zusage zu früherem Ausscheiden abgelehnt. Jetzt müssten die Arbeitgeber laut Zwickel eine Wende von 180 Grad vollziehen.
Wenn man das Schröder-Papier liest, ist die Erklärung von Zwickel, der zwar immer für eine Überraschung gut ist, nicht nachvollziehbar, denn in dem Papier ist nur von einer Verbesserung der Altersteilzeit die Rede. "Die Altersteilzeit hat sich nicht als Renner erwiesen", so die Einschätzung von Hermann Dierkes in SoZ 25/99. Bisher ist sie nur in einigen Großbetrieben eingeführt worden. Dort haben die Ausgeschiedenen zum Teil größere Abfindungen erhalten, als in den Tarifverträgen vereinbart worden war. Die Verbesserungen für kleine und mittelständische Betriebe werden sich als sehr problematisch erweisen, denn allein in Nordrhein-Westfalen gibt es über 1300 Betriebe, in denen bis zu 100 Beschäftigte arbeiten.
Noch sind keine Abschlüsse durchgesetzt, alles ist noch offen. Jedoch fordern immer mehr Unternehmer und Führungskräfte das Ende des Bündnisses für Arbeit. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, warnt die Gewerkschaften davor, das Bündnis für Arbeit zu sprengen. Sie hielten sich mit ihren jetzt bekannt gewordenen Lohnforderungen nicht mehr an die Bündnisvereinbarungen, kritisierte Göhner in Berlin.
Der Präsident des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung, Wolfgang Franz, nannte die Forderung eine "Kriegserklärung an das Bündnis für Arbeit" und einen Schlag ins Gesicht der Arbeitslosen.
Was in den laufenden Tarifverhandlungen wieder auf den Tisch kommt, ist an der Basis und in den Betrieben überhaupt nicht diskutiert worden. Die Tarifforderung von bis zu 5,5% wird wieder zu Makulatur, wenn von "Verteilungskomponenten", "Verteilungsspielräumen" und "Gesamtpaket" gesprochen wird. Zwei Mal hat Zwickel seinem Kontrahenten Stumpfe angeboten, auf dessen Forderung nach einem dreijährigen Lohnabschluss einzugehen, wenn es dafür einen Ruhestand mit 60 gibt. Weiterer Bestandteil des Forderungspakets der IG Metall ist die Möglichkeit, auf Wunsch Teile des Urlaubs- und Weihnachtsgelds zum Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge nutzen zu können. Diesen Punkt haben die IG-Metall-Bezirke Bayern und Baden-Württemberg eingebracht. Sollte ein Pilotabschluss diese Option beinhalten, würde sie von anderen Bezirken übernommen.
Jetzt, nachdem die Tarifrunde 2000 angelaufen ist, starten die Arbeitgeber neue Provokationen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert ein Eingreifen des Gesetzgebers. In einem Zeitungsinterview setzte sich Stumpfe für eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes ein: Die Unternehmer sollen auf gesetzlicher Basis je nach Ertragslage beim Lohn eigene Wege gehen und vom Tarif abweichen können, wenn in einem Unternehmen 75% der Beschäftigten einer betriebsspezifischen, vom Tarifvertrag abweichenden Lösung zustimmen.
Angesichts der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt darf die Tarifpolitik aber nicht in die Betriebe verlagert werden, denn die meisten Betriebe, besonders aber die kleinen und mittelständischen, sind nicht in der Lage, die Erpressungsversuche der Unternehmer abzuwehren.
Stumpfe fordert weiter, die neuen Tarifverträge für mindestens drei Jahre abzuschliessen. Außerdem möchte er das Weihnachtsgeld kürzen, das in Nordrhein-Westfalen Bestandteil des Tarifvertrags ist. Derzeit beträgt das Weihnachtsgeld 55% eines Monatseinkommens. Stumpfe möchte das Weihnachtsgeld flexibler geregelt wissen und spricht von einer Bandbreite von jeweils der Hälfte nach oben und nach unten. Das wäre ein Rahmen von 27,5% bis 82,5% und dafür benötigt Stumpfe die Änderung des Tarifvertragsgesetzes.
Die DGB-Gewerkschaften gehen ohne eine gemeinsame Forderung in diese Tarifrunde, die keine einfache sein wird. Täglich melden Zeitungen, dass sich einige Gewerkschaften vom Kurs der IG Metall abwenden. Die unterschiedlichen Forderungen der "Einheitsgewerkschaft" schaffen Unsicherheiten.
Der ÖTV-Chef Mai will laut Handelsblatt (11.1.) keine Rente mit 60. Die IG BCE ist nach einer Meldung des Handelsblatts (24.1.) über Zwickels Forderung enttäuscht und hält sie für falsch.
DGB-Chef Schulte tritt ebenfalls für einen langfristigen Tarifabschluss ein, wenn die Arbeitgeber einem vorzeitigen Ausscheiden zustimmen und rechnet in diesem Jahr nicht mit Arbeitskämpfen.
Wie Verlautbarungen der IG Metall zu entnehmen ist, besteht die Gefahr, dass Unternehmer aus dem Arbeitgeberverband ausscheiden und sich einem neuen Verband anschließen, der sich nicht an tarifliche Abschlüsse halten muss. Aus diesem Grund ist in mehreren bezirklichen Diskussionen das Thema "Betriebliche Tarifkommission" (BTK) in den Vordergrund gerückt. Die IG Metall schlägt vor, dass mit den Wahlen der Vertrauensleute 2000 "betriebliche Tarifkommissionen" in den Betrieben gebildet werden. Die geplanten Abläufe für die Wahl und Arbeit der BTK werden in einem Papier der IG Metall NRW ausführlich dargestellt.
In einem aktuellen Papier der IG Metall zur Situation nach der Tarifbewegung 1998/99 heißt es: "Die Arbeitgeber drohen mit Verbandsaustritt, verüben Tarifbruch, erpressen Zugeständnisse der Betriebsräte, verlangen Sonder- und Ausnahmeregelungen." Am 29.März, um 0 Uhr endet die Friedenspflicht. Die IG Metall muss einen glaubhaften Tarifabschluss durchsetzen und darf keinen faulen Kompromiss eingehen.

Willi Scherer


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