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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000, Seite 7

Südafrika:

Run auf die Filetstücke

Vor zehn Jahren läutete der damalige südafrikanische Präsident Frederik Willem de Klerk das offizielle Ende der Apartheid ein. Er hob das Verbot gegen den ANC (African National Congress) auf und ordnete die Freilassung des späteren Präsidenten Nelson Mandela an. 1999 wurde der Friedensnobelpreisträger Mandela von Thabo Mbeki mit einer knapp verfehlten aber dennoch komfortablen Zweidrittelmehrheit als Präsident abgelöst. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums hielt das ehemalige Mitglied des ZK der SACP (South African Communist Party) eine Parlamentsrede zur Lage der Nation. Doch anders als bei der Rede de Klerks jubelten diesmal vor allem die Wirtschaftsgrößen und die Vertreter der neoliberalen Oppositionspartei Democratic Party.
Dieser Jubel kam nicht von ungefähr, denn Mbeki kündigte drastische Veränderungen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik an, die im laufenden Jahr durchgeführt werden sollen. Zinssenkungen, Privatisierung des öffentlichen Dienstes und staatseigener Betriebe sollen den "Standort Südafrika" für ausländische Investoren lukrativ machen. Im letzten Punkt sind sich die Allianzpartner des regierenden ANC, der Gerwerkschaftsdachverband COSATU und die SACP, einig. Allein der Weg dorthin trifft auf unterschiedliche Vorstellungen.
Diese könnten beim zweiten zentralen Punkt der Mbeki-Rede ans Tageslicht kommen. Der Parteichef des regierenden ANC versprach in seiner Parlamentsrede auch, die "rigiden Arbeitsschutzgesetze aufweichen" zu wollen. Diese Gesetze, die während der Präsidentschaft seines Vorgängers nach den ersten freien Wahlen in Südafrika 1994 installiert wurden, macht Mbeki für die bisher ausgebliebene Schaffung neuer Arbeitsplätze verantwortlich. Das hinderte Mandela nicht daran, die Rede Mbekis, als "außergewöhnlich" zu bezeichnen.
Auch der Notenbankchef Tito Mboweni begrüßte ebenso wie die Wirtschaftsverbände die klaren Absichten des Präsidenten, der den ANC Ende des letzten Jahres in die sozialdemokratische Internationale einführte. Die "härtere Linie" gegenüber den ureigensten Interessen der Gewerkschaften interpretierte Peter Worthington, Wirtschaftsexperte der US-Investitionsbank JP Morgan in Johannesburg, als "positives Signal für ausländische Investoren".

Loyale Gewerkschaftsführung

Ärger mit der ehemals als kämpferisch bekannten Führung des Gewerkschaftsdachverbands ist deswegen nicht unbedingt zu erwarten. Zwelinzima Vavi, COSATU-Generalsekretär, zeigte sich wenig überrascht von den Ankündigungen des Präsidenten und pflichtete der Rede sogar bei, weil sie die Themen "Armut, neue Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum" nicht unerwähnt ließ. COSATU wolle sich mit "nachdrücklichem Engagement" an Diskussionen mit der Regierung über angemessene Investitions- und Entwicklungsstrategien beteiligen.
Das äußere Erscheinungsbild Südafrikas ist für die Allianz von größter Bedeutung und der Ton gegenüber denjenigen, die dieses Bild ankratzen, wird schärfer. Viel mehr als die weltweit höchste Kriminalitätsrate, die Mbeki als "Investitionshemmnis", so die Kritik der Democratic Party, in seiner Parlamentsrede unerwähnt ließ, stören Mbeki Arbeitskämpfe, die der Regie des Allianzpartners COSATU entgleiten.
Die Massenentlassung und den vorausgegangenen Streik von mehr als 1300 Beschäftigten des VW-Konzerns in der Industriestadt Uitenhage kommentierte Mbeki am Tag seiner Parlamentsrede als "illegalen und ungerechtfertigten Streik", der nicht toleriert werden könne. "Unser Ansehen in den Augen des Investors kann nicht von Elementen abhängen, die ihre eigennützigen und antisozialen Absichten verfolgen", erklärte Mbeki den 490 Abgeordneten in Kapstadt. COSATU begrüßte die konsequente Haltung Mbekis gegenüber den Streikenden.
Die Beschäftigten in Uitenhage hatten ihre Arbeit für einige Tage niedergelegt, um gegen die willkürliche Entlassung von 13 Betriebsräten und die Einfrierung der Pensionsfonds zu protestieren.

Leere Versprechungen

Seit dem Regierungsantritt des ANC 1994 haben mehr als 500000 Menschen ihre Arbeit verloren. Dabei war der ANC mit dem Versprechen angetreten, die Armut der mehrheitlich schwarzen Bevölkerung zu beseitigen und Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist bisher weder dem NEDLEC, einem südafrikanische "Bündnis für Arbeit", noch dem eigens inszenierten "Job Summit" gelungen.
Nach einer kurzen Phase des Aufbruchs Mitte der 90er Jahre und keynesianischer Programme wie dem breit diskutierten RDP (Reconstruction and Development Programme), drückte der ANC ein Strukturanpassungsprogramm durch: GEAR (Growth, Employment and Redistribution - Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung). Dieses Programm sollte den südafrikanischen Haushalt konsolidieren, um den Kapitalabfluss zu schwächen. Schon Nelson Mandela schlug damals einen scharfen Ton gegenüber den GEAR-Kritikern an.
Mittlerweile ist es Mbeki und dem amtierenden Finanzminister Trevor Manuel, die beide als Macher hinter den Kulissen gelten, gelungen, auch die Führungskräfte der Allianzpartner des ANC und Kritiker aus den eigenen Reihen von GEAR zu überzeugen.
Doch die Kapitalzuflüsse, die mit GEAR begünstigt werden sollten, waren vor allem kurzfristige Portfolio-Investitionen, die ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt blieben.
Die Integration des zuvor isolierten Südafrika in den Weltmarkt hatte einen hohen Preis, denn die nationalen Unternehmen waren einem hohen Druck ausgesetzt und reduzierten ihre Personalkosten durch Entlassungen. Die Anzahl der Streiks, auch die der "unorganisierten", häufte sich in dem 39 Millionen Einwohner zählenden Land. Hauptziele der Arbeitskämpfe waren Lohnerhöhungen, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Versuch, die Regierung an der Privatisierung von bislang staatseigenen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen zu hindern.
Unternehmer und Regierung argumentierten gegenüber den Gewerkschaften mit dem "zunehmenden Druck der Globalisierung". Sie seien gezwungen, sich den Gegebenheiten des Weltmarkts schneller anzupassen. Resultat waren u.a. Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate. Mittlerweile ist auch die Gewerkschaftsführung davon überzeugt, dass einzig und allein Investitionen aus dem Ausland die mit offiziell über 30% enorm hohe Erwerbslosenquote bekämpfen zu können.
Mit dem Goldpreis fiel in den letzten Jahren außerdem der Wert eines der wichtigsten Exportgüter Südafrikas. Der kurzfristige Boom Anfang dieses Jahres ist wieder verpufft. Der Anstieg auf über 300 Dollar je Unze an den Börsen erwies sich sich nicht nur für Anleger als flüchtige Tendenz. Der Goldpreis ist auch für die südafrikanische Wirtschaft von größter Relevanz: eine Erhöhung um einen Dollar je Unze bedeutet zusätzliche Exporteinnahmen von 14,5 Millionen Dollar jährlich. Mittlerweile sprechen auch führende Bankhäuser und Ratingagenturen dem Gold jegliche Rolle als Zufluchtsort für die von Inflationsangst geplagten Anleger ab.
In der zweiten Jahreshälfte 1998 verzeichnete Südafrika sogar ein negatives Wirtschaftswachstum, dass 1999 allerdings wieder stagnierte und von Experten als ein "Erreichen der Talsohle" interpretiert wurde.

Ausverkauf der Staatsbetriebe

Damit die Talsohle bald überwunden ist und die makroökonomischen Zahlen wieder stimmen, hat Mbeki nun einen "Konsultativrat internationaler Investoren" eingerichtet. Neben dem irischen Medienmulti Tony O‘Reilly, dessen Independent-Gruppe in Südafrika die Hälfte aller großen Tages- und Wochenzeitungen gehört (siehe auch die folgenden Seiten), sollen der Vizepräsident der US-amerikanischen Citigroup, ein Vorstandsmitglied des japanischen Mitsubishi-Konzerns, Martin Kohlhausen von der Commerzbank und Jürgen Schrempp, DaimlerChrysler-Chef, Südafrika wirtschaftspolitisch beraten und die "Restrukturierung von Staatseigentum", so der ANC- Sprachgebrauch für Privatisierungen, effektiv beschleunigen.
Die Senkung des Zinssatzes ist eine vergleichsweise einfache Maßnahme, die statt kurzfristiger Kapitalanlagen langfristige Investitionen nach Südafrika bringen soll. Schwieriger dürfte die Reform des öffentlichen Verwaltungsapparats werden. Schätzungen gehen von 30000 bis 55000 Beschäftigten aus, die von den Rationalisierungen betroffen sein werden.
Die geplanten Privatisierungen der staatlichen Telekommunikations-, Transport-, Rüstungs- und Energieunternehmen, in denen zwei Drittel der staatlichen Beschäftigten arbeiten, belaufen sich auf einen Gesamtwert von rund 40 Milliarden Mark. Der Börsengang für die südafrikanische Telkom und den Energieversorger Eskom ist für das nächste Jahr an der Johannesburger Börse geplant. Die staatliche Fluggesellschaft hat bereits Anteile an ausländische Investoren verkauft.
Auf Druck der Basis hat COSATU eine Protestkampagne gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, die in einen Generalstreik münden soll, angekündigt. Von offizieller Gewerkschaftsseite aus richten sich die Aktionen jedoch nicht explizit gegen die geplanten Privatisierungen. So versucht die Gewerkschaftsführung, den Balanceakt zwischen der Gewerkschaftsbasis und der Rolle als Allianzpartner der Regierung zu meistern.
Doch die Regierung will sich offensichtlich nicht allein auf ihren Allianzpartner verlassen und scheint sich auch nicht des Erfolgs ihrer eigenen Politik sicher zu sein. In seinem jüngst verabschiedeten Haushaltsentwurf kündigt Trevor Manuel nicht nur Steuersenkungen für private Steuerzahler und eine Lockerung der Devisenkontrollen an. Allein die südafrikanische Polizei erhält 2,5 Milliarden Dollar des sich insgesamt auf 40 Milliarden belaufenden Budgets.
Auch die Summen für Justiz und Strafvollzug hat Manuel heraufgesetzt. Dies könnte ebenfalls als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Regierung ihrer eigenen Politik der Armutsbekämpfung durch Investitionen nicht vertraut und die Kriminalitätsrate durch repressive Maßnahmen senken will. Doch mit dem größten Batzen, knapp einem Viertel des Gesamthaushalts, soll der Schuldendienst getilgt werden. Führende Geldinstitute und Ratingagenturen wissen die Zeichen der südafrikanischen Politik zu würdigen und haben dem Land in der Hitliste der Investitionsstandorte einen guten Platz eingeräumt.

Gerhard Klas


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