Sozialistische Zeitung |
Der Film gehört zu den seltenen Beispielen eines unmittelbar politisch motivierten Films in den 90er
Jahren und im beginnenden Jahrzehnt. Der Regisseur sagt selber, dass er sich an ähnlichen halbdokumentarischen Werken der 70er Jahre
orientiert hat. Hier hat also jemand den Mut für "unzeitgemäßes" Kino. Das spricht für den Film. Ob er
deswegen schon gelungen ist, ist eine andere Frage.
Otomo nimmt für sich Authentizität und Realismus in Anspruch
und gibt vor, auf einer " wahren Begebenheit" zu beruhen. Es handelt sich um den Fall des kamerunischen Staatsbürgers
Frederic Otomo, der acht Jahre als Asylbewerber in der BRD lebte. Am 9.August 1989 um 9.18 Uhr tötete er mit einem Messer zwei
Polizisten und verletzte drei weitere schwer, bevor er selbst von einem Polizeibeamten erschossen wurde. Dieses Ereignis fand auf der
Gaisburger Brücke in Stuttgart statt. Eine unglaubliche rassistische Hetze war die Folge. Nach Aussage des aus Stuttgart stammenden
Regisseurs wagten sich MigrantInnen mehrere Tage nicht auf die Straße. Das alles fand vor "der Wende" im Westen statt.
Der Film versucht, die letzten drei Stunden im Leben des Frederic Otomo,
der sich auch Albert Ament nannte, zu rekonstruieren. Er beginnt morgens um 6.14 Uhr, als Otomo das Wohnheim, aus dem er rausgeworfen
wurde, verlässt und endet mit den drei Toten auf der Gaisburger Brücke.
Der Regisseur hat vor Beginn der Dreharbeiten umfangreiche Recherchen
betrieben. Er rekonstruierte das Leben des Frederic Otomo, der 20 Jahre als Flüchtling lebte, davon acht Jahre als Asylbewerber mit
"Duldung" in der BRD - zunächst in Dortmund und dann in Stuttgart.
Frieder Schlaich recherchierte aber auch bei der Gegenseite. Er fuhr im
Streifenwagen der Polizei mit, um deren Alltag kennenzulernen. Er interviewte den Leiter des Wohnheims und ließ wörtliche Zitate
aus diesem Interview in die Dialoge einfließen. Dabei offenbart sich bei den Vertretern der Staatsmacht eine Mischung aus
herablassendem Mitleid, Frust und offenem Rassismus. Lediglich ein Polizeibeamter mimt zwischendurch den Ritter der Gerechtigkeit, als er
die rassistischen Bemerkungen seiner Kollegen mit der Bemerkung, dass es sich schließlich um Menschenleben handele, kontert. Gerade
er ist aber schließlich der fanatischste Jäger des "gefährlichen Schwarzfahrers".
Damit kommt auch die Ursache dafür ans Tageslicht, warum Otomo
(Isaach de Bankolé) ins Visier der Ordnungshüter geriet - abgesehen davon, dass dunkelhäutige Menschen ohnehin zur
bevorzugten Zielgruppe der deutschen Staatsgewalt gehören. Er war angeblich ohne Fahrerlaubnis mit der schwäbischen U-Bahn
gefahren. Er hatte zwar ein gültiges Ticket für eine Tarifzone, war damit aber eine Station zu weit gefahren, wofür ihm der
übereifrige Kontrolleur eine gebührenpflichtige Verwarnung erteilen wollte und auch gleich die Polizei rief. Otomo schlägt
ihn nieder und flieht. Daraufhin beginnt die Fahndung nach ihm. Die Tatsache, dass er eigentlich ein gültiges Ticket hatte, wird sowohl
von der Polizei als auch von der Presse verschwiegen. So titelte eine Lokalzeitung: "Für 2,10 DM mussten zwei Polizisten
sterben".
Otomos Leben in der BRD ist trist. Diese Tristesse wird noch dadurch
unterstrichen, dass Schlaich die Handlung vom Hochsommer in den Spätherbst verlegt hat. Als Otomo in den letzten drei Stunden die
junge Grossmutter und alten Hippie Gisela (Eva Mattes) kennenlernt und sie ihn in die Wohnung ihrer Tochter mitnimmt, ist er zum ersten Mal
in einer deutschen Wohnung - Gastfreundschaft in der BRD.
Der Film ist mit seiner sehr ruhigen Kameraführung und seiner
Vorliebe für Großaufnahmen tatsächlich dem "Neuen Deutschen Film" der 70er Jahre nachempfunden, obwohl
der Regisseur sich als Bewunderer der dänischen Dogma-Filme outete. Ein Grund für diesen Stil ist nach den Worten Schlaichs,
dass dies die einzige Möglichkeit wäre, eine unattraktive Großstadt wie Stuttgart angemessen ins Bild zu setzen.
Herausragend ist die schauspielerische Leistung von Isaach de Bankolé, der dem deutschen Publikum durch eine Nebenrolle in Jim
Jarmuschs Ghost Dog bekannt ist, und Eva Mattes. Die anderen Darstellerinnen und Darsteller wirken demgegenüber oft hölzern.
Inhaltlich gelingt es Schlaich, den alltäglichen Rassismus, der durch
seine "normale" Gewalt die Gegengewalt hervorruft, eingermaßen angemessen darzustellen. Klischees, z.B. das
"Bullenschwein" oder der heldenhafte "Cop-Killer" vermeidet der Regisseur. Der Film schleppt aber auch inhaltlich
eine Bürde der 70er und 80er Jahre mit sich herum: Er ruft eine fast lähmende Betroffenheit hervor und ist völlig humorlos.
Nach Aussage des Regisseurs soll der Film in erster Linie in den Bauch gehen. Zur Veränderung der Verhältnisse brauchen wir
aber vor allem unseren Kopf.
Andreas Bodden