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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000, Seite 15

Kapital und Angleichung

Michael Jäger, Probleme und Perspektiven der Berliner Republik, Münster (Westfälisches Dampfboot) 1999, 184 Seiten, 29,80 DM

Trotz nachhaltiger gesellschaftspolitischer Veränderungen - neue Weltordnung, neue Regierung, neue Währung, neue Hauptstadt - setzen Deutschlands Meinungsmacher auf Kontinuität, wie man an der Diskussion um den Begriff der Berliner Republik sehen kann. Nur wenige benutzen ihn, die meisten nicht ohne hinzuzufügen, dass es sich dabei um einen neuen Namen für einen alten Inhalt handele. Groteske Auswüchse bekommt die Diskussion gar, wenn bspw. Linksliberale wie Wolfgang Krausharr meinen, vor der Benutzung des Begriffs "Berliner Republik" warnen zu müssen. Schon die Benutzung des Begriffs sei "ein gefährliches Spiel", zeige an, dass man sich von den bewährten liberalen Grundlagen der alten Bundesrepublik abwende und "zu einem mehr oder weniger unverhohlenen Machtanspruch" zurückkehre.
Solch Tabuisierung ist Michael Jägers Sache nicht: "Warum soll es nun eigentlich den Namen Berliner Republik nicht geben dürfen - und wenn er weiter nichts bedeutet, als dass deutsche Minister in belastete Räume einrücken, ohne in die belastete Zeit zurückzufallen? Freilich bleibt eben dies noch zu prüfen."
In seinem zum Buch ausgewachsenen Essay* lotet der Freitag-Redakteur und wohl originellste politische Kommentator der deutschen Linken die neuen Fahrwasser der deutschen Politik aus. In einer für die Linke erfrischenden Offensivität stellt sich Jäger die deutsche Frage, wohl wissend, dass eine solche Diskussion nicht um eine Antwort auf Auschwitz herumkommt.
Mit Souveränität lässt er jene rechts und links liegen, "die sich unter Auschwitz etwas Ähnliches wie den Kosovo vorstellen", oder die das Problem mit der Parole "Nie wieder Deutschland" in, wie er sagt, verständlicher, aber hilfloser und identitätsraubender Weise umgehen. Stattdessen geht es ihm darum, "eine Antwort auf die deutsche Frage [zu] versuchen, die nicht unterstellt, dass Deutschland schon fertig sei".
Es ist dieser voluntaristische Aspekt, dass "wir frei sind, das uns Richtende zu begreifen, zu kritisieren und zu steuern", das sein Buch zu einer gelungenen Herausforderung linker Strategiediskussion macht.
Jäger versteht es dabei, mehr oder weniger bekannte Tendenzen unter einen neuen phänomenologischen Blick zu nehmen. Mit seiner Analyse von bundesdeutschen Angleichungstendenzen zum Neoliberalismus nicht nur, aber vor allem unter "Rot-Grün", offenbart er deren Versagen. Ein Versagen, das sehr viel tiefer greift, als die zur Zeit stattfindende Diskussion des Lugs und Betrugs regierender Parteien. Ökologie, um nur einen Punkt herauszugreifen, wird auf die Energiefrage reduziert und mittels Ökosteuer lediglich ein bisschen verteuert. "Ein absurder Gedanke schon in dieser Form, denn wer kann es sich leisten, sparsamer mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, wenn andere Verkehrswege nicht vorhanden sind oder nicht ausgebaut und gepflegt werden?"
Gegen das Einfrieren der Ziele in "die langfristigen Produktionsprogramme der Konzerne" setzt Jäger eine Neudiskussion gesellschaftlicher Ziele und "humanitäre Interventionen in den Konzentrations- und Zentralisationsprozess des Kapitals". "Die ökologische Alternative wäre, dass man hauptsächlich fragt, was man tun will und warum man das tut, was man tut."
Bei der Frage jedoch, wie man tun kann, was man tun will, bleibt Jäger auffallend ungenau. Opposition und Widerstand reduzieren sich bei ihm auf eine neue Art des Widersprechens, auf einen kommunikativen Akt. Zweifellos ein notwendiger, viel zu unterbelichteter Aspekt. Doch ob er hinreichend ist, bleibt mehr als fraglich.
Jägers Essay hat jedoch neben diesem politischen, noch einen zweiten wesentlichen, einen historischen Strang. Auf diesem begibt er sich auf die Suche nach den Ursachen des spezifisch deutschen Gehorsams, taucht tief ab in die Welt der Mythen und stößt auf "eine Wand des Preußentums" als spezifisch deutscher Erbschaft. Seine Spurensuche nach einer besonderen deutschen Verbindung von Endzeit- und Untergangsdenken ist sicherlich von anregender Originalität. Ob sie kritischer Prüfung standhält, wird sich zeigen müssen. Im Ergebnis ist ihm auf jeden Fall zuzustimmen. Nehmen wir das Erbe von Auschwitz an, so kann es nur darin liegen, sich gegen die neoliberalen Angleichungstendenzen als einer unzulässigen Form totalitärer Gleichschaltung zu wenden.

Christoph Jünke.


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