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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.7 vom 30.03.2000, Seite 6

Metalltarifrunde und IG BCE

Rechts überholen und den Rest ausbremsen?

Da ist IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt schon ein Kunststückchen gelungen: Ohne eigene Forderungen in die Tarifrunde für die chemische Industrie zu gehen, die anderen Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall, im Verhandlungstempo zu überholen und einen Abschluss zu präsentieren, der sowohl im Regierungslager wie auch bei den Unternehmerverbänden offene Zustimmung erfährt.

Eine Laufzeit von 21 Monaten, 2,2% ab Sommer diesen Jahres, ab 2001 noch mal 2% Lohnerhöhung, Verlängerung des Tarifvertrags über die Altersteilzeit bis 2009 sowie Ausdehnung der Altersteilzeit von fünf auf sechs Jahre sind die Eckpunkte dieser Vereinbarung, die von Schmoldt zu einem Gesamtergebnis von 5,8% hochgerechnet werden. Gut geschrödert.
Mit dieser Vorgabe aus der boomenden Chemieindustrie werden die anderen Gewerkschaften ihre Schwierigkeiten haben, die ÖTV, was die Höhe des Lohnabschlusses angeht, die IG Metall, was den Grundcharakter des Abschlusses betrifft.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die 5.Verhandlungsrunde am 24.März für die Beschäftigten der baden-württembergischen Metall- und Elektoindustrie keinen Durchbruch gebracht hat. Nach wie vor sind die Fronten klar: Die IG Metall will ein Gesamtpaket von 5,5% und ist bereit, über eine längere Laufzeit des Tarifvertrags zu reden, wenn eine Vereinbarung zustande kommt, die es älteren Beschäftigten ermöglicht, ohne Rentenabschläge (max. 18% während der gesamten Dauer des Rentenbezugs) in den Altersruhestand zu gehen. Um das zu finanzieren, soll überbetrieblich ein Tariffonds eingerichtet werden, in den Unternehmen und Beschäftigte jeweils 0,5% der Lohnerhöhung diesen Jahres einzahlen.
Dagegen bieten die Arbeitgeber je nach Tarifbezirk 1,5-2% Einkommenserhöhung an, allerdings bei einer Laufzeit von drei Jahren. Darüberhinaus wollen sie die Tarifverträge für Altersteilzeit so aufbessern, dass der Ausstieg für Beschäftigte, die keine Facharbeiter sind, die eine schwere Behinderung haben, die leistungsgemindert sind oder die 30 Jahre dem Unternehmen angehört haben, leichter möglich ist. Selten haben Unternehmervertreter so deutlich ausgedrückt, auf wen sie gerne verzichten. Einen individuellen Anspruch auf Ausstieg soll es allerdings nicht geben, lediglich 3% der Beschäftigten sollen sich jeweils in Altersteilzeit befinden können. Für dieses "Entgegenkommen" wollen sie die Arbeitszeit im Manteltarifvertrag über das Jahr 2000 hinaus festgeschrieben wissen und die Möglichkeit haben, die Höhe der Jahressonderzahlungen ergebnisabhängig zu machen.
Die Idee der Rente mit 60, nach den Kanzlergesprächen am 23. Dezember 1999 umtituliert in Beschäftigungsbrücke Jung/Alt, war auch in der Mitgliedschaft der IG Metall nicht unumstritten. Auf der Diskussionsseite der IG Metall im Internet überwogen unmittelbar nach Präsentation dieses Forderungsvorschlags die kritischen Stimmen. Insbesondere jüngere Kolleginnen und Kollegen konnten nicht verstehen, dass sie 0,5% von ihrer Lohnerhöhung in einen Fonds abgeben sollen, von dem sie wegen der beschränkten Laufzeit nichts haben würden. Auch die Hinweise, dass durch das Ausscheiden älterer Kollegen in Zukunft Auszubildende nicht nur für ein halbes Jahr, sondern dauerhaft übernommen würden oder es zu echten Neueinstellungen käme, schienen die Kritiker nicht zu überzeugen. Mit der offiziellen Aufstellung dieser Forderung durch die Tarifkommissionen war die Diskussion jedoch zu Ende.
Hintergrund der Initiative des IG-Metall-Vorstands war die mangelnde Beschäftigungswirksamkeit des Tarifvertrags zur Altersteilzeit. Die "doppelte Freiwilligkeit" der Unternehmer, nämlich nur freiwillig auf betrieblicher Ebene eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat über eine Altersteilzeit zwischen dem 55. und 60.Lebensjahr abzuschließen, und darüber hinaus auch letztendlich zu entscheiden, ob jemand ausscheiden darf oder nicht, ist bis heute ein unüberwindbares Hindernis für die Beschäftigten.
Zudem sind die zu erwartenden Rentenabschläge nur dann hinnehmbar, wenn sie durch den Anspruch auf eine betriebliche Rente ausgeglichen werden können. Das gilt allerdings nur für eine abnehmende Minderheit der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie.
So ist es nicht verwunderlich, dass das Interesse, spätestens mit 60 Jahren aus dem Leistungsdruck des Erwerbslebens auszusteigen, die Möglichkeiten, dies auch zu ertragbaren Bedingungen zu tun, deutlich übersteigt.
Auf Basis dieser Erfahrungen ist die Linie der IG Metall nur konsequent.
Was die Unternehmervertreter daran nicht mögen, ist klar: Sie wollen auch weiter für jede einzelne Person bestimmen können, wer gehen soll und wer nicht. Sie wollen auf Dauer aus der paritätisch finanzierten Sozialversicherung raus, um die Lohnnebenkosten zu senken, und deshalb mit allen Mitteln verhindern, dass sich mit der Brücke Jung/Alt ein neues Tor tarifvertraglicher Verpflichtungen öffnet.
Und nach dem letzten Gewerkschaftstag der IG Metall müssen sie auch nicht fürchten, dass die Frage der Arbeitszeitverkürzung à la 32-Stunden-Woche Ende dieses Jahres im Forderungspaket der IG Metall steht.
Allerdings ist auch für die MetallerInnen klar geworden, dass ein Abschluss, der bessere Bedingungen für einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Arbeitsleben schafft, andere Formen der Arbeitszeitverkürzung als die der Lebensarbeitszeit auf Jahre hinaus nicht auf die Tagesordnung stellt. VertreterInnen einer Wochenarbeitszeitverkürzung werden schwer daran zu schlucken haben; diejenigen in der IG Metall, die sich für Jahres- oder Lebensarbeitszeitverkürzung stark gemacht haben, werden das begrüßen.
Ob die nächsten Verhandlungsrunden in dieser Woche schon ein Ergebnis bringen werden, ist noch völlig unklar.
Sicher aber scheint zu sein, dass der Abschluss auch nach einer Welle von Warnstreiks und möglicher Urabstimmung eine wesentliche Weichenstellung für die zukünftige Tarifpolitik in der Metall- und Elektroindustrie bringen wird. Wie immer man zu der Brücke Jung/Alt stehen mag, ein Tarifvertrag, wie ihn die IG BCE unterschrieben hat, ist beschäftigungspolitisch ein Desaster und angesichts der Verlautbarungen Schröders in Lissabon, die von Wachstumsraten von 3% sprechen, wäre ein langfristiger Lohnabschluss ohne Öffnungsklauseln ebenfalls fatal. Klaus Zwickels Aufruf zum "Ende der Bescheidenheit" ist aktueller den je.

Udo Bonn


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