Sozialistische Zeitung |
Im Jahr 1989 hob die jugoslawische Regierung in Belgrad die bis dahin den Kosovo-Albanern gewährte
begrenzte Autonomie auf. Trotz der verschärften Repression gelang es den Albanern, einen eigenen "Schattenstaat"
aufzubauen; bei geheim abgehaltenen Wahlen 1992 und 1998 wurde Ibrahim Rugova zu dessen Präsidenten, Bujar Bukoshi zum
Premierminister gewählt. Mit der militärischen Eskalation des Kosovokonflikts durch die NATO-Bombardierungen und der
serbischen Vertreibungspolitik begann die Zerschlagung dieses "Schattenstaats". Auftrieb erhielt nun die UÇK, die eine
"Provisorische Regierung des Kosovo" unter Führung von Hasim Thaqi ausrief.
Bis Mitte 1999 konkurrierten im
Kosovo damit zwei albanische und eine serbische Regierung um die Macht. Nach der Eroberung der Provinz durch die NATO-Truppen und
dem erzwungenen Rückzug der jugoslawischen Armee teilte sich die Macht nunmehr zwischen den beiden albanischen Regierungen und
der UNO, die die Regierungsgewalt vermittels der UNMIK ausübte.
In einem Abkommen vom 15.Dezember 1999 einigten sich die albanischen
Gruppierungen mit der UNMIK auf die Auflösung der beiden albanischen Separatregierungen bis zum 31.Januar 2000. Zugleich
beschlossen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Mitwirkung der kosovo-albanischen Bevölkerung die Bildung eines
Transitional Administrative Council of Kosovo, das sich aus Vertretern der UNMIK, verschiedener politischer Strömungen der
albanischen sowie einem Vertreter der serbischen Bevölkerung zusammensetzen sollte.
In den ersten Monaten nach dem Ende der Bombardierungen nahm die
UNMIK alle Regierungsfunktionen wahr - mit der Einschränkung, dass sie gegenüber den KFOR-Truppen keine
Weisungsbefugnisse hatte - und hat. Um die ortsansässige Bevölkerung an der politischen Willensbildung zu beteiligen,
gründete die UNMIK zunächst das Kosovo Transitional Council (KTC). Dieses sollte nach einem von der UN erdachten
Proporzschema die verschiedenen Bevölkerungsgruppen repräsentieren und die politische Machtausübung durch die UN
legitimieren, indem es Beratungsfunktion wahrnahm, ohne eine tatsächliche Entscheidungsgewalt zu haben.
Dem UN-Beauftragten Bernard Kouchner gelang es jedoch nicht, der
Bevölkerung dieses Modell schmackhaft zu machen. Bereits im Juli 1999 boykottierten sowohl Serben als auch Albaner die Teilnahme
an der Scheinregierung. Monate später wurde ein weiteres Gremium erkoren, das Transitional Administrative Council of Kosovo
(TACK); das KTC blieb daneben bestehen, die Mitgliedschaft darin wurde auf andere Minderheiten ausgeweitet.
Seit dem 31.Januar, dem Zeitpunkt der Auflösung der beiden
albanischen Separatregierungen, hat das TACK im Gegensatz zum KTC tatsächlich Entscheidungskompetenzen und kann
Regierungsfunktionen wahrnehmen. Diese Kollektivregierung setzt sich aus acht Personen zusammen: vier Vertreter der UNMIK haben eine
50%ige Sperrminorität, drei Albaner repräsentieren jeweils die Richtung von Ibrahim Rugova (Demokratische Liga), Hasim Thaqi
(Partei des Demokratischen Fortschritts) und Rexhep Qosja (Vereinigte Demokratische Bewegung), ein Serbe. Andere ethnische Minderheiten
sind nicht repräsentiert, ebensowenig andere politische Strömungen innerhalb der albanischen Bevölkerung.
Der UN-Beauftragte Kouchner behält jedoch all seine Legislativ- und
Exekutivfunktionen. Somit ist auch das TACK nur eine Pseudo-Regierung. Somit bestehen weiterhin drei offizielle Regierungsgremien mit
abgestufter Gewaltfülle nebeneinander: UN-Alleinherrscher Kouchner, das TACK und das KTC.
Eine neue
Nomenklatura
Nicht nur die Institutionalisierung einer demokratisch legitimierten Regierung, auch der Aufbau eines neuen
Staatsapparats bereitet große Probleme. Bisher fehlt es an entsprechenden Verwaltungsstrukturen. Der Aufbau einer eigenständigen
Justiz ist schwierig, weil es keine kosovarische Gesetzgebung gibt. Man hat sich allerdings darauf verständigt, dass im Kosovo die
jugoslawischen Gesetze gelten sollen, die bis 1989 dort gegolten haben. Eine demokratisch legitimierte Gemeinde- und Provinzverwaltung setzt
Wahlen voraus; Kommunalwahlen sind für September vorgesehen, doch es ist unklar, ob sie an den politischen Konflikten innerhalb und
zwischen den Bevölkerungsgruppen scheitern werden.
Die UÇK hat nach dem Ende der Bombardierungen einen erneuten Wandel
durchgemacht. Über die Hälfte der Krieger waren im Laufe des Jahres 1999 - also im unmittelbaren Vorfeld und während
des NATO-Kriegs - zur UÇK gestoßen, zwei Drittel darunter Erwerbslose, über drei Viertel unter 30 Jahre. Nur 10% der UÇK-
Krieger waren vor 1998 in diese eingetreten.
Als die UÇK Ende September 1999 ihre schweren Waffen abgab,
zählte sie nach Angaben eines Artikels der Los Angeles Times (18.9.) noch 10700 Bewaffnete. Einer Umfrage der Internationalen
Flüchtlingsorganisation zufolge strebten ca. 30% davon eine weitere Karriere als Soldat oder Polizist an. Nach Angaben Agim Cekus,
ehemals Stabschef der UÇK, hat diese sich seitdem in verschiedene Richtungen entwickelt: der größte Teil wurde demobilisiert
und hat versucht, sich wieder ins Zivilleben zu integrieren; ein anderer hat eine politische Partei gebildet, die Partei des Demokratischen
Fortschritts von Kosovo; wieder andere haben sich Nichtregierungsorganisationen angeschlossen, die mit der Minenräumung befasst sind.
Wieder ein anderer Teil verdingt sich im albanischen Polizeiapparat, der im Aufbau befindlich ist - die ersten 44 Polizisten wurden am
21.Januar 2000 in Pristina vereidigt. Die neue Polizei ist jedoch umstritten, weil ihr Personal großenteils aus den Reihen der UÇK
stammt. Ein letzter Teil ist schließlich in der Militärstruktur KPC geblieben. Das KPC konserviert die Kommandostrukturen der
UÇK, die in verschiedene, sich untereinander befehdende und für unterschiedliche Interessen operierende Gruppen zerfallen ist.
Die International Crisis Group spricht in ihrem letzten Bericht über
die Entwicklung der UÇK von einer Fraktionierung der albanischen Machtstrukturen im Kosovo, die von einer Nomenklatura mit
unterschiedlichen Interessen geführt würden. "Dies scheint uns ein treffender Begriff für eine politische Klasse zu sein,
die offenkundig gespalten und schlecht koordiniert ist, aber dennoch von gemeinsamen Interessen zusammengehalten wird", heißt es
dazu in einem Kommentar in Notizie Est (Nr.311). "Diese Nomenklatura bezieht ihre Legitimität fast ausschließlich aus ihren
privilegierten Beziehungen zur UN-Verwaltung und zu den Strukturen der KFOR, aber auch aus örtlichen Machtpositionen, die sie
während des Krieges aufbauen konnte - und die sie nicht innehätte, wenn demokratische Verhältnisse herrschten. Beispielhaft
für die Substanz dieser Nomenklatura ist die Konservierung der Kommandostruktur der UÇK im Rahmen des KPC als Gegenleistung zur
Auflösung der UÇK.
Diese Kommandostruktur hat keine Funktion außer der, die
Privilegien einer kleinen Kaste zu sichern, die davon lebt und sich je nach Bedarf den Kosovo-Albanern gegenüber als ‚künftige
Armee des Kosovo aufführt, in der Praxis aber eine ganz andere Linie verfolgt, die von den westlichen Institutionen vorgegeben
wird."
Gegenseitige Erpressung
Aus dieser Position heraus unterhalten die albanischen Führer durch die Bank
ein zweideutige Verhältnis zu radikalen politischen und bewaffneten Gruppen. Führende Vertreter des KPC decken oder
unterstützen deren Gewaltakte, ob sie sich gegen Serben, gegen albanische Minderheiten, Roma oder die KFOR richten, denunzieren sie
gegenüber der internationalen Öffentlichkeit aber gleichzeitig als "terroristisch". Sie versuchen, aus diesem Balanceakt
eine "Vermittlerrolle" zu gewinnen, die sie unentbehrlich machen soll. So könnten "die Nachrichten über
Operationen der LKÇK an der Grenze von Kosovo nach Südserbien auch von der Gruppe um Thaqi in die Welt gesetzt worden sein, um
einen unbequemen Rivalen aus dem Weg zu räumen; aber genausogut von Rugova, der immer noch im Besitz von einigen hundert
Millionen D-Mark ist, die er in den letzten Jahren von der albanischen Emigration eingesammelt hat", heißt es in Notizie Est. Die
Agentur AFP zitierte im März anonyme Quellen, wonach die ebenfalls in Südserbien operierende UÇPMB ein Geschöpf von
Bukoshi, dem Ex-Premier im Schattenkabinett Rugovas, sein soll; anderen Quellen zufolge soll es sich um eine Nachfolgeorganisation der UÇK
handeln.
Die Instrumentalisierung bewaffneter Aktionen für
"höhere" politische Zwecke scheint bei allen Teilen der kosovo-albanischen Führung Hand in Hand zu gehen mit der
vehementesten Distanzierung von ihnen. "Sowohl die örtliche wie auch die regionale Nomenklatura stützen ihre Macht auch
auf die Gewalt, und die verbale Distanz, die sie von Zeit zu Zeit zu ihr einnehmen, klingt hohl.
In einigen Fällen ist auch offenkundig, dass ihre örtlichen wie
regionalen Exponenten zu den internationalen Institutionen eine Beziehung der gegenseitigen erpresserischen Toleranz pflegen - auf der
Grundlage dieser Gewalt - nach dem Motto: ‚Du schweigst zu dem, was ich tue, und ich mache dir keine Sicherheitsprobleme, oder:
‚Ich lass dich deine örtlichen Spielchen machen, und du störst meine größeren Spielchen nicht. Hinzu kommt,
dass auf beiden Seiten der Wunsch nach Rache verbreitet ist." (Notizie Est, Nr.311.)
Von der zivilen Bevölkerung und deren wirklichen Sorgen entfernt
sich diese Nomenklatura dabei mehr und mehr. Während des Krieges wurden die Kämpfer der UÇK als Helden gefeiert, seitdem
ist ihre Popularität jedoch zurückgegangen. Eine Umfrage vom Februar 2000, die die NATO beim US-amerikanischen
Meinungsforschungsinstitut Gallup in Auftrag gegeben hatte, ergab, dass weniger als 13% der kosovo-albanischen Bevölkerung heute
für eine der politischen Parteien stimmen würden, die ehemalige Mitglieder der UÇK gegründet haben; 45% würden
für die Partei Rugovas stimmen. Gleichzeitig gibt es eine große Unzufriedenheit mit dem Wirken der UNO und der KFOR.