Sozialistische Zeitung |
Eines Tages ging ein Mann am Strand spazieren, nachdem ein Orkan tausende kleiner Krebse an Land
gespült hatte. Der Mann bückte sich und begann, einen nach dem anderen zurück ins Meer zu werfen. Ein anderer Mann
beobachtete ihn eine Weile und fragte dann: "Wie lange willst du diese Arbeit tun? Du wirst es nie schaffen, alle zu retten!" Darauf
nahm der Mann einen kleinen Krebs hoch und erwiderte: "Siehst du diesen hier?", woraufhin er ihn ins Wasser brachte: "Ich
habe sein Leben verändert!"
Mit dieser Geschichte erklärt Faith Mwangi-Powell, Vorsitzende von
FORWARD (Foundation for Womens Health Research and Development) in London, ihr Engagement gegen weibliche
Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation - FGM). Ich lasse mich nicht durch die riesige Masse betroffener Frauen abschrecken,
sondern konzentriere mich auf jede einzelne Frau und erreiche so auch ihre Kinder und Kindeskinder.
Neben FORWARD hat sich eine Reihe von Organisationen in Deutschland
diese Aufklärung zur Aufgabe gemacht. Auf einem von Amnesty International organisierten Symposium über weibliche
Genitalverstümmelung vom 11. bis 13.Februar 2000 in Köln wurde beschlossen, stärker als bisher zusammenzuarbeiten.
FORWARD, Terre des Femmes, Amnesty International, amnesty for women, World Vision, die Gesellschaft für technische
Zusammenarbeit (GTZ) sowie (I)ntact werden über eine gemeinsame Homepage und eine Datenbank versuchen, dieses Thema in
Deutschland noch stärker an die Öffentlichkeit zu tragen und einen effektiven Informationsaustausch zu gewährleisten.
15 Millionen Frauen und Mädchen sind in 28 Ländern Afrikas
und einigen Ländern Asiens groben Schätzungen zufolge von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, circa 15% von
ihnen von der grausamsten Variante, der Infibulation. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden im wesentlichen
fünf verschiedene Formen von Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen praktiziert.
Bei der sog. milden Sunna wird die Vorhaut der Klitoris eingestochen,
geritzt oder entfernt. Klitoridektomie bedeutet Entfernung der Klitoris. Die Exzision betreibt die teilweise oder vollständige Entfernung
der Klitoris und der kleinen Schamlippen. Bei der Infibulation kommt es zur Amputation der Klitoris und der inneren und äußeren
Schamlippen. Dabei werden die Reste der äußeren Schamlippen vernäht, so dass nur eine stecknadelkopfgroße
Öffnung bleibt, durch die der Urin und das Menstruationsblut abfließen können. Eine fünfte Form bilden unklassifizierte
Genitalverstümmelungen, wie zum Beispiel Gushiri-Schnitte, die den um vieles älteren Ehemännern der Frauen die
Penetration erleichtern sollen. Klitoridektomie und Exzision sind amnesty international zufolge mit 85% die bei weitem häufigsten
Formen von FGM.
Obschon die Eingriffe zunehmend in Krankenhäusern unter
Betäubung stattfinden, werden sie in der Regel noch, wie die Somalierin Waris Dirie in ihrem autobiografischen Bestsellerroman
Wüstenblume eindringlich schildert, bei vollem Bewusstsein und unter unhygienischen Bedingungen mittels scharfer Gegenstände,
Messer oder Rasierklingen, vorgenommen.
Bei einer Infibulation muss zudem für Geburten und meistens vor dem
ersten Geschlechtsverkehr eine Erweiterung der Vaginalöffnung, d.h. eine Defibulation, erfolgen. Oft werden den Frauen nach jeder
Geburt die Narbenränder der äußeren Schamlippen erneut zusammengenäht.
Gesundheitliche Schäden
Viele der gesundheitlichen Folgen der Infibulation sind durch die
Beschreibungen von Waris Dirie einer breiten Öffentlichkeit auch in Deutschland bekannt geworden. Zu den akuten Beschwerden der
Klitoridektomie oder Exzision, wie unvorstellbaren Schmerzen, anhaltenden Blutungen u.a. mit Todesfolge und Infektionen, kommen
langfristige Komplikationen, wie chronische Infektionen (zum Beispiel HIV), immer wiederkehrende Blutungen, Abszesse und Nerventumore.
Noch schwerwiegendere Langzeitfolgen kann laut Amnesty International
die Infibulation haben. Dazu zählen chronische Harnwegsinfektionen, Steine in Blase und Harnröhre, Nierenschäden,
Infektionen der Fortpflanzungsorgane, die durch das gestaute Menstruationsblut hervorgerufen werden, Beckeninfektionen und Unfruchtbarkeit,
überschießendes Narbengewebe, bei der es zur fortschreitenden Narbenbildung kommt, und Dermoid-Zysten.
Begründet wird die Praxis der Genitalverstümmelung von
Region zu Region sehr unterschiedlich. Oft wird sie im Zusammenhang mit der Initiation der Mädchen ins Erwachsenenleben
durchgeführt, teilweise aber auch erst nach der ersten Schwangerschaft oder auch bereits im Säuglingsalter. Angaben der WHO
zufolge sind die meisten Mädchen heute bei dem Eingriff zwischen vier und acht Jahre alt, tendenziell werden die Mädchen jedoch
immer jünger.
Seit den 80er Jahren arbeiten in Afrika jedoch Frauenorganisationen
für die Abschaffung dieser Praxis und erzielen bereits Erfolge. Joy Keshi Ashibuogwu von der Women Issues Communication Services
Agency (WISCA), in Nigeria schätzt den Trend rückläufig ein. Verschiedene Projekte in Afrika experimentieren mit
alternativen unblutigen Initiationsritualen, so zum Beispiel ein von der Organisation World Vision unterstütztes Projekt in
Kenya.
Als Asylgrund anerkennen
Die Aufklärung über FGM muss äußerst einfühlsam und aus
der Kultur selber erfolgen. Naiver feministischer Eifer von Frauen aus Europa führt bei den Afrikanerinnen leicht zu dem Gefühl, in
neokolonialistischer Weise bevormundet zu werden. AktivistInnen in Europa sehen ihre Aufgabe somit in der Forderung nach Anerkennung von
weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund sowie in der finanziellen Unterstützung von Projekten vor Ort.
In diesem Sinne funktioniert auch das von der Gesellschaft für
technische Zusammenarbeit neu initiierte Programm zur Förderung von Initiativen zur Überwindung von weiblicher Beschneidung.
Lokale Projekte, wie zum Beispiel ein Symposium religiöser Führer in Guinea und Ägypten oder die Produktion eines Rap-
Songs zu FGM in Mali werden gefördert.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat
FGM seit 1995 in ihre Menschenrechtsarbeit aufgenommen. Ziel ist es, das öffentliche Bewusstsein für FGM als Angelegenheit der
Menschenrechte zu schärfen und Regierungen aufzufordern, internationale Menschenrechtsverträge in Kraft zu setzen, die auf die
Abschaffung von FGM abzielen.
FORWARD hingegen arbeitet konkret mit Betroffenen in Projekten in
Afrika und Europa. FORWARD Nigeria wurde 1999 gegründet und ein Gesundheitszentrum im Norden des Landes eröffnet. In
diesem Teil Nigerias werden jungen Mädchen die sog. Gushiri-Schnitte zugefügt. Diese Schnitte können allerdings
verheerende medizinische Folgen haben: Es können sich Fisteln (ungewollte Verbindungen) zwischen After und Blase bilden, die
Inkontinenz und starke Geruchsbildung zur Folge haben.
Betroffene Mädchen werden oft wie Aussätzige behandelt,
leben auf der Straße, bekommen keine medizinische Versorgung und auch keine Ausbildung. FORWARD hat mit Mitteln des britischen
Gesundheitsministeriums nun eine Wiedereingliederungsstätte errichtet, in der diesen Mädchen neben medizinischer Betreuung eine
berufliche Qualifizierung angeboten wird.
Eine zweite wichtige Aufgabe von FORWARD besteht in der
Aufklärung über FGM in Europa. Zudem werden Beratungen für betroffene afrikanische Frauen angeboten. Das Interesse am
Thema FGM ist bei den meisten von ihnen jedoch gering. Eine Afrikanerin, die nach Europa kommt, hat viele Probleme und Fragen. FGM steht
immer ganz am Ende der Liste.
Von Wichtigkeit ist vor allem auch die Aufklärung über FGM
bei Berufsgruppen, die mit genitalverstümmelten Frauen in Berührung kommen und meist nichts über diese Praxis wissen.
ÄrztInnen reagieren oft mit Ekel oder Entsetzen und sind häufig hilflos bzw. unsensibel. Auch RechtsanwältInnen,
SozialarbeiterInnen und Hebammen müssen informiert und sensibilisiert werden.
Stefanie Michels