Sozialistische Zeitung |
Die grosse Halle von Martigues liegt eingekeilt zwischen dem "provenzalischen Venedig" - wie
die malerische Altstadt der südfranzösischen 45000-Einwohner-Stadt genannt wird - und der enormen Autobahnbrücke, die
den "Kanal Quarante" überspannt, der das nahe Mittelmeer mit dem Binnenmeer Etang de Berre verbindet. Martigues wird
seit Kriegsende durch die Französische Kommunistische Partei (Parti Communiste Français - PCF) regiert, deren 30.Parteitag hier
mit etwa 900 Delegierten und 500 Gästen am 23.März 2000 eröffnet wurde.
Doch keine roten Fahnen sind vor der grossen Halle von Martigues
aufgezogen; das äußere Erscheinungsbild des Versammlungsorts bleibt unspektakulär. Auf dem letzten Kongress - der im
Dezember 1996 in der Pariser Banken- und Geschäftsvorstadt La Défense stattgefunden hatte - waren die alten Parteizeichen
Hammer und Sichel aus dem symbolischen Arsenal der Partei gestrichen worden.
Für jene, die der - durch Parteisekretär Robert Hue
ausgerufenen - mutation (Verwandlung) der KP mit Skepsis, Kritik oder offener Ablehnung gegenüberstehen, ein erneutes Anzeichen
für die "reformistische Selbstaufgabe" und "schleichende Sozialdemokratisierung" der Partei. Doch unter den
Kongressdelegierten bleiben sie in der Minderheit.
Zum ersten Mal ist die Gesamtheit der übrigen Linkskräfte auf
dem Parteitag vertreten, von der Sozialdemokratie bis hin zu den - dereinst als "Verräter" verfemten - Trotzkisten.
Für letztere ist sowohl die populäre
Präsidentschaftskandidatin Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière (LO - Arbeiterkampf) als auch Alain Krivine, Sprecher der
Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR/IV.Internationale), angereist.
Nach wie vor sind die ausländischen, früher so genannten
"Bruderparteien" vertreten, von den italienischen verfeindeten Brüdern (die oppositionelle Rifondazione Comunista und die
mitregierende "Partei der italienischen Kommunisten" (PdCI) über die deutsche PDS und die Kubaner bis hin zur
vietnamesischen Staatspartei.
Nicht eingeladen, ja ausdrücklich unerwünscht ist zum ersten
Mal die russische KPRF. Die französische KP hatte bereits 1996 antisemitische Töne des KPRF-Vorsitzenden Gennadi Sjuganow
kritisiert. Die (nationalistische) Position der KPRF zum jüngsten Tschetschenien-Krieg hatte schließlich, Anfang des Jahres, zu
ihrer Ausladung geführt.
Die explite, schonungslose Kritik bleibt auf dem Kongress im wesentlichen
auf jene - "orthodoxen", "konservativen" - Kreise beschränkt, die den alten Strukturen der KP verhaftet bleiben,
als die KP noch dem "sowjetischen Modell" folgte.
Zu ihnen zählt Jean-Claude Danglot, Delegierter aus dem alten
Kohlerevier Pas-de-Calais. Er erklärt, es gehe ihm "nicht darum, ein neues Kapitel aufzuschlagen, sondern (darum,) weitere
schöne Seiten in der Geschichte der KP fortzuschreiben", wobei er den Wahlkampf von Jacques Duclos
(Präsidentschaftskandidat 1969) beschwört.
Ein Teil dieser "Orthodoxen" will sich nun offen als Fraktion
konstituieren: Je nach den Protagonisten innerhalb der Partei, an ihrem Rand oder halb in und halb außerhalb der Partei.
Innere
Reformen
Die im Januar 1994 neu gewählte Führung unter dem "nationalen Sekretär" (Ex-
Generalsekretär) Robert Hue, hatte eine Reform der KP an Haupt und Gliedern in Aussicht gestellt. Diese sollte den "Bruch mit
dem sowjetischen Modell" im Inneren der Partei umsetzen. Zugleich sollten die gesellschaftliche Rolle und das Selbstverständnis
der KP radikal neu definiert werden.
Um die Existenz der KP als eigenständige politische Kraft, neben
einer übermächtigen Sozialdemokratie, zu rechtfertigen, betont die Parteiführung eine Öffnung der Partei in mehrere
Richtungen zugleich. So werden die Beteiligung an einer sozialdemokratisch geführten Regierung, deren reale Wirtschaftspolitik
häufig genug sozialliberale Züge trägt, einerseits und die neue Offenheit zu sozialen Bewegungen und Initiativen aus der
"Zivilgesellschaft" gleichermassen als Ausdrücke der "Öffnungspolitik" dargestellt.
Dass zwischen beiden Orientierungen entlang konkreter gesellschaftlicher
Sachfragen und sozialer Konflikte oftmals ein handfester Widerspruch bestehen kann, wird dabei im Wesentlichen kaschiert. Die bekannte
Feministin (und LCR-Aktivistin) Maya Surduts bleibt skeptisch. Am Ausgang des Parteitagsforums, das am Freitag vormittag über
"Die strategischen Orientierungen der KP" diskutierte, kommentiert sie:
"Die ‚soziale Bewegung wird ständig beschworen.
Einige der Delegierten, die dies hier geäußert haben, tun dies ehrlich und auf differenzierte Weise. Für andere geschieht dies
mitunter gebetsmühlenartig, und ‚die soziale Bewegung hat als Generalformel ‚die Arbeiterklasse abgelöst, als
deren Vertretung man sich so lange ausgab."
Neue Führungsgremien
Zu den wichtigsten innerparteilichen
Umwälzungen, die auf dem Kongress erwartungsgemäss beschlossen wurden, gehört, dass die zentralen
Führungsgremien - die 1994 schon umbenannt wurden - durch neue ersetzt werden. So werden das "nationale Komitee" (Ex-
Zentralkomitee) und das "nationale Büro" (Ex-Politbüro) abgeschafft. An ihre Stelle tritt ein Conseil national (in etwa:
"Nationalrat"), der als eine Art "Parlament" der Partei fungieren und die Politik der Partei in ihren Grundausrichtungen
festlegen soll.
Doch anders als das Zentralkomitee/nationale Komitee, soll das neue
Gremium ab jetzt tatsächlich in freier Wahl vom Kongress bestimmt werden. Dem neuen Leitungsgremium, das für 250 Personen
ausgelegt ist, sollen künftig 100 "Aktivisten aus Politik und sozialen Bewegungen" angehören, was auf eine
Rekrutierung der Führungsmitglieder auch von außerhalb der Partei schließen lässt.
Daneben sollen ihm 150 weitere Mitglieder automatisch angehören,
die eine öffentliche Verantwortung für die Partei wahrnehmen und die eine Legitimation durch den
"Wählerwillen" besitzen, was die Frage aufwirft, ob hierdurch nicht ein Übergewicht der parlamentarischen
Institutionen und der an Regierungsverantwortung gebundenen Teile der Partei zu befürchten ist.
Ferner wurde das neue Führungsgremium massiv für
weibliche, jüngere und aus der Immigrationsbevölkerung stammende Personen geöffnet. 42% der in Martigues
gewählten Mitglieder sind weiblich, zwischen 10 und 11% sind jünger als 35 Jahre.
Die rund 40-köpfige Führungsspitze der Partei wurde ebenfalls
durch eine neue Instanz ersetzt, das Collège exécutif. Im Gegensatz zum bisherigen Büro, wird das neue
"Exekutivkollegium" nunmehr direkt vom Kongress gewählt werden. Dasselbe gilt für den nationalen Sekretär.
Dadurch erhofft man sich eine Entbürokratisierung der Partei und eine verstärkte demokratische Legitimation für die
Parteispitze.
Manche Parteimitglieder geben unterdessen ihrer Befürchtung
Ausdruck, dass die Direktwahl - insbesondere des Sekretärs - den Führungspersonen an der Spitze zu großes Gewicht
verleihen könnte.
Der innerparteiliche "Erneuerer"-Flügel in Gestalt der
Refondateurs ("Neugründer") ist mit 10 Sitzen im neuen Nationalrat vertreten, während die opponierenden
"Orthodoxen" auf zwei Vertreter beschränken bleiben.
Politisch zählen die "Erneuerer" zum neuen
innerparteilichen Mehrheitsblock, wenngleich die Zentralfraktion hinter Robert Hue ihr relativ wenig Platz in den Führungsgremien
eingeräumt hat. Die anvisierten Reformen unterstützen sie, wenngleich sie sie weitertreiben möchten - hin zu einer
"Überwindung der vom Stalinismus ererbten Parteiform" und einer Sammlung aller veränderungswilligen Kräfte
in der Gesellschaft rund um eine offene politische Formation.
Die "orthodoxen" Kräfte arbeiten jetzt auf eine
Entwicklung wie in Italien hin, da sie der neuen innerparteilichen Mehrheit die Tendenz unterstellen, ähnlich wie im Falle der
italienischen Ex-KP und nunmehrigen DS (Linksdemokraten) glatt zur Sozialdemokratie überzulaufen. Sie erwarten sich das
Herausbrechen einer Fraktion von KommunistInnen aus der Partei, die ihren Werten und Ideen verhaftet bleiben.
Ein solchermassen scharfer Bruch ist aber nicht zu erwarten, da in
Frankreich heute - im Gegensatz zu Italien Anfang der 90er Jahre - kein Platz für eine zweite sozialdemokratische Partei ist.
Wahrscheinlicher ist die Herausbildung einer Situation, die entfernt mit der in Deutschland vergleichbar wäre - wo die PDS (mit einer
innerparteilichen "orthodoxen" Opposition) und die kleinere und orthodoxere DKP nebeneinander existieren und teils politisch
differieren, teils zusammenarbeiten oder bei Wahlen gemeinsam kandidieren.
Bernhard Schmid