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Leider sind Linke", so erklärt der scheidende Vorsitzende der PDS, Lothar Bisky, "oft die
größten Rechthaber. Das ist geradezu eine Krankheit bei uns." Eine Krankheit, unter der allerdings vor allem die leiden, die
vorgeben, nicht davon betroffen zu sein. Diese kuriose Trennung von Krankheit und Leidensgeschichte führt immer wieder zu abgedrehten
Situationen.
Geradezu typisch ist die intellektuelle Verstimmung mit angekoppelter
vorauseilender Bestrafung, über die schon der Meister Brecht in seinem Buch der Wendungen sinnierte: "Die Schüler Ka-
mehs [das ist, für alle nicht BB-Experten seis verraten: Karl Marx] verstimmten viele Philosophen dadurch, dass sie alle Fragen
gelöst zu haben schienen, wenn man sie hörte. Man klagte: Auf die schwierigsten Fragen äußern sie, die Sache sei sehr
einfach. Sie führen alles und jedes auf die Ökonomie zurück und erwarten alles von einer Umänderung der Art und
Weise, wie fabriziert wird. Wenn man sie hört, haben sie alle Rätsel gelöst und die Welt ist so einfach wie
Kuchenbacken."
Bezeichnenderweise wächst die Feindschaft zur Rechthaberei immer
dann, wenn die Abschiedsstimmung sich ausdehnt. So wie sich der Fuchs in der Fabel die Trauben, die zu hoch hängen, als zu sauer
erklärt, so rümpft der Genosse an der Schwelle der weitläufigen, um nicht zu sagen, beliebigen, Domäne des
Mainstreams die Nase angesichts der linken Festungen gegen den Strom. Vor allem dann, wenn er den Sprung aus ihnen heraus, für den
Kick gewagt hat, den der Bungee-Springer vor dem Fall spürt. Aber schon bald baumelt er am Gummiseil derjenigen, denen er noch
gerade entkommen wollte.
Ob die Linke nun Recht hat oder nicht, ob sie richtige Dinge sagt und tut
oder die falschen, spielt bei dieser ganzen Akrobatik überhaupt keine Rolle. Wie sagt unser zweiter Meister, Kurt Tucholsky, so nett:
"Alles ist richtig, auch das Gegenteil. Nur: ‚Zwar … aber - das ist nie richtig." Und das scheint uns der wahre Kern der
Sache zu sein: es sind die begeisterten "Zwar-aber"-Rufer und -Ruferinnen, die lustvoll und doch geplagt auf die "linken
Rechthaber" eindreschen.
Die Biskys, die sich und den ihren versprechen, die PDS bleibe eine
antikapitalistische Kraft, aber von Angriffen auf das Privateigentum müsse sie - anti-rechthaberisch - bis auf Weiteres absehen. Die
Gysis, die den imperialistischen Krieg ächten, aber ihm "nach Einzelfallprüfung" und "anti-rechthaberisch"
die Zustimmung erteilen. Die Bries, die das Leid beklagen, das die kapitalistische Ökonomie hinterlässt, aber, "anti-
rechthaberisch", von einer Moderne schwärmen, die durch den Kapitalismus begründet wird.
Wir wollen höflich nicht weiter vertiefen, dass solche verbalen
Schwüre auf die Ausgewogenheit in der Regel mit viel größerer Platzhirschattitüde und Unduldsamkeit
gegenüber anderen Meinungen daherkommt, als die Auftritte der prinzipienfesten Linken. Wie sie auch in Geist und Inhalt mit den
Versuchen all der den bürgerlich-globalisierten Mainstream produzierenden Medien korrespondieren, die nichts anderes im Sinn haben,
als eine linke Opposition, die noch immer in der PDS gewittert wird, zu domestizieren, zu "hausschweinisieren", wie der leider fast
immer falsch liegende Rechthaber Robert Kurz es ausnahmsweise berechtigt nennen würde.
Unerbittlicher Meinungsstreit, um nicht von der zweitschönsten aller
Lüste, der Streitlust, zu schwärmen und ihr kunstvolles Handwerk, die Polemik, haben die Linke immer nur gestärkt.
Geschwächt wurde sie dagegen von der Unfähigkeit, diese Pluralität mittels einheitsstiftender Aktionsprinzipien in eine
strategisch gegen den Klassenfeind gerichtete Praxis umzusetzen. Diese Unfähigkeit ist allerdings weniger in linker Rechthaberei
begründet, als in schnöden Importen ziemlich rechter und bürgerlicher Positionen in die linken Vereinigungen:
autoritäre Zwangsvereinheitlichungen, undemokratische Willensbildungsprozesse von oben nach unten, bürokratische
Klüngelei von Parteivorständen, Unvereinbarkeitsbeschlüsse und allen vor voran die Stimmungsmache der "Zwar-
aber"-Gemeinde.
Wer sich gegen die "Rechthaberei" der Linken auflehnt, sollte
daher bedenken, an wen er sich damit anlehnt. Sonst folgt der Tragödie der opportunistischen Anpassung und Domestizierung der
Sozialdemokratie und der Farce des gleichartigen Prozesses bei den Grünen nur noch eine nochmals beschleunigte Daily Soap der
Hausschweinisierung der PDS.
Thies Gleiss