Sozialistische Zeitung |
Die Greencard ist in Deutschland derzeit das arbeitsmarktpolitische Thema Nummer eins. "Kinder statt
Inder" ist einer der Wahlslogans der nordrheinwestfälischen CDU, die schon 20000 indische Spezialisten in ihr Land einfallen sah.
Um seine fremdenfeindlichen Ressentiments zu untermauern, bemühte der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Jürgen
Rüttgers, sogar entwicklungspolitische Argumente: Die angeworbenen Fachkräfte würden dann in den entsprechenden
Ländern fehlen.
Der Wahlslogan war ein kompletter Fehlgriff: Statt der erwarteten Inder
sind es bisher nur einige Bulgaren, die das zeitlich begrenzte Angebot wahrnehmen. Dennoch ist mit der Greencard eine neue Phase in der
schon lange schwelenden Debatte um Einwanderung eingeläutet. Betrachtet man die inhaltlichen Stellungnahmen, erscheinen
oberflächlich die Unternehmer als der fortgeschrittenste Teil der Gesellschaft. Sogar ein Teil der antirassistischen Szene sekundiert die
Anliegen der Wirtschaftsbosse. So spricht sich in der bundesweit vertriebenen Zeitung morgengrauen eine Autorin im Zusammenhang mit
globalen Migrationsbewegungen und dem Ziel offener Grenzen für die Notwendigkeit einer Absenkung des Lohnniveaus in Deutschland
aus.
Genau das entspricht wiederum den Befürchtungen der
Gewerkschaften. Vor allem dann, wenn das Modell "Greencard" mittel- und langfristig auf andere Branchen ausgeweitet wird. Die
Analyse, dass Einwanderung neben Einsparungen im Ausbildungsbereich - bei einer zeitlichen Limitierung der Greencard auch bei den
Rentenzahlungen - auch den Druck auf das Lohnniveau in Deutschland erhöht, ist zweifellos richtig. Doch die Konsequenzen, die viele
Gewerkschaftsvertreter aus dieser Erkenntnis ziehen, unterscheiden sich kaum von denen der CDU. Verfangen in der Standortlogik fällt
ihnen nichts besseres ein, als deutsche Arbeitsplätze für Deutsche zu fordern.
Die Greencard ist eine begriffliche Anleihe aus der US-amerikanischen
Einwanderungspraxis. Ein Blick über den großen Teich könnte auch den deutschen Gewerkschaften einen Schritt in die
richtige Richtung weisen. Dort betrachtet der Gewerkschaftsverband AFL-CIO nicht nur die legalen Einwanderer, sondern auch die
ArbeitsmigrantInnen ohne Aufenthaltserlaubnis mittlerweile als KollegInnen. Die AFL-CIO hat kürzlich eine Resolution verabschiedet,
die eine Legalisierung aller ArbeitsmigrantInnen fordert. Damit zeigt er auch den deutschen Gewerkschaften den einzig gangbaren Weg auf:
Anstatt sich gegeneinander ausspielen zu lassen, sollten sie gemeinsam mit Einwanderern den Preis für die Ware Arbeitskraft in die
Höhe treiben. Doch das würde zunächst voraussetzen, die Standortlogik der neoliberalen Schule auch in den eigenen Reihen
zu hinterfragen.