Sozialistische Zeitung |
Im Wettlauf um die Gunst der Jungwähler hatte diesmal Minister Jürgen Trittin die Nase vorn. Der
grüne Stratege forderte in der Bild am Sonntag: "Die Wehrpflicht sollte möglichst bald und ohne viel Aufsehens abgeschafft
werden." Ihm reiche eine "kleine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten" völlig aus. Die verheerende Wirkung der
Bundeswehr ist zu sehen, wenn junge Kollegen in den Betrieb zurückkehren, demoralisiert vom zehnmonatigen Zwangsdienst bei einem
Tagessold von 15 Mark, vom Falzen der Hemden auf DIN-A4-Format, vom Geführtwerden "ohne Tritt", im
Gänsemarsch zur Gemeinschaftsverpflegung, von sinnlosen Befehlen und eingeschliffenem Gehorsam. Isoliert und kaserniert in dieser
Männerwelt, unter dem Gebrüll nur wenig älterer Unteroffiziere, mussten sie neu lernen, was sie bereits zu können
glaubten: Gerade stehen - "Da krümmt sich kein Sackhaar!" Zackig gehen - "Nicht beim Vordermann einrasten".
Sich "richtig" anziehen, "richtig" grüßen, "richtig" putzen. Nur nicht auffallen! Widerspruch ist
nicht nur zwecklos, er fordert die Vorgesetzen heraus.
Doch nicht aus Empörung über die olivgrüne
Kasernentristesse, Drill und Sexismus speist sich die Kritik. Der grüne Umweltminister geht diese Bundeswehr viel
oberflächlicher an: Sie sei nicht mehr bezahlbar und unzeitgemäß. Hohe Offiziere hätten ihm gesagt, sie arbeiten lieber
mit Profis zusammen. Und wirklich, eine eingeschworene Truppe aus Freiwilligen könnte viel reibungsloser in Unruheherde geflogen
werden, um sie zu befrieden, sei es Somalia, Kosovo oder Hessen. Sicherlich macht es den Generälen und Leutnants auch viel mehr
Freude, hinter den Kasernenmauern mit lauter Gleichgesinnten zu exerzieren und im Offizierskasino politisch zu schwadronieren, als sich alle
paar Monate auf all die gesellschaftlichen Widersprüche in den Köpfen der Wehrpflichtigen einzulassen.
Billiger und sicherlich ebenso populär - und weit weniger
gefährlich als eine Berufsarmee, wie sie Trittin fordert - wäre eine alternative Bundeswehrreform: Verkürzung der
Wehrpflicht auf eine dreimonatige Grundausbildung, beschränkt auf die Einweisung in Waffen und Geräte, ohne Formaldienst,
Bettenbauen und Spindappelle; Einsatz am Wohnort statt Verschickung per Bahn quer durch die Bundesländer; Aufhebung der
Kasernierung, Abschaffung der Berufssoldaten.