Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 11.05.2000, Seite 9

Öffentlicher Dienst

Weg frei für Schlichtungsritual

Die dritte Verhandlungsrunde für die über drei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist gescheitert. Bundesweite Warnstreiks haben die Arbeitgeber nicht beeindruckt. Jetzt soll über das Schlichtungsverfahren eine Tarifeinigung herbeigeführt werden.
Die Warnstreiks und Protestkundgebungen von ÖTV und DAG haben gezeigt, dass die Bereitschaft der im öffentlichen Dienst Tätigen vorhanden ist, für ihre Interessen die Arbeit ruhen zu lassen und auf die Straße zu gehen, obwohl nicht alle Betriebe, Verwaltungen und sonstige Einrichtungen aus dem Organisationsbereich der ÖTV einbezogen wurden. So waren es in Berlin alleine im Verkehrssektor 10000, die im Ausstand waren und vorübergehend den Verkehr lahmlegten. Auch in München, Frankfurt/M., Kiel, Flensburg, Magdeburg, Zwickau, Leipzig, Bonn, Halle, Weimar, Osnabrück, Erfurt, Nürnberg, Fürth etc. ruhte der Verkehr.
Der Frankfurter Flughafen war ebenfalls betroffen. Vielerorts nahmen die Kolleginnen und Kollegen der Müllabfuhr, der Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten sowie anderer Einrichtungen an den Protestaktionen teil.
Jedoch versäumten es ÖTV und DAG, ein Verhandlungskonzept zu verfolgen, dass der Bereitschaft der Basis zu Kampfmaßnahmen Rechnung getragen hätte und eine Ausweitung der Streiks einplante. Stattdessen signalisierte der ÖTV-Vorsitzende Herbert Mai in einem frühen Stadium der Verhandlungen Kompromissbereitschaft.
Auf Arbeitgeberseite trat neben dem Verhandlungsführer Otto Schily der sächsische CDU-Finanzminister Milbradt als extremer Hardliner hervor. Das im Verlauf der Verhandlungen vorgelegte unverschämte Angebot von 1% für die ersten 12 Monate und 1,3% für den Rest der Laufzeit von 24 Monaten war sicherlich nicht nur Provokation, gewiß auch ein Stück Taktik, weil die Arbeitgeber von der Schlichtung einiges erwarten, z.B. die Friedenspflicht.
Die Forderung nach einem Stufenplan zur Anhebung der Löhne Ost, zur Zeit 86,5% der Westlöhne, wurde einfach ignoriert. Das dokumentiert die Haltung der beteiligten Politiker und zeigt, wie ernst es ihnen ist, wenn es um die Angleichung der Lebensverhältnisse der Arbeitnehmer geht - und das über zehn Jahre nach der Einverleibung der ehemaligen DDR.
Auf dieses Angebot hin erklärten ÖTV und DAG die Verhandlungen für gescheitert und öffneten damit den Weg in die Schlichtung. Mit diesem Schritt unterwarf sich die Gewerkschaftsführung der Friedenspflicht.
ÖTV und DAG setzen auf die Schlichter Hans Koschnik und Hinrich Lehmann-Grube (beide SPD), das geht aus einer Erklärung des Verantwortlichen der ÖTV-Tarifpolitik, Blechschmid, hervor. Die Vorgehensweise der Gewerkschaftsführung macht deutlich: die ÖTV/DAG-Führungsriege will ein Verhandlungsergebnis um jeden Preis, darum setzt sie auf Schlichtung und Kompromiss. Damit bewegt sie sich im Konsensrahmen des Bündnisses für Arbeit.
Waren die Warnstreiks also nur Dampfablassen oder heiße Luft?
Die Gewerkschaftsoberen wollen mit den Aktionen zum einen ihren Anspruch als Gleichberechtigte im Bündnis für Arbeit und gegenüber den öffentlichen Arbeitgebern unterstreichen und die Gegenseite zum Entgegenkommen bewegen. Zum anderen reagieren die Vorstände damit auf Kritik aus den eigenen Reihen und der Basis.
Der wichtigste Aspekt an den Kampfmaßnahmen ist, dass den Beteiligten und den Gewerkschaftsmitgliedern der Streik als Mittel des Kampfes ins Bewusstsein dringt und die Öffentlichkeit sich an den Streik als Kampfmittel gewöhnt. Dann waren die Aktionen nicht umsonst.
Vielleicht tragen sie mit dazu bei, dem Beispiel der norwegischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu folgen, die einen Tarifkompromiss ihrer Gewerkschaft mit den Unternehmern in einer Urabstimmung verworfen haben. Sie führen in diesen Tagen einen der größten Arbeitskämpfe seit Jahrzehnten. Hoffen wir, dass das Schule macht!

Hans Peiffer


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