Sozialistische Zeitung |
Die dritte Verhandlungsrunde für die über drei Millionen Beschäftigten im
öffentlichen Dienst ist gescheitert. Bundesweite Warnstreiks haben die Arbeitgeber nicht beeindruckt. Jetzt soll über das
Schlichtungsverfahren eine Tarifeinigung herbeigeführt werden.
Die Warnstreiks und Protestkundgebungen von ÖTV und DAG haben
gezeigt, dass die Bereitschaft der im öffentlichen Dienst Tätigen vorhanden ist, für ihre Interessen die Arbeit ruhen zu lassen
und auf die Straße zu gehen, obwohl nicht alle Betriebe, Verwaltungen und sonstige Einrichtungen aus dem Organisationsbereich der
ÖTV einbezogen wurden. So waren es in Berlin alleine im Verkehrssektor 10000, die im Ausstand waren und vorübergehend den
Verkehr lahmlegten. Auch in München, Frankfurt/M., Kiel, Flensburg, Magdeburg, Zwickau, Leipzig, Bonn, Halle, Weimar,
Osnabrück, Erfurt, Nürnberg, Fürth etc. ruhte der Verkehr.
Der Frankfurter Flughafen war ebenfalls betroffen. Vielerorts nahmen die
Kolleginnen und Kollegen der Müllabfuhr, der Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten sowie anderer Einrichtungen an
den Protestaktionen teil.
Jedoch versäumten es ÖTV und DAG, ein
Verhandlungskonzept zu verfolgen, dass der Bereitschaft der Basis zu Kampfmaßnahmen Rechnung getragen hätte und eine
Ausweitung der Streiks einplante. Stattdessen signalisierte der ÖTV-Vorsitzende Herbert Mai in einem frühen Stadium der
Verhandlungen Kompromissbereitschaft.
Auf Arbeitgeberseite trat neben dem Verhandlungsführer Otto Schily
der sächsische CDU-Finanzminister Milbradt als extremer Hardliner hervor. Das im Verlauf der Verhandlungen vorgelegte
unverschämte Angebot von 1% für die ersten 12 Monate und 1,3% für den Rest der Laufzeit von 24 Monaten war sicherlich
nicht nur Provokation, gewiß auch ein Stück Taktik, weil die Arbeitgeber von der Schlichtung einiges erwarten, z.B. die
Friedenspflicht.
Die Forderung nach einem Stufenplan zur Anhebung der Löhne Ost,
zur Zeit 86,5% der Westlöhne, wurde einfach ignoriert. Das dokumentiert die Haltung der beteiligten Politiker und zeigt, wie ernst es
ihnen ist, wenn es um die Angleichung der Lebensverhältnisse der Arbeitnehmer geht - und das über zehn Jahre nach der
Einverleibung der ehemaligen DDR.
Auf dieses Angebot hin erklärten ÖTV und DAG die
Verhandlungen für gescheitert und öffneten damit den Weg in die Schlichtung. Mit diesem Schritt unterwarf sich die
Gewerkschaftsführung der Friedenspflicht.
ÖTV und DAG setzen auf die Schlichter Hans Koschnik und Hinrich
Lehmann-Grube (beide SPD), das geht aus einer Erklärung des Verantwortlichen der ÖTV-Tarifpolitik, Blechschmid, hervor. Die
Vorgehensweise der Gewerkschaftsführung macht deutlich: die ÖTV/DAG-Führungsriege will ein Verhandlungsergebnis um
jeden Preis, darum setzt sie auf Schlichtung und Kompromiss. Damit bewegt sie sich im Konsensrahmen des Bündnisses für Arbeit.
Waren die Warnstreiks also nur Dampfablassen oder heiße Luft?
Die Gewerkschaftsoberen wollen mit den Aktionen zum einen ihren
Anspruch als Gleichberechtigte im Bündnis für Arbeit und gegenüber den öffentlichen Arbeitgebern unterstreichen und
die Gegenseite zum Entgegenkommen bewegen. Zum anderen reagieren die Vorstände damit auf Kritik aus den eigenen Reihen und der
Basis.
Der wichtigste Aspekt an den Kampfmaßnahmen ist, dass den
Beteiligten und den Gewerkschaftsmitgliedern der Streik als Mittel des Kampfes ins Bewusstsein dringt und die Öffentlichkeit sich an
den Streik als Kampfmittel gewöhnt. Dann waren die Aktionen nicht umsonst.
Vielleicht tragen sie mit dazu bei, dem Beispiel der norwegischen
Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu folgen, die einen Tarifkompromiss ihrer Gewerkschaft mit den Unternehmern in einer
Urabstimmung verworfen haben. Sie führen in diesen Tagen einen der größten Arbeitskämpfe seit Jahrzehnten. Hoffen
wir, dass das Schule macht!
Hans Peiffer