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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 11.05.2000, Seite 11

Portugal

Neue Zeiten, neue Linke

Fast tausend Menschen versammelten sich am 29. und 30.Januar 2000 im größten Saal der Lissaboner Universität, um "zuzuhören, zu diskutieren und aufeinander zuzugehen" und eine neue politische Formation zu gründen: den Bloco de Esquerda, den Block der Linken. Die 1.Konferenz des Blocks verabschiedete Statuten und ein Programm und wählte eine Führung. Obschon immer noch eine kleine Minderheit hat der Block das politische Monopol durchbrochen, das die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP) seit über einem halben Jahrhundert über die nichtsozialdemokratische Linke ausübt.

Wenngleich der Prozess der Annäherung der drei an der Bildung des Blocks beteiligten Parteien (die ehemals proalbanische UDP; die PSR, Sektion der IV.Internationale; Política XXI, eine Abspaltung der PCP) schon seit 1991 stattfand, ist die Einheit erst im vergangenen Jahr zur Realität geworden - bei den Wahlen zum nationalen und zum europäischen Parlament.
Die Mitgliedschaft im Block ist individuell, aber die Parteien haben sich nicht aufgelöst - sie behalten ihre Presse, ihre Versammlungen und Programme, aber sie haben keine besonderen Rechte in der neuen Organisation. Die öffentliche Aktivität wird vom Block ausgeübt und seine gewählten Abgeordneten werden mit ihm identifiziert, egal ob sie Mitglieder einer der drei Parteien sind oder nicht.
Im Leitungsgremium des Blocks (mesa - Tisch) sind einerseits die unabhängigen Mitglieder und andererseits die Mitglieder der Parteien jeweils zu gleichen Teilen vertreten. Aber alle Mitglieder der Leitung werden vom Kongress gewählt - die Parteien machen Vorschläge, aber allein die Mitglieder entscheiden.
Bislang hatte es zwischen den Parteien einen Grad der politischen Übereinstimmung gegeben, der die Entwicklung von Analysen und Forderungen sowie die Ausarbeitung zweier Wahlprogramme ermöglichte. Doch hatte es noch keine Übereinkunft in Bezug auf ein Grundsatzprogramm gegeben.
Laut provisorischen Schätzungen hat der Block bereits etwa 1600 Mitglieder in 15 der 20 Regionen des Landes - vor jeder systematischen Rekrutierungskampagne. Die Vorbereitungskommission schlug eine nationale Versammlung vor, auf der alle, die dem Block mindestens eine Woche vorher beigetreten sind, das Recht haben sollten zu reden, abzustimmen, die Führung zu wählen und in die Führung gewählt zu werden.
Auf dem Kongress gab es vier Berichte mit anschließenden Debatten: zu den Aktivitäten im vergangenen Jahr, zu den Statuten, zur politischen Resolution und zur Wahl der Leitung.

Reformistische Minderheit

Die Festlegung der Ziele und der Charakter der Partei beherrschten die Diskussion über die Statuten. Eine reformistische Minderheit innerhalb von Política XXI präsentierte eine Reihe von Abänderungen zum Haupttext. In Artikel 1, wie er von der Kommission vorgeschlagen worden war und auch vom Kongress angenommen wurde, heißt es: "Die Bewegung verteidigt … die Perspektive des Sozialismus als Ausdruck des Emanzipationskampfs der Menschheit gegen Ausbeutung und Unterdrückung."
Die reformistische Strömung in Política XXI schlug stattdessen vor: der Block "betrachtet den Sozialismus als historischen Hauptfaktor bei der Demokratisierung und Zivilisierung des Kapitalismus" und "erkennt die Bedeutung des Marktes an, ohne seiner bedingungslosen Freiheit irgendeinen inneren Wert beizumessen … Ohne ihre Unterordnung unter die von der Gemeinschaft definierten Werte ist Demokratie unmöglich … [Der Block] verteidigt und fördert eine zivile Kultur der Teilhabe und demokratischen politischen Aktion im Rahmen des Rechtsstaats und des Respekts für die Menschenrechte. Sozialismus ist die Bezeichnung für die soziale Umgestaltung auf Grundlage dieser Prinzipien."
Die andere entscheidende Debatte betraf den Charakter der neuen Bewegung. Die Verbindung mit der vorangegangenen Debatte ist logisch. Die Entscheidung für eine wirkliche gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus hat natürlich Auswirkungen auf der Ebene der Strategie - (parlamentarischer) Gradualismus oder Bruch mit dem bürgerlichen Staat - und daher auch auf den Typ von Bewegung oder Partei. Der soziale und politische Radikalismus des Blocks erfordert eine aktive Partei, zentralisiert und an der Basis organisiert. Die Minderheit in Política XXI wandte sich dagegen. Sie schlug die Streichung einer Anzahl bedeutender und symbolträchtiger Artikel der Statuten vor, insbesondere einen Abschnitt, der die Mitglieder des Blocks verpflichtet, "die politischen Ziele der Bewegung zu verteidigen und dementsprechend zu handeln". In derselben Logik war sie auch prinzipiell gegen die Bildung von "Mitgliederkernen" und die ihnen zugewiesenen konkreten Aufgaben.

Programm für Europas Linke

Das Programm des Blocks sollte von der gesamten militanten Linken in Europa (und anderswo) gelesen werden. Die Erneuerung von Sprache und Stil ist frappierend. Unter der Überschrift "Eine neue politische Realität" betrachtet sich der Block als eine "universalistische Linke, die auf Solidarität gründet". Seine radikale Opposition zur Globalisierung kommt in der Anklage gegen eine "Zivilisation der Ungerechtigkeit" zum Ausdruck.
Das dritte Kapitel, "Linke Europapolitik: ein neuer Vertrag", das das Europa des Marktes ablehnt, steht im Rahmen einer Strategie für die "Neugründung Europas", das sich im Wesentlichen auf die Beschäftigung und die Charta der Menschenrechte stützt. Dann folgen "Der Weg zu einer neuen Linken" und "Ein Block in Form einer Bewegung".
Die politisch-institutionellen Bedingungen sind für die Linke in Portugal relativ günstig im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern. Aber der Führungskader des Blocks hat diese Bedingungen bislang auch gut ausgenützt.
Dies widerspiegelt die Erfahrung der portugiesischen Revolution (1974/75), in der die UDP und die PSR reale Akteure waren, aber auch die Erfahrung ihrer Niederlage, die für eine ganze Generation von Aktivisten ein harter Schlag war. Diejenigen, die den Kampf nicht aufgaben, mussten sich nun mit der portugiesischen Gesellschaft mittels des allgemeinen Wahlrechts und der gewählten Institutionen auseinandersetzen. Diese Entwicklung, wie auch die politischen Wandlungen, die die drei Komponenten des Blocks im vergangenen Jahrzehnt durchmachten, erklären ihre Fähigkeit den Raum für ihre Konvergenz und ihre genuine soziale Verankerung zu schaffen.

Neuformierung der Linken

Der vom Block vorgeschlagene Gesetzentwurf über "religiöse Freiheit und die Säkularisierung des Staates" ist unter diesem Aspekt beispielhaft. Er betont die individuelle Gewissensfreiheit und die demokratischen Rechte der Kirche als einer privaten Organisation und vertritt gleichzeitig einen radikalen Bruch mit der Bevormundung der öffentlichen Institutionen durch die Kirche. Er hat zu einer breiten Debatte geführt und zu einer Spaltung in der sozialdemokratischen PS.
In einer Reihe von Resolutionen schlägt der Block vor, parlamentarische und außerparlamentarische Initiativen für die Neuformierung der Linken zu ergreifen, in Portugal und in Europa. Auf internationaler Ebene befürwortet der Block "Treffen mit Strömungen und Formationen der neuen Linken, Linkssozialisten, Kommunisten, Umweltschützern und demokratischen nationalen Bewegungen", besonders in Form eines internationalen Seminars im nächsten Jahr in Portugal zu den Grundrechten in der Europäischen Union.
Der Block kündigte eine Reihe großer Kampagnen an, vor allem gegen Steuerhinterziehung und das Bankgeheimnis sowie für die Legalisierung der Abtreibung und zu sexuellen Grundrechten. Die letzte Resolution behandelt "die Intervention in den sozialen Bewegungen und ihre Autonomie". Die Gründung einer Jugendorganisation ist nicht unmittelbar geplant, wohl aber eine Konferenz zu diesem Thema.
Zu den Gewerkschaften befürwortet der Block den Einsatz "für eine neue Gewerkschaftstendenz" sowie Versammlungen und Konferenzen, die "zur Erneuerung der Ideale und Praktiken der portugiesischen Gewerkschaftsbewegung beitragen".
"Zuhören, diskutieren, aufeinander zugehen", der erste Kongress des Blocks der Linken war ein wertvoller Schritt zur Erneuerung der Linken.

François Vercammen


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