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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 11.05.2000, Seite 11

Ken4London

Stachel in Labours Fleisch

Am 4.Mai wurden in 154 englischen Kommunen die Gemeinderäte, in London auch der Oberbürgermeister gewählt. Erstmals wurde ein gemischtes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht angewandt; der Oberbürgermeister von London wurde direkt gewählt.
Das Signal, das von diesen Wahlen ausgeht, ist widersprüchlich: Die sozialdemokratische Labour Party, die mit Premierminister Tony Blair die Zentralregierung stellt, hat eine erdrückende Niederlage eingesteckt, sie hat netto 573 Gemeinderatssitze verloren. Hauptgewinnerin ist die Konservative Partei (Tories), sie hat netto 593 Sitze dazugewonnen. Zu den Verlierern gehören auch die Liberaldemokraten, die netto 18 Sitze verloren haben, während die Grünen netto 4 und sonstige Parteien 3 Sitze hinzugewonnen haben. Im Gemeinderat von Groß-London (GLA) sind Tories und Labour mit jeweils 9 Sitzen gleich stark vertreten; die Liberaldemokraten halten 4, die Grünen 3 Sitze.
Politisch wird dieser Trend jedoch vom Wahlsieg des unabhängigen Kandidaten und ehemaligen Labour-Linken Ken Livingstone überschattet, der mit knapp 43% der Erstpräferenzen (man konnte auf dem Wahlzettel angeben, wer der OB der 1. und wer der OB der 2.Wahl sein sollte) und 49% der Erst- und Zweipräferenzen die Konkurrenz von Konservativen, Labour und Liberaldemokraten weit hinter sich ließ. Der Kandidat der Labour Party, Frank Dobson, kam nur auf den dritten Platz.
Übereinstimmend sieht die englische veröffentlichte Meinung im Wahlsieg Livingstones die Abstrafung Labours insbesondere für ihre Pläne, die Londoner U-Bahn zu privatisieren, aber auch einen Denkzettel für die zunehmende Entfremdung der Regierung und der Parteispitze von der Basis und für die undemokratische Prozedur bei der Aufstellung des Kandidaten von Labour, deretwegen Livingstone unterlegen war.
Die Kandidatur Livingstones wurde von einem linken Bündnis unterstützt, der London Socialist Alliance (LSA), die selbst zu den Gemeinderatswahlen kandidierte und mit einem Ergebnis von 3% einen Achtungserfolg erzielte. Es war das erste Mal, dass sich mit Ausnahme der Rest-KP und der Partei Arthur Scargills alle Parteien und Gruppen links von der Labour Party auf eine gemeinsame Kampagne geeinigt haben.
Livingstone selbst hat jedoch dazu aufgerufen, bei der Wahl zum Gemeinderat für die Liste der Labour Party zu stimmen. Seine Wählerstimmen reichen nicht nur weit in die Anhängerschaft von Labour, sondern auch in konservative und liberale Kreise und selbst in die City of London hinein. Der "rote Ken", der schon früher als "enfant terrible" und exzentrischer Solotänzer galt, ist sehr darauf bedacht, nicht als "linker" OB zu gelten, sondern als Bürgermeister "aller Londoner".
Er will die Stadtbevölkerung vor allem um fünf Punkte herum hinter sich scharen: Er will die Pläne der Labour-Regierung zur Privatisierung der U-Bahn zu Fall bringen, die Fahrpreise für den öffentlichen Nahverkehr die nächsten vier Jahre einfrieren, den Autoverkehr in der Stadt bis 2010 um 15% mindern und die Zentralregierung zwingen, mehr in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren. Er will eine aktive Politik der Chancengleichheit (für Frauen, Homosexuelle und Einwanderer) betreiben, die Zahl der Polizisten und ihre Gehälter erhöhen, ehrgeizige Kultur-, Sport- und Umweltprogramme auflegen und von der Zentralregierung mehr Geld für preiswerte Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Ausbildung locker machen. London soll wieder eine grüne Stadt werden.
Sein Regierungsstil kündigt sich als ein populistischer an: Im Vorfeld der Wahl traf er sich mit Londons Unternehmerverbänden ebenso wie mit dem Polizeichef John Stevens, für den er bekennt, "eine große Achtung" zu haben. Noch am Wahlabend hat er allen konkurrierenden OB-Kandidaten angeboten, in sein Kabinett einzutreten; insbesondere der im Gemeinderat vertretenen Labour Party hat er Posten in seiner Verwaltung angeboten: sie sollten nicht einer falschen Parteiloyalität anhängen und in einer großen Koalition mitarbeiten. "Wir [der Gemeinderat] sind nicht viel größer als eine Dinnerparty. Wir sollten in der Lage sein, diese Dinge [die Probleme] ohne all diese [Partei-]Strukturen zu lösen."
Über Geld, seine Vorhaben durchzusetzen, verfügt er kaum; entsprechende Selbstverwaltungsrechte wurden unter Margret Thatcher abgeschafft. Aber Tony Blairs Labour-Regierung fürchtet ihn um so mehr. Gerade weil er über keine Mittel verfügt kann der Medienstar um so unbeschadeter in zentralen Fragen die Londoner Bevölkerung gegen die Regierung Blair aufbringen. Livingstone hat zwar klargestellt, dass er mit der Zentralregierung kooperieren will, aber er erwartet, "dass die Zentralregierung auch mit der Londoner Bevölkerung kooperiert" - d.h. in erster Linie ihr überwältigendes Votum gegen die Privatisierung der U-Bahn akzeptiert. Andernfalls will er gerichtlich gegen Westminster vorgehen.
Es passt in sein Bild vom ständigen Stachel in Labours Fleisch, dass er noch am Wahlabend die Regierung Blair wegen der Überbewertung des britischen Pfunds rügte und umgehend einen Termin mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, John Prescott, forderte, um über die drohende Schließung des Ford-Werks in Dagenham zu diskutieren.
Die London Socialist Alliance, die für ihn den Wahlkampf geführt hat, wirft ihm vor, seinen Erfolg nicht für den Aufbau einer linken Alternative zu Labour zu nutzen, einen solchen eher zu verhindern. Livingstone scheint sich jedoch darauf konzentrieren zu wollen, die Labour-Regierung ohne Ausblick auf eine positive Alternative unter Druck zu setzen und den Spaltpilz, der sich in Labour jetzt ausbreitet, zu vertiefen.

Angela Klein


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