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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 11.05.2000, Seite 13

Philippinen

Militäroffensive auf Mindanao

Mehrere Bombenanschläge, unter anderem auf den auch militärisch genutzten Flughafen in Cotabatu-City, sowie Angriffe mit Artillerie und Kampfhubschraubern der philippinischen Armee auf Rebellencamps haben nach Angaben der Tageszeitung Philippines Daily Inquirer zur Vertreibung und Flucht von mehr als 120.000 Menschen auf Mindanao geführt. Philippinische Menschenrechtsorganisationen sprechen von mindestens 60.000 Zivilisten, die evakuiert wurden.
Täglich trifft sich der nationale Sicherheitsrat der Philippinen, um über die gespannte Lage im Süden des Landes zu beraten. Während sich der Westen vor allem um das ungewisse Schicksal der entführten Geiseln auf der Inselgruppe Jolo sorgt, konzentriert die Öffentlichkeit auf den Philippinen ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den militärischen Konflikt auf der größten philippinischen Insel.

Nachdem die philippinische Armee Ende April mehrere Camps der islamischen Rebellenorganisation Moro Islamic Liberation Front (MILF) auf Mindanao umstellt und zum Teil angegriffen hatte, setzte die MILF-Führung die seit Januar laufenden Friedensverhandlungen mit der Regierung in Manila aus. Seitdem verschärft sich die Situation täglich, und die Armee konzentriert ihre Angriffe auf das wichtigste Lager der MILF, Camp Abubakar.
"Wenn der Krieg einmal eskaliert, wird Mindanao für mehrere Tage, vielleicht sogar mehrere Wochen brennen", sagt der stellvertretende MILF-Chef Ghadzali Jaafar voraus. "Wir haben an alle Kommandeure den Befehl ausgegeben, nach ihrem Ermessen feindliche Ziele anzugreifen", ergänzt Murad Ibrahim, ebenfalls Mitglied der MILF-Führungsriege. Camp Abubakar gilt zudem als einer der islamischen Zentren in Südostasien.
"Man sollte auch die Reaktionen und möglichen Interventionen der islamischen Länder nicht unterschätzen", meinen Vertreter der Revolutionären Arbeiterpartei der Philippinen (RMP-P), die etwa ein Drittel der kommunistischen Guerilla kontrolliert. Denn der Vorsitzende der MILF, Hashim Salamat, sei zudem einer der Führer des einflussreichen International Islamic Brotherhood Movement.
Nach einer kurzen Angriffsphase hatte die MILF, die mehr als zehntausend Kämpfer unter Waffen hat, am ersten Maiwochenende einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Ein MILF-Sprecher bestätigte die Einhaltung des Waffenstillstands gegenüber der britischen Rundfunkanstalt BBC. Allerdings hätte die Armee ihre Offensive fortgesetzt. In der Tat lehnte die Regierung in Manila eine Waffenruhe ab, denn die Rebellen hätten eine Autobahn in der Nähe ihres Hauptcamps nicht freigeben wollen. Der Verteidigungsminister Orlando Mercado will einen Waffenstillstand außerdem nur dann akzeptieren, wenn die MILF und Abu Sayyaf ihre Waffenbestände reduzieren und die Geiseln freigelassen werden.
Das könnte der Beginn eines neuen, offenen Bürgerkriegs sein. Auch der amtierende Präsident Joseph Estrada hatte schon während der Friedensverhandlungen immer wieder die Drohung ausgestoßen, eine militärische Offensive zu starten, sollte es zu keinen Verhandlungsergebnissen kommen.
"Einige sagen, wir sollten die militärischen Operationen gegen die Terroristen beenden, weil sie ein Fernbleiben der Investoren befürchten. Ich sage: gerade dann wird es keinen Investor geben, der auch nur über sein Kommen nachdenken würde", unterstreicht Estrada seine Haltung. Schon sein Vorgänger, Präsident Fidel Ramos, hatte mit zahlreichen Vergünstigungen internationale Konzerne umworben, die in den von ihm deklarierten Exportproduktionszonen auf Mindanao investieren sollten.
Doch die fehlgeschlagenen Versuche einer vollständigen Befriedung Mindanaos ließ die Realisierung der Pläne in weite Ferne rücken. Die Entführung der Touristen durch die radikal- islamistische Abu-Sayyaf-Gruppe ist nun ein Anlass, massiv militärische Einheiten zu mobilisieren und in Alarmbereitschaft zu versetzen - nicht nur auf den beiden Inseln Jolo und Basilan, wo die Geiseln der Gruppe festgehalten sind, sondern auch auf der benachbarten Insel Mindanao. 80% der philippinischen Soldaten, insgesamt ca. 200.000, befinden sich allein auf Mindanao.
Seit 28 Jahren kämpft die moslemische Minderheit der Philippinen, deren größter Teil auf Mindanao lebt, für einen unabhängigen Staat. Ähnlich wie die einstmals größte maoistische Partei in Südostasien, die Communist Party of the Philippines (CPP), hat sich die Moro National Liberation Front (MNLF) in all den Jahren im Spannungsfeld zwischen bewaffnetem Kampf und Friedensverhandlungen in zahlreiche Organisationen aufgespalten.
Einer, der 1996 ein Friedensabkommen mit der Regierung in Manila unterzeichnet hat, ist der jetzige MNLF-Chef und Unterhändler mit der Abu-Sayyaf-Gruppe Nur Misuari. Der handelte damals zwar eine großzügigere soziale und infrastrukturelle Unterstützung für den von Landlosen und Armut geprägten Teil der Philippinen aus, gab jedoch die Unabhängigkeit preis.
Die heutige MILF rekrutiert sich aus den Kritikern des damaligen Verhandlungsergebnisses. Nicht nur Estrada, auch Misuari befürwortet ein hartes Vorgehen gegen seine ehemaligen Mitstreiter und unterstützt nun die Armee mit 3000 bewaffneten Kämpfern der MNLF.
Bis heute hat der philippinische Kongress das mit Misuari ausgehandelte Friedensabkommen noch nicht ratifiziert und auch die versprochenen Leistungen der Regierung - Wohnungen, Schulen, Erziehung und Gesundheitsversorgung - sind kaum sichtbar. Viele seiner ehemaligen Anhänger seien enttäuscht und fühlten sich deshalb zur MILF oder sogar zur Abu-Sayyaf-Gruppe hingezogen, erklärt Misuari.
Am 6.Mai beschuldigte die Regierung die MILF, mit der Abu-Sayyaf- Gruppe zu kollaborieren. Verteidigungsminister Orlando Mercado behauptet, dass alle Vorfälle der jüngsten Zeit "konzertierte Aktionen" seien. Damit, so die Einschätzung von Experten, sollen die Forderungen der muslimischen Bevölkerung Mindanaos international diskreditiert werden, um eine militärische Lösung zu rechtfertigen.
Die Führung der MILF hat sich jedoch schon Ende April öffentlich von der Entführung der Touristen distanziert. Im Gegensatz zur Abu-Sayyaf-Gruppe, die unter anderem die Freilassung des wegen des Anschlags auf das World Trade Center in den USA inhaftierten islamischen Extremisten Ramzi Yousef fordert, gehörten Entführungen nicht zu den Methoden der MILF, erklärte ein Sprecher der Organisation gegenüber der Schweizer "Wochenzeitung".
In einem Interview mit einem philippinischer Fernsehsender beteuerte der MILF-Militärstratege Mohammad Murad, dass die Rebellen ausschließlich Einrichtungen des philippinischen Militärs angreifen würden. Demgegenüber schließe das Ziel Abu Sayyafs, einen islamischen Staat auf Mindanao zu errichten, die Vertreibung der christlichen Bevölkerung mit ein, so die RPM-P. Die Arbeiterpartei hält es für möglich, das zumindest in der Gründungsphase von Abu Sayyaf Anfang der 90er Jahre die Regierung ihre "Finger mit im Spiel" hatte. So sei ein Agent der philippinischen Armee, Edwin Angeles, lange als Führungskader bei Abu Sayyaf aktiv gewesen.

Gerhard Klas


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