Sozialistische Zeitung |
In der Heimatprovinz der SoZ wird bei der Floskelei die Kürze bevorzugt. "Wie isses?" -
"Muss ja!", heißt es zur Begrüßung. Neulich beim Supermarkt war davon sogar eine Kurzfassung zu hören:
"Na!?" - "Ja, doch!" In Zeiten der Geschwätzigkeit als Modeware, wo sich alle anstrengen, viel zu reden, ohne
irgendetwas zu sagen, berührt solch Minimalismus in angenehmer Weise. SMS ohne Handy hat zumindest etwas Ehrliches an sich.
Anderswo, in Berlin zum Beispiel, gibts die Banalitätsrituale
auch in Langfassung. Eine davon, jüngst unerklärlicherweise viel in den Medien zitiert, hat den prickelnden Titel "Offener
Brief: Berufliche Ausbildung - Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit". Elf sogenannte "junge
SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages" schreiben da an den "sehr geehrten Herr Bundeskanzler, lieber Gerhard".
Auf dreieinhalb Seiten wird - surprise, surprise - festgestellt, dass
"die deutsche Wirtschaft" ihre Zusagen, mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht eingehalten hätte. Die
Bundesregierung dagegen hätte "ihre Hausaufgaben mit Erfolg gemacht" und ein "hervorragendes Instrument zur
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in die Hand gegeben". Jetzt müsse der liebe Gerhard die Wirtschaft auffordern, ihre
Versprechen einzulösen.
Andernfalls… würden die Jugendlichen massenhaft revoltieren, die
Fabriken besetzen und ihr Schicksal in die eigene Hände nehmen? Nein, natürlich nicht, sondern viel schlimmer - andernfalls
"könnte am Ende die paradoxe Situation entstehen, dass Ihre [des lieben Gerhards] Glaubwürdigkeit, als Bundeskanzler das
Bündnis zu konkreten Ergebnissen zu führen, Schaden nimmt". Nimmt ein wegen seiner medienwirksamen
Grobschlächtigkeit auserwählter und zum Kanzler gepuschter Mann, der mit dem furiosen Bekenntnis "Wirtschaftspolitik
könne nicht gegen die Wirtschaft gemacht werden" sein Amt antrat, dann Schaden, wenn "die jungen Abgeordneten" ihn
darauf hinweisen, dass es mit der Wirtschaft auch nicht gehe?
Eher nicht, denn wie der Baum den Hund nicht nötigt, der gegen ihn
sein Bein hebt, ihn vielleicht als Mineralienprise sogar ganz gern hat, verkündet der "liebe Gerhard" nur, dass Briefe
schreiben leichter sei, als die Wirklichkeit zu erfassen. Bei Helmut Schmidt wurden die "jungen Genossen" noch mit der
Bermerkung abgewatscht, sie sollten sich statt mit der Krise der Gesellschaft mit der Krise ihrer Hirne befassen. Der liebe Gerhard kann es
sich leisten, sie aufzufordern, erst mal die Gesellschaft richtig zu analysieren, so sicher ist er sich der Krise ihrer Hirne.
Fast zeitgleich mit dem "Offenen Brief" wurde auch die
jüngste Shell-Studie zur Lage und Gesinnung der Jugend im Lande veröffentlicht. Die Ergebnisse sind wie immer in letzter Zeit
alarmierend: 60% der Jugendlichen im Westen und 70% im Osten halten den "Ausländeranteil in Deutschland" für zu
hoch. 27% seien "hochgradig ausländerfeindlich". Arbeitslos, ausbildungslos, perspektivlos und zukunftslos - bei so viel
Losglück wenden sich die Jugendlichen verständlicherweise von dem ab, was sie für die Realität halten. Dass dies im
Zulauf für Faschisten und Rassisten endet, ist keine Zwangsläufigkeit.
Der Mainstream selbst für seichteste Protesthaltung war auch in
Deutschland einmal links, und so mancher der "jungen Abgeordneten" mag seine ersten Demonstrationen im Kinderwagen zwar,
aber auf der richtigen Seite erlebt haben. Dass dies heute so gründlich gewendet ist, liegt demnach weniger am Inhalt des "Offenen
Briefes" als am politischen Bankrott seiner AutorInnen. Den Vorsitzenden der JungsozialistInnen in der SPD, Benjamin Mikfeld, treibt es
mit der Bemerkung in die Medien, er wolle die "Jugendorganisation der neuen Mitte aufbauen". Wie isses? Muss ja.
Thies
Gleiss