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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 25.05.2000, Seite 2

Spanien

Antirassistische Proteste

Gegen rassistische Angriffe auf MigrantInnen und deren Kriminalisierung protestierten jüngst im spanischen El Ejido der "Rat der Arbeiter aus dem Maghreb", eine Koordination von 14 Migrantengruppen aus Almería und die Plattform "Leben ohne Rassismus". Am 1.Mai beteiligten sich an einer von diesen Gruppen organisierten Demonstration mit 3500 Teilnehmenden deutlich mehr Menschen als an der offiziellen Maidemonstration der großen Gewerkschaften, an der 500 Personen teilnahmen.
Hintergrund der Proteste sind die schwersten rassistischen Überfälle seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975, die Anfang des Jahres in der südspanischen Kleinstadt El Ejido stattfanden. Vom 5. bis 8.Februar fielen dort tausende Einwohner über die LandarbeiterInnen her, die mit marokkanischen Papieren nach Andalusien gekommen waren. Ihre Unterkünfte wurden abgebrannt, ihre Läden zerstört, ihre Autos zerschlagen.
Drei Tage dauerten die pogromartigen Überfälle, bevor die zuschauende Gemeindepolizei zusammen mit der Guardia Civil einschritt. 55 Verhaftungen gab es - 39 MigrantInnen und 16 spanische Staatsangehörige, die festgenommen wurden, weil sie mit Eisenstangen und Baseballschlägern auch Funktionäre angriffen hatten, die für Einwanderung zuständig waren. Der Staatssekretär für die Sicherheit, Ricardo Martí Fluxa, erklärte am 1.März, die verstärkte Polizeipräsenz aufrecht zu erhalten, "wegen der starken Präsenz der Immigranten", die die Sicherheit gefährde.
Viele LandarbeiterInnen wehrten sich daraufhin mit einem Streik gegen die rassistischen Überfälle, viele flohen in die Berge. Der Streik war ein starkes Druckmittel, weil gerade Haupterntezeit für Tomaten war. Die Kosten pro Streiktag betrugen für die Großbauern 12 Millionen Euro. Es kam schnell zu Verhandlungen, am 12.Februar wurde ein Vertrag unterzeichnet und der Streik beendet. "Nachdem wir einmal den Streik ausgesetzt hatten, akzeptierten sie unsere Unterhändler nicht mehr, haben uns Informationen vorenthalten und uns delegitimiert", beklagen sich die MigrantInnen jetzt.
Die Gegend um El Ejido war bis vor 20 Jahren eine der ärmsten Regionen Südspaniens. Die ersten Kleinbauern, die sich hier ansiedelten, waren Re-MigrantInnen, die selbst als "Gastarbeiter" in der BRD oder der Schweiz gelebt hatten. Mit dem Beginn der Treibhauslandwirtschaft begann in den 70er Jahren der ökonomische Umbruch des Ortes vom Subsistenzdorf zur agrarindustriellen Zone, der mit der Landwirtschaft auch das Sozialgefüge grundlegend änderte. Die Angst vor einem Identitätsverlust durch den raschen industriellen Wandel wurde seither durch die rassistische Ausgrenzung der ArbeitsmigrantInnen aus dem Maghreb in eine nationalistische spanische Identität gewandt, die sich durch die Abgrenzung von den "Anderen" definiert.
Einen Extraprofit erwirtschaften die Bauern in El Ejido heute mit der Beschäftigung von LandarbeiterInnen ohne Papiere. Von den etwa 19000 Migranten in El Ejido haben nur 10% eine menschenwürdige Unterkunft, heißt es in einer Mitte April veröffentlichten Untersuchung der andalusischen Regionalregierung. Jede Nacht versuchen Menschen in kleinen Booten über die Meerenge von Gibraltar von Marokko nach Spanien zu gelangen, um in Orten wie El Ejido Arbeit zu suchen. Viele werden erwischt, verhaftet oder ertrinken. Wer es geschafft hat, muss unter prekären Bedingungen überleben und wird ausgebeutet.
Viele Privilegierte sehen sich als Opfer der MigrantInnen: "Ich bin kein Rassist, aber ich habe die Nase voll", erklärte etwa der Großbauer Antonio Gutiérrez. Auf seinen 3000 qm Gewächshausfläche dürfen MigrantInnen in stickiger, schwüler Hitze für 50 Mark pro Tag 12-16 Stunden arbeiten. Die Löhne sind in den letzten sechs Monaten von 4500 auf 3800 Peseten gedrückt worden. Das entspricht rund 47 Mark.
"Sie sollen sich anpassen oder verschwinden", meint Gutiérrez. Denn die "Mauren" hätten seinem Bäcker Brot geklaut und ihm selbst Kaninchen und Melonen. Darüber, dass ein Marokkaner für ein Bier in einer Bar 100 Peseten (60 Cents) mehr bezahlen muss als ein Spanier, redet er nicht. Auch in vielen Läden wird mit so einem rassistischen Preisaufschlag ungeniert ausgegrenzt.

Gaston Kirsche


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