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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 25.05.2000, Seite 3

Microsoft

Nicht aufspalten, vergesellschaften!

Die gängige Kritik an dem Softwarekonzern greift zu kurz. Microsoft muss nicht aufgespalten, sondern vergesellschaftet werden. Dafür sprechen einfache ökonomische Gründe.
Bill Gates und sein Unternehmen Microsoft haben es zur Zeit nicht leicht. Das US-Kartellrecht und die öffentliche Meinung sind gegen sie. Erst kürzlich geriet der Konzern wieder in die Kritik, als sich der Virus "I love you" in Windeseile über die Welt verbreitete und Schaden in Milliardenhöhe anrichtete. Wie ihre realen Verwandten aus der Biologie verbreiten sich Computerviren nämlich vor allem dann, wenn sie auf Monokulturen treffen.
Die Computerlandschaft, die vom Quasimonopol der Firma Microsoft beherrscht wird, erfüllt diese Voraussetzung in nahezu idealer Weise. Fast alle Arbeitsplatzrechner weltweit laufen mit dem Betriebssystem Windows. Und auch bei Bürosoftware dominiert der Konzern aus Redmond den Markt ähnlich stark. Experten wundern sich nun, warum sich Microsoft nach dem verheerenden Virus "Melissa" ein Jahr zuvor keine Gegenmittel ausgedacht hat.
Noch mehr - bisher folgenloses - Ressentiment schlägt dem Softwareriesen entgegen, wenn es um seine marktbeherrschende Stellung geht. Die wichtigen Aspekte geraten dabei in den Hintergrund: Während die US-Regierung mit einem spektakulären Kartellverfahren den Giganten Microsoft in die Knie zwingen will, stärkt ihm die Europäische Kommission mit einer Patentreform den Rücken. Bisher nämlich sind Softwareprogramme auf dem hiesigen Kontinent anders als in den USA und Japan nicht patentierbar. Sie fallen lediglich unter das Urheberrecht - zum Nutzen der Anwender und der kleinen Programmschmieden. Denn das Urheberrecht schützt nicht die Idee vor Imitationen, sondern nur den konkreten Ausdruck der Idee.
Wie bei einem Gedicht kann also jeder die Ideen eines Programms anwenden: er darf nur nicht den "Text" eins zu eins übernehmen. Ein "Wettbewerbsnachteil" sei dies, meint die Unternehmerlobby. Sie setzt die EU-Kommission unter Druck. Möglicherweise noch im Jahr 2000 liefert Brüssel den großen Anbietern das Knebelwerkzeug Patentrecht. Mit dem können die Großen jeden unabhängigen Konkurrenten klein halten. "Jeder alltägliche Schritt kann dann für einen Programmierer gefährlich werden. Er muss fürchten, dass ihn ein mächtiger Konzern wegen angeblicher Millionenverluste angreift. Selbst wenn er den Prozess gewinnt, ist er bis dahin im Zweifel ruiniert", analysiert der "Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur" die möglichen Folgen.
Betroffen wäre "freie Software" wie z.B. das Betriebssystem Linux. Das nimmt mittlerweile dem Microsoft-Produkt Windows Marktanteile ab. Der Quellcode von Linux wird nicht geheim gehalten. An dem System werkeln rund um den Globus Programmierer. Und deren Arbeit würde erheblich erschwert, wenn sie bestimmte geschützte Algorithmen nicht mehr in ihren Werken verwenden dürften. Manchem computerbegeisterten Freak dürfte das die Lust am Herumexperimentieren nehmen.
Schon fürchten Aktivisten aus der Online-Szene Schlimmeres: Das ausufernde Patentwesen könnte selbst das Internet in die Hände von Monopolisten geben. Microsoft-Chef Bill Gates hat die Bedeutung des Themas erkannt. In einem Memo wies er seine Angestellten an: "Wir müssen so viel patentieren, wie wir können."
Auf diese Idee sind aber auch schon andere gekommen: Quer durch alle Branchen bombardieren die Firmen die Ämter auf beiden Seiten des Atlantiks mit Patentanträgen für geistiges Eigentum an Softwareideen. Im Zweifelsfalle wird Patentschutz für jedes Miniprogramm beantragt. Die Besitzansprüche für spätere Anwendungen werden so schon einmal verteilt - wenn die Ämter mitspielen.
Der Run auf Patente hat groteske Ausmaße angenommen. Das zeigt die Flut von Prozessen um triviale Internettechniken in den USA. Dort reklamiert bspw. Online-Händler Amazon eine Methode für sich: Sie ermöglicht Stammkunden den Einkauf im Netz mit einem einzigen Mausklick. Die Konkurrenz beherrscht aber dieses Verfahren genauso wie der vermeintliche "Erfinder". Deshalb läuft bereits der Rechtsstreit.
Im Kartellprozess gegen Microsoft zeichnet sich indessen eine Aufspaltung des Konzerns in zwei Teile ab. Das eine Unternehmen wird weiterhin das Betriebssystem Windows produzieren, das andere Unternehmen wird die übrige Software verkaufen. Wer jedoch ein Heilmittel gegen das gesellschaftliche Debakel sucht, das sich in der Vormachtstellung von Microsoft ausdrückt, muss neue Wege gehen.
Während sich das Kartellverfahren der US-Regierung gegen den Konzern seinem Ende langsam nähert, ist die Frage nicht länger, ob Microsoft überhaupt antimonopolistische Gesetze verletzte, sondern - in einem ersten Schritt - was getan werden kann, um die schlimmsten wettbewerbsfeindlichen Praktiken zu unterbinden. Das Verfahren, das vom US-Justizministerium und 20 Generalstaatsanwälten angestrengt wurde, gleicht einem Lehrbuch darüber, wie wettbewerbsfeindliches Verhalten die Verbraucher schädigt: durch höhere Preise, erzwungene Aufrüstungen, Behinderung der Entwicklung von Konkurrenzprodukten und verminderte Auswahl für die Konsumenten.
Die korrigierenden Maßnahmen, die gegenwärtig in Betracht gezogen werden, gehen weit über jene hinaus, die bereits vor fünf Jahren gegen Microsoft angewendet wurden. Damals zwang das US-Justizministerium nach langjährigen Untersuchungen Microsoft zum ersten Mal, seine Praktiken zu ändern. Abgesehen von der Aufspaltung in mehrere Produktlinien wird die US-Regierung diesmal vermutlich folgende Maßnahmen gegen Microsoft ergreifen:
- Der Konzern muss einige seiner Patente und Lizenzen versteigern, um Wettbewerber für die wichtigsten Softwareprodukte zu schaffen.
- Das Unternehmen muss konkurrierende Programmierer mit technischen Informationen darüber versorgen, wie deren Produkte einfach und reibungslos mit Microsoft Windows und Microsoft Office zusammenarbeiten können.
- Microsoft muss seine diskriminierende Preispolitik gegenüber Computerherstellern beenden, die Software von Konkurrenten anbieten.
- Der Konzern muss diverse Komponenten von Windows und Microsoft Office "entbündeln", so dass Wettbewerber auch mit Teilen dieser Software konkurrieren können.
Einige dieser Sanktionen können einzeln durchgeführt werden, andere wirken nur im Zusammenspiel. Das Unternehmen Microsoft hat sich nicht wirklich an der Debatte über die Maßnahmen beteiligt. Vermutlich hofft der Konzernvorstand, von dem Mangel an Konsens und der allgemeinen Ratlosigkeit profitieren zu können. Denn tatsächlich gibt es - innerhalb des kapitalistischen Systems - kaum eine befriedigende Lösung für das Problem. Es ist vielschichtig und verzwickt - und eine öffentliche Debatte darüber ist beinahe nicht existent. Woran liegt das? Worum ging es eigentlich in dem Prozess gegen Microsoft?
Kurz gesagt ging es darum, dass der Konzern seine Marktmacht von einem Bereich - dem Betriebssystem Windows - auf einen anderen Bereich - z.B. den Browser "Internetexplorer"- zu übertragen versuchte. Die Computerhändler mussten zusammen mit Windows auch den Browser installieren. Dieses Verhalten kann man als wettbewerbswidrig interpretieren, man muss es aber nicht. Denn Wettbewerb ist ein dynamischer Prozess, in dem jeder Anbieter versucht, den Nachfragern eine "bessere Möglichkeit" zu bieten. Die bessere Möglichkeit muss nicht unbedingt in niedrigeren Preisen bestehen, sie kann auch bessere Qualität oder sonstige Vorteile oder eine Mischung aus diesen Faktoren sein.
Dass Microsoft eine monopolartige Stellung einnimmt, ist dabei von eher untergeordneter Bedeutung für das eigentliche Problem. Jeder Student der politischen Ökonomie weiß, dass für die Wettbewerbsintensität in einer Branche nicht in erster Linie die Marktstruktur (z.B. ein Monopol: ein Anbieter, viele kleine Nachfrager) entscheidend ist, sondern auf welche Art und Weise sie zustande gekommen ist. Das heißt in diesem Fall: Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass Microsoft seine beherrschende Stellung schlicht und einfach deshalb erreichen konnte, weil der Konzern tatsächlich die besseren Möglichkeiten bot. Für diese Annahme spricht, dass weder Verbraucher noch Computerhersteller gezwungen sind, bei Microsoft zu kaufen, es aber dennoch tun.
Und hier liegt das eigentliche Problem: Microsoft konnte seine Stellung erreichen und so lange halten wegen der Besonderheiten der Informationstechnologie. Es sind die sogenannten Netzwerkeffekte, die das Konzernmonopol verursachten. Einfach gesagt: Es ist für jeden einzelnen günstig, dieselbe Technik zu kaufen und zu verwenden wie die Mehrheit aller anderen. Das vereinfacht den Informationsaustausch und die Datenverarbeitung. Es fördert die Kompatibilität mit anderen Informationssystemen.
Genau an dieser Stelle müssten die politischen Gegner des Konzerns - von seinen Konkurrenten kann man das nicht erwarten - ihre Kritik zuspitzen. Es handelt sich um folgende zwei Gedanken, die Ökonomen sehr wohl vertraut sind, sich aber in diesem Zusammenhang nur geringer Beliebtheit erfreuen: Zum einen weisen Softwareprodukte die typischen Merkmale eines sog. "öffentlichen Guts" auf - die "Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität im Konsum".
Das bedeutet: es ist durch die leichte Kopierbarkeit nahezu unmöglich, jemanden vom Konsum der Softwareprodukte auszuschließen, der nicht bereit ist, dafür zu bezahlen. Außerdem beeinträchtigt es nicht den Konsum einer Person, wenn eine andere Person dasselbe Softwareprodukt nutzt. Die "Grenzkosten" der zusätzlichen Nutzung (Kopie) sind verschwindend gering. Es ist gesellschaftlich wünschenswert, mehr, bessere und billigere Software zur Verfügung zu stellen, als dies bisher durch die Privatwirtschaft geschieht und geschehen kann.
Aus diesen Gründen - und noch aus einem weiteren Grund - sollten Softwareprodukte vom Staat bereitgestellt oder gesellschaftlich produziert werden. Der zusätzliche Grund lautet: Alles deutet darauf hin, dass es sich beim Betriebssystem Windows von Microsoft um ein "natürliches Monopol" handelt. Das bedeutet: Es ist mit weniger Kosten verbunden, wenn das Betriebssystem von einem Hersteller produziert wird, als wenn dies zwei, drei oder noch mehr verschiedene Hersteller tun. Das liegt an den erwähnten Netzwerkeffekten. Sie arbeiten für eine Marktstruktur mit nur einem einzigen Hersteller des benötigten Betriebssystems.
Noch einmal: Softwareprodukte sind "öffentliche Güter", und beim Betriebssystem handelt es sich um ein "natürliches Monopol". Das sind die beiden ökonomischen Gründe, warum Microsoft nicht aufgespalten, sondern sozialisiert werden sollte. Und darüber muss endlich eine gesellschaftliche Debatte eröffnet werden.

Christoph Ruhkamp


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