Sozialistische Zeitung |
Die gängige Kritik an dem Softwarekonzern greift zu kurz. Microsoft muss nicht aufgespalten, sondern
vergesellschaftet werden. Dafür sprechen einfache ökonomische Gründe.
Bill Gates und sein Unternehmen Microsoft haben es zur Zeit nicht leicht.
Das US-Kartellrecht und die öffentliche Meinung sind gegen sie. Erst kürzlich geriet der Konzern wieder in die Kritik, als sich der
Virus "I love you" in Windeseile über die Welt verbreitete und Schaden in Milliardenhöhe anrichtete. Wie ihre realen
Verwandten aus der Biologie verbreiten sich Computerviren nämlich vor allem dann, wenn sie auf Monokulturen treffen.
Die Computerlandschaft, die vom Quasimonopol der Firma Microsoft
beherrscht wird, erfüllt diese Voraussetzung in nahezu idealer Weise. Fast alle Arbeitsplatzrechner weltweit laufen mit dem
Betriebssystem Windows. Und auch bei Bürosoftware dominiert der Konzern aus Redmond den Markt ähnlich stark. Experten
wundern sich nun, warum sich Microsoft nach dem verheerenden Virus "Melissa" ein Jahr zuvor keine Gegenmittel ausgedacht hat.
Noch mehr - bisher folgenloses - Ressentiment schlägt dem
Softwareriesen entgegen, wenn es um seine marktbeherrschende Stellung geht. Die wichtigen Aspekte geraten dabei in den Hintergrund:
Während die US-Regierung mit einem spektakulären Kartellverfahren den Giganten Microsoft in die Knie zwingen will,
stärkt ihm die Europäische Kommission mit einer Patentreform den Rücken. Bisher nämlich sind Softwareprogramme
auf dem hiesigen Kontinent anders als in den USA und Japan nicht patentierbar. Sie fallen lediglich unter das Urheberrecht - zum Nutzen der
Anwender und der kleinen Programmschmieden. Denn das Urheberrecht schützt nicht die Idee vor Imitationen, sondern nur den konkreten
Ausdruck der Idee.
Wie bei einem Gedicht kann also jeder die Ideen eines Programms
anwenden: er darf nur nicht den "Text" eins zu eins übernehmen. Ein "Wettbewerbsnachteil" sei dies, meint die
Unternehmerlobby. Sie setzt die EU-Kommission unter Druck. Möglicherweise noch im Jahr 2000 liefert Brüssel den großen
Anbietern das Knebelwerkzeug Patentrecht. Mit dem können die Großen jeden unabhängigen Konkurrenten klein halten.
"Jeder alltägliche Schritt kann dann für einen Programmierer gefährlich werden. Er muss fürchten, dass ihn ein
mächtiger Konzern wegen angeblicher Millionenverluste angreift. Selbst wenn er den Prozess gewinnt, ist er bis dahin im Zweifel
ruiniert", analysiert der "Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur" die möglichen Folgen.
Betroffen wäre "freie Software" wie z.B. das
Betriebssystem Linux. Das nimmt mittlerweile dem Microsoft-Produkt Windows Marktanteile ab. Der Quellcode von Linux wird nicht geheim
gehalten. An dem System werkeln rund um den Globus Programmierer. Und deren Arbeit würde erheblich erschwert, wenn sie bestimmte
geschützte Algorithmen nicht mehr in ihren Werken verwenden dürften. Manchem computerbegeisterten Freak dürfte das die
Lust am Herumexperimentieren nehmen.
Schon fürchten Aktivisten aus der Online-Szene Schlimmeres: Das
ausufernde Patentwesen könnte selbst das Internet in die Hände von Monopolisten geben. Microsoft-Chef Bill Gates hat die
Bedeutung des Themas erkannt. In einem Memo wies er seine Angestellten an: "Wir müssen so viel patentieren, wie wir
können."
Auf diese Idee sind aber auch schon andere gekommen: Quer durch alle
Branchen bombardieren die Firmen die Ämter auf beiden Seiten des Atlantiks mit Patentanträgen für geistiges Eigentum an
Softwareideen. Im Zweifelsfalle wird Patentschutz für jedes Miniprogramm beantragt. Die Besitzansprüche für spätere
Anwendungen werden so schon einmal verteilt - wenn die Ämter mitspielen.
Der Run auf Patente hat groteske Ausmaße angenommen. Das zeigt
die Flut von Prozessen um triviale Internettechniken in den USA. Dort reklamiert bspw. Online-Händler Amazon eine Methode für
sich: Sie ermöglicht Stammkunden den Einkauf im Netz mit einem einzigen Mausklick. Die Konkurrenz beherrscht aber dieses Verfahren
genauso wie der vermeintliche "Erfinder". Deshalb läuft bereits der Rechtsstreit.
Im Kartellprozess gegen Microsoft zeichnet sich indessen eine Aufspaltung
des Konzerns in zwei Teile ab. Das eine Unternehmen wird weiterhin das Betriebssystem Windows produzieren, das andere Unternehmen wird
die übrige Software verkaufen. Wer jedoch ein Heilmittel gegen das gesellschaftliche Debakel sucht, das sich in der Vormachtstellung
von Microsoft ausdrückt, muss neue Wege gehen.
Während sich das Kartellverfahren der US-Regierung gegen den
Konzern seinem Ende langsam nähert, ist die Frage nicht länger, ob Microsoft überhaupt antimonopolistische Gesetze
verletzte, sondern - in einem ersten Schritt - was getan werden kann, um die schlimmsten wettbewerbsfeindlichen Praktiken zu unterbinden. Das
Verfahren, das vom US-Justizministerium und 20 Generalstaatsanwälten angestrengt wurde, gleicht einem Lehrbuch darüber, wie
wettbewerbsfeindliches Verhalten die Verbraucher schädigt: durch höhere Preise, erzwungene Aufrüstungen, Behinderung
der Entwicklung von Konkurrenzprodukten und verminderte Auswahl für die Konsumenten.
Die korrigierenden Maßnahmen, die gegenwärtig in Betracht
gezogen werden, gehen weit über jene hinaus, die bereits vor fünf Jahren gegen Microsoft angewendet wurden. Damals zwang das
US-Justizministerium nach langjährigen Untersuchungen Microsoft zum ersten Mal, seine Praktiken zu ändern. Abgesehen von der
Aufspaltung in mehrere Produktlinien wird die US-Regierung diesmal vermutlich folgende Maßnahmen gegen Microsoft ergreifen:
- Der Konzern muss einige seiner Patente und Lizenzen versteigern, um
Wettbewerber für die wichtigsten Softwareprodukte zu schaffen.
- Das Unternehmen muss konkurrierende Programmierer mit technischen
Informationen darüber versorgen, wie deren Produkte einfach und reibungslos mit Microsoft Windows und Microsoft Office
zusammenarbeiten können.
- Microsoft muss seine diskriminierende Preispolitik gegenüber
Computerherstellern beenden, die Software von Konkurrenten anbieten.
- Der Konzern muss diverse Komponenten von Windows und Microsoft
Office "entbündeln", so dass Wettbewerber auch mit Teilen dieser Software konkurrieren können.
Einige dieser Sanktionen können einzeln durchgeführt werden,
andere wirken nur im Zusammenspiel. Das Unternehmen Microsoft hat sich nicht wirklich an der Debatte über die Maßnahmen
beteiligt. Vermutlich hofft der Konzernvorstand, von dem Mangel an Konsens und der allgemeinen Ratlosigkeit profitieren zu können.
Denn tatsächlich gibt es - innerhalb des kapitalistischen Systems - kaum eine befriedigende Lösung für das Problem. Es ist
vielschichtig und verzwickt - und eine öffentliche Debatte darüber ist beinahe nicht existent. Woran liegt das? Worum ging es
eigentlich in dem Prozess gegen Microsoft?
Kurz gesagt ging es darum, dass der Konzern seine Marktmacht von einem
Bereich - dem Betriebssystem Windows - auf einen anderen Bereich - z.B. den Browser "Internetexplorer"- zu übertragen
versuchte. Die Computerhändler mussten zusammen mit Windows auch den Browser installieren. Dieses Verhalten kann man als
wettbewerbswidrig interpretieren, man muss es aber nicht. Denn Wettbewerb ist ein dynamischer Prozess, in dem jeder Anbieter versucht, den
Nachfragern eine "bessere Möglichkeit" zu bieten. Die bessere Möglichkeit muss nicht unbedingt in niedrigeren Preisen
bestehen, sie kann auch bessere Qualität oder sonstige Vorteile oder eine Mischung aus diesen Faktoren sein.
Dass Microsoft eine monopolartige Stellung einnimmt, ist dabei von eher
untergeordneter Bedeutung für das eigentliche Problem. Jeder Student der politischen Ökonomie weiß, dass für die
Wettbewerbsintensität in einer Branche nicht in erster Linie die Marktstruktur (z.B. ein Monopol: ein Anbieter, viele kleine Nachfrager)
entscheidend ist, sondern auf welche Art und Weise sie zustande gekommen ist. Das heißt in diesem Fall: Es ist durchaus nicht
auszuschließen, dass Microsoft seine beherrschende Stellung schlicht und einfach deshalb erreichen konnte, weil der Konzern
tatsächlich die besseren Möglichkeiten bot. Für diese Annahme spricht, dass weder Verbraucher noch Computerhersteller
gezwungen sind, bei Microsoft zu kaufen, es aber dennoch tun.
Und hier liegt das eigentliche Problem: Microsoft konnte seine Stellung
erreichen und so lange halten wegen der Besonderheiten der Informationstechnologie. Es sind die sogenannten Netzwerkeffekte, die das
Konzernmonopol verursachten. Einfach gesagt: Es ist für jeden einzelnen günstig, dieselbe Technik zu kaufen und zu verwenden
wie die Mehrheit aller anderen. Das vereinfacht den Informationsaustausch und die Datenverarbeitung. Es fördert die
Kompatibilität mit anderen Informationssystemen.
Genau an dieser Stelle müssten die politischen Gegner des Konzerns
- von seinen Konkurrenten kann man das nicht erwarten - ihre Kritik zuspitzen. Es handelt sich um folgende zwei Gedanken, die
Ökonomen sehr wohl vertraut sind, sich aber in diesem Zusammenhang nur geringer Beliebtheit erfreuen: Zum einen weisen
Softwareprodukte die typischen Merkmale eines sog. "öffentlichen Guts" auf - die "Nichtausschließbarkeit und
Nichtrivalität im Konsum".
Das bedeutet: es ist durch die leichte Kopierbarkeit nahezu
unmöglich, jemanden vom Konsum der Softwareprodukte auszuschließen, der nicht bereit ist, dafür zu bezahlen.
Außerdem beeinträchtigt es nicht den Konsum einer Person, wenn eine andere Person dasselbe Softwareprodukt nutzt. Die
"Grenzkosten" der zusätzlichen Nutzung (Kopie) sind verschwindend gering. Es ist gesellschaftlich wünschenswert,
mehr, bessere und billigere Software zur Verfügung zu stellen, als dies bisher durch die Privatwirtschaft geschieht und geschehen kann.
Aus diesen Gründen - und noch aus einem weiteren Grund - sollten
Softwareprodukte vom Staat bereitgestellt oder gesellschaftlich produziert werden. Der zusätzliche Grund lautet: Alles deutet darauf hin,
dass es sich beim Betriebssystem Windows von Microsoft um ein "natürliches Monopol" handelt. Das bedeutet: Es ist mit
weniger Kosten verbunden, wenn das Betriebssystem von einem Hersteller produziert wird, als wenn dies zwei, drei oder noch mehr
verschiedene Hersteller tun. Das liegt an den erwähnten Netzwerkeffekten. Sie arbeiten für eine Marktstruktur mit nur einem
einzigen Hersteller des benötigten Betriebssystems.
Noch einmal: Softwareprodukte sind "öffentliche
Güter", und beim Betriebssystem handelt es sich um ein "natürliches Monopol". Das sind die beiden
ökonomischen Gründe, warum Microsoft nicht aufgespalten, sondern sozialisiert werden sollte. Und darüber muss endlich
eine gesellschaftliche Debatte eröffnet werden.
Christoph Ruhkamp