Sozialistische Zeitung |
"Tief im Dschungel", so beginnt eine Fabel, die von den Expo-Machern in Auftrag gegeben wurde, leben eine Möwe und
ein Papagei, die beide in Käfige gesperrt sind. Dazwischen hockt in Briefträgeruniform der faule Drontevogel. Der singt und tanzt,
anstatt Briefe und Pakete auszutragen, die ihm Möwe und Papagei verzweifelt zustecken.
Doch plötzlich ein Szenewechsel: Die Hand des Marktes erscheint
und zieht an einer Liane, und als ob es sich um die Schnur an einer Lampe handelt, leuchten auf einmal alle Früchte des Baumes hell auf.
Möwe und Papagei entkommen ihrem Gefängnis und folgen ihrem drängendsten Trieb - sie entwickeln neue
Postversandtechniken: Papierflieger und ein extravagantes Fluggerät mit Tragflächen aus Geldscheinen. Sogar der Drontevogel
reißt sich zusammen; er erfindet das Morseverfahren, den Computer und dazu Disketten.
Ein zweiter Blick geht zwar nicht tief in den Dschungel, aber tief in den
Norden. Dort rutschen in einer weiteren Expo-Fabel zwei junge Eisbären mit ihren Snowboards einen Abhang herunter und steigen
mühsam wieder auf. Vom Wipfel eines Baumes aus beobachtet sie der Adler wohlwollend. Der nette Greif fliegt zu den Bären
herunter, um ihnen eine Sprungschanze zu bauen. Die Bären sind begeistert.
Die Wohltat des Adlers war nicht umsonst, er verlangt Steuern: Die
Bären müssen ihre Schals herausrücken, was sie erst mal wenig stört. Denn schon bald tummeln sie sich in einem
blühenden Ferienort mit Schneemobilen und einem Slalomkurs. Bis die Bären in ihrer Unterwäsche dastehen und ihnen der
Adler auch noch die Snowboards abnimmt. Da naht der Erlöser: die Hand des Marktes erscheint über den Bäumen und hebt
mahnend den Zeigefinger. Der Adler begreift, wie überzogen sein Handeln war. Er verkriecht sich in seinem Baum.
Was wollen diese Fabeln sagen? Die unsichtbare bzw. hier vielmehr die
sichtbare Hand des Marktes ist der Superstar der Expo. Die Hand ist der neue Messias, der überzogene Ansprüche abwehrt und
alles zum Guten lenkt. Man könnte über diese Fabeln nur noch lachen, wenn dahinter nicht zutiefst ernste Vorstellungen von
Gesellschaft stehen würden. Es ist dies die Vision nicht nur einer neoliberalen Marktwirtschaft, sondern umfassender einer ganzen
Marktgesellschaft.
Ein anderer Blick aus dem Fenster der Expo in das 21.Jahrhundert zeigt die
hegemonialen Vorstellungen der zukünftigen Entwicklung. Es sind technokratische, eindimensionale Vorstellungen, die den BesucherInnen
und der Bevölkerung in der sog. Dritten Welt als Leitbilder angeboten werden. Eines dieser Leitbilder lautet: "Wir leben alle in der
Einen Welt."
Die Expo sei ein Signal dafür, dass "wir erkannt haben, dass
wir Menschen auf dieser Erde alle zusammen in einer Welt leben. Es macht keinen Sinn mehr, uns in eine erste, zweite, dritte oder vierte Welt
aufzuteilen, wenn wir neue Wege suchen", heißt es in einem Statement der Expo-Macher aus dem Jahr 1995. Auf diesen Wegen
finden sich dann die "Wohltaten", etwa der Bio- und Gentechnologie, der Atomkraft, die "Wohltaten" von noch mehr
freiem Handel und noch mehr Investitionen. Die soziale Frage, also die Frage: wer bestimmt, dass es nicht mehr sinnvoll ist von einer ersten,
zweiten, dritten und vierten Welt zu sprechen, sondern nur noch von der Einen Welt, bleibt ausgeklammert. Ebenso die Frage, wer denn nun in
und von der Einen Welt profitiert, wer bestimmt, was und wo etwas investiert wird.
Die Expo will mit diesen technokratischen Entwicklungsvorstellungen
suggerieren, dass es hierzu keine Alternative gibt. Das TINA-Denken (There is no alternative) ist ein wesentlicher Bestandteil
der Expo. Die Botschaft lautet: Alles ist machbar, wenn nur alle mitmachen und die Konzepte der Expo richtig und effektiv umsetzen. Dieses
Denken entspricht dem Schröderschen Leitsatz: "Es gibt keine linke und rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur eine gute oder
schlechte." Alles ist also nur eine Frage des Handlings, der Vermittlung und der Kommunikation. Die Macht- und
Herrschaftsförmigkeit dieser Leitbilder und technokratischen Konzepte und des Marktes werden systematisch ausgeklammert - ebenso
wie die sozialen und patriarchalischen Verhältnisse, die sich in diesen Vorstellungen materialisieren.
Für jedes Problem gibt es diesem Denken zufolge eine Lösung.
Wenn es keine Lösung gibt, gibt es auch kein Problem. Matthias Greffrath hat dieses "schröderische"
Politikverständnis treffend charakterisiert. Wer "schrödert", schreibt er, "muss denken und verkörpern, dass
kein Problem ist, wo keine Lösung winkt. Unaufhaltsam der Prozess, in dem eine Wirklichkeit, die zu korrigieren niemand die Macht
spürt, nicht mehr gedacht wird."
Damit hat er aber treffend ein Problem beschrieben, mit dem es eine
herrschaftskritische Linke tagtäglich zu tun hat. Von vielen wird eine Wirklichkeit gar nicht mehr gedacht, weil sie nicht die Macht haben,
diese Wirklichkeit zu verändern.
Josef Hierlmeier