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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 08.06.2000, Seite 2

Schweiz

Schritt näher an die EU

Es war eine deutliche Mehrheit: Über 60% der Stimmberechtigten haben Ende Mai in einem Referendum einem Vertragswerk von sieben Abkommen zugestimmt, das in zentralen Bereichen das Verhältnis zwischen dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz und Brüssel regelt.
Neben den Regelungen, die primär wirtschaftliche Aspekte betreffen, wie etwa das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen oder über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, war es die Personenfreizügigkeit, die den Kleinparteien am rechten Rand des politischen Spektrums sauer aufstieß. Dank einer erfolgreichen Unterschriftensammlung konnte sie einen Volksentscheid über die Verträge herbeiführen, die sonst per Parlamentsbeschluss umgesetzt worden wären.
Neben den Schweizer Demokraten, einer rechtsextremen Partei mit gerade noch einem Sitz im Bundesparlament, war es insbesondere die Lega dei Ticinesi, eine populistische Regionalpartei in der italienisch- sprachigen Südschweiz, die eine Einwanderungsflut für den Fall sah, dass mit den neuen Abkommen EU-Bürgern die Personenfreizügigkeit in der Schweiz gewährt würde.
Doch die Front der Befürworter der Abkommen war breit und ihre Reihen waren geschlossen: Die Landesregierung, alle vier Regierungsparteien sowie Gewerkschaften und die Wirtschaftsverbände hatten in den letzten Monaten mit einer aufwendigen Kampagne für die Notwendigkeit der bilateralen Verträge argumentiert.
Der positive Ausgang des Referendums liegt aber keineswegs in der schweizerischen außenpolitischen Kontinuität: Mit der - zwar knappen - Ablehnung eines Schweizer Beitritts zum EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) vor sieben Jahren und der noch weiter zurückliegenden Absage an einen UNO-Beitritt hat sich eine schlagkräftige nationalkonservative Rechte formiert, die den außenpolitischen Kurs wesentlich mitbestimmt.
Mit einer Argumentation, die den "Sonderfall Schweiz" betont und die Armee als Garantin für die Neutralität preist, haben sich denn so auch regelmäßig Mehrheiten finden lassen. Als Feindbildersatz für die obsolet gewordene "Bedrohung" aus dem Osten stehen nun Brüssel und die UNO - getreu der helvetischen Spielart des antitotalitaristischen Konsenses - als Reinkarnation von Kommunismus und Faschismus in einem.
Als Speerspitze dieser Rechtsaußenposition fungiert die Mehrheitsfraktion der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und ihre außerparlamentarische Frontorganisation Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS), die mit knapp 40000 Mitgliedern und einer "Kriegskasse" im Umfang von fast 4 Millionen Franken eine solide Basis für politische Kampagnen hat. An der Spitze der AUNS steht seit ihrer Gründung vor 15 Jahren der SVP-Nationalrat und milliardenschwere Chemie-Industrielle Christoph Blocher.
Beim Referendum zu den bilateralen Verträgen hat sich nun aber Volkstribun Blocher zurückgehalten und seiner AUNS geraten, keine Abstimmungsempfehlung auszugeben. Die Basis ist ihm zwar nicht gefolgt und hat sich trotzdem gegen die bilateralen Verträge ausgesprochen. Auch in seiner Partei, der SVP, hat Blocher kaum Lobbyarbeit gegen die Verträge mit der EU gemacht und diese hat denn auch eine zustimmende Empfehlung für die Abstimmung beschlossen.
Hinter der Zurückhaltung bei der aktuellen Vorlage steht ein taktisches Kalkül: Obwohl eigentlich von der Materie her jeder stramme Rechtspolitiker jegliche Annäherung an die EU in Bausch und Bogen verdammen müsste, wurde bereits vor der Abstimmung - in verstärktem Maße aber nach dem positiven Ausgang - von den EU-skeptischen Kreisen klar zum Ausdruck gebracht: bis hierhin und nicht weiter.
Mit dem Ja zu den bilateralen Verträgen habe die Schweizer Bevölkerung ein deutliches Signal gegeben, dass dies nun der Endpunkt einer Annäherung an die EU sei. Ganz anders jedoch bei den Gewinnern der Abstimmung. Die bilateralen Verträge seien nur ein erster Schritt, jetzt müsse zügig voran geschritten werden.
Auch die Schweizer KP, die Partei der Arbeit (PdA), begrüßt den Entscheid ihre Präsidentin, Christiane Jaquet, und fordert nun ein zügiges Voranschreiten in Richtung eines EU-Beitritts. In der Wochenzeitung Vorwärts ließ Jaquet - einem mehrheitsfähigen linken Kurs folgend - verlauten: "Auch wenn die PdA die reine Marktlogik von Brüssel nicht teilt, ist sie der Überzeugung, dass ein soziales Europa nur dort erreicht werden kann, wo die Entscheidungen darüber getroffen werden."

Nick Lüthi (Bern)


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