Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 08.06.2000, Seite 2

Modernes Regieren

Ablass ohne Folgen

von GERHARD KLAS

Die Staats- und Regierungschefs des "Dritten Wegs" und des "New Deal" haben Kreide gefressen. Nach dem berüchtigten Schröder-Blair-Papier des letzten Jahres, das eine Wende der Sozialdemokratie hin zu einer unverhohlen neoliberalen Politik propagierte, ließt sich das Abschlusskommuniqué des Berliner Gipfels "Modernes Regieren für das 21.Jahrhundert" vom ersten Juniwochenende fast wie ein Ablassbrief.
Kein Wunder, ist doch die öffentliche Kritik an der kapitalistischen Globalisierung und ihren Protagonisten spätestens seit Seattle unüberhörbar geworden und befinden sich viele Vertreter der Freihandelsideologie aus dem sozialdemokratischen Lager in einer beachtlichen Krise. Blair, der diesmal nicht am alljährlichen Debattentreffen teilnahm, musste kürzlich in Großbritannien mit dem Wahlsieg von Ken Livingstone seine erste große Schlappe einstecken. Ein Sieg der Demokraten in den USA bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im November scheint ungewiss und auch die Tage der italienischen Mitte-Links-Regierung sind gezählt.
Nun, so die Verlautbarung der vierzehn "Chefs progressiver Regierungen", sollen plötzlich die Finanzmärkte kontrolliert werden. Vor noch nicht einmal zwei Jahren hieß es, dass der ehemalige Finanzminister und Parteivorsitzende der SPD, Oskar Lafontaine, für diese Forderung seinen Hut nehmen musste. Auch die üblichen Floskeln zur Bekämpfung der Armut und der Umweltzerstörung fehlen nicht im Vokabular der "progressiven" Staatschefs.
Sie wollen künftig als aufrechte Kämpfer "Gegengewichte gegen die Globalisierung" schaffen. Als sei der Prozess der kapitalistischen Globalisierung im politikfreien Raum verlaufen und gleich einer Naturkatastrophe auf die Menschheit hereingebrochen, beschwören ihre Wegbereiter plötzlich ihre politische Handlungsfähigkeit.
Dennoch ist die "Globalisierung für die Menschen" nicht viel mehr als Propaganda. Denn an ihrer politischen Grundhaltung lassen die Staats- und Regierungschefs keinen Zweifel: nach wie vor steht die makroökonomische Stabilität im Vordergrund, die sie als Vorbedingung ihrer "Reformpolitik" ansehen. Dabei hätten mindestens zwei neue Gäste der illustren Runde, der brasilianische Staatschef Cardoso und sein südafrikanischer Kollege Thabo Mbeki, ihnen die Unmöglichkeit einer Kombination aus markoökonomischen Strukturprogrammen zugunsten der Wirtschaft und einer Politik, die sich die Bedürfnisse der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben hat, plastisch darstellen können. Doch die Möglichkeit der Teilnahme an diesem Treffen schien ihnen so sehr zu schmeicheln, dass Mbeki lediglich mahnte, wirtschaftliche Dynamik und soziale Entwicklung dürften nicht im Gegensatz zueinander stehen. Das ist auch Schröder und seinem Freund Bill problemlos über die Lippen gekommen.


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