Sozialistische Zeitung |
Das "Herzstück" des "Kompetenzzentrums für die Lösung der
Zukunftsfragen" (Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel) ist der Themenpark, eine futuristische Erlebnislandschaft, in dem mit
omnipotentem Anspruch nichts weniger als "Lösungsbeiträge für die drängenden Menschheitsfragen" - der
gängige Jargon für Hunger, Armut und Umweltzerstörung - dargestellt werden, die sich als "Bilder in den Köpfen
der Menschen festsetzen" (Breuel) sollen.
Die zentrale Begegnungsstätte der Expo 2000, der Deutsche Pavillon
mit seiner "Ideenwerkstatt Deutschland", steht in der Mitte des Geschehens - die Inszenierung als Wunschtraum oder schon
Realität? Seit ihrer Gründung 1851 stehen Weltausstellungen in einer kolonialistischen Tradition.
Die Veranstalterin der "Visitenkarte unseres Landes", die
Bundesrepublik Deutschland, und die für die Durchführung komplett privatisierte Expo GmbH, haben eine beachtliche Leistung
erbracht: Ohne jede Analyse präsentieren sie einen Zukunftsentwurf, in dem alle Hinweise auf gesellschaftliche Ursachen und
herrschende Politik fehlen. Und den Doktor für alle Probleme haben sie gleich mitgebracht: Das deutsche Kapital hat sich bereitwillig
dieser ach so schweren Aufgabe angenommen.
Ein Quantum Fortschrittsoptimismus, eine Messerspitze
Wissenschaftsglaube, eine Prise Esoterik und eine formbare Grundmasse leichtgläubiger Idioten, und fertig ist das Zukunftskonzept
für Energie-, Umwelt-, Gesundheits- und Ernährungswirtschaft.
Die Expo, in der BRD das herausragende Ereignis in diesem Jahr, ist nur
ein Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, steht jedoch für diese an zentraler Stelle. Sie ist ein "Hightechevent"
zur Inszenierung herrschender Zukunftsentwürfe, macht diese für Millionen erlebbar und beeindruckt durch ihre Größe
und hervorgehobene Rolle.
Die Expo ist keine klassische Verkaufsmesse, sondern eine
Imagewerbeveranstaltung mit dem Ziel, die globale Lösungskompetenz der westlichen Welt zu behaupten, Fortschrittsglauben zu
verbreiten und eine Identifikation mit dem herrschendem Kulturverständnis zu fördern. Weniger die materielle als vielmehr die
symbolische Basis der Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse steht im Vordergrund.
Auf der Expo selbst wird der Reproduktionsbereich hingegen
vollständig ausgeklammert. Strategie ist die Reduktion von grundlegenden gesellschaftlichen Problemen auf die Frage einer mangelnden
Anwendung technischer Fachkompetenz. "Metropolen der Zukunft sollen übereinandergeschichtet werden - samt Parks, Wiesen und
Seen" bei "Platzproblemen", DaimlerChrysler ist für die "Technik-Erlebniswelt für 12- bis 18-
Jährige" zuständig, und der "Tag der Maschine" ästhetisiert Technik und Fortschritt. Die Technikkultur mit
"Lifestyle"-Bezug und interaktiver Inszenierung ist nur ein Ausdruck des mit der Bevölkerungspolitik verbundenen Interesses
an Macht, Verwertung und Kontrolle.
Die Darstellung der technisierten, herrschaftlichen Planbarkeit sozialer
Prozesse findet auf der Expo ihren vorläufigen Höhepunkt. Entfesselte Technokraten und Sozialplaner sorgen für die
Ausmerzung von Überraschungen jeglicher Art, für die Herstellung einer vollkommen durchschaubaren
Welt.
Akzeptanzbeschaffung
Es ist keine neue Methode, mit erlebnisparkähnlichen Propagandashows Akzeptanz und
emotionale Zustimmung zu einer schönen, bunten kapitalistischen Welt zu schaffen. Bei der Brüsseler Weltausstellung 1958 wurde
für die Atomenergie "zum Anfassen" durch ein begehbares Atommodell (Atomium) geworben. Auf der Expo 2000 sollen
Gentechnik und Hightechmedizin - als Wahrzeichen war ursprünglich eine riesige Darstellung des DNA-Strangs geplant - das Blaue vom
Himmel holen.
Die offenen Integrationsangebote und ein differenziertes System von
Beteiligungsmöglichkeiten der Expo "neuen Typs" stehen für ein relativ neuartiges integratives Politikmodell. Die
Internationale Frauenuniversität, das DRK, Frauenhäuser, Jugendzentren, Amnesty International, der BUND und fast jede andere
NGO sind irgendwie, mindestens aber als kritisches Feigenblatt, dabei. Wer nicht mitmachen will, macht sich schuldig am Elend in der Welt
und hat in der neuen Mitte der wohligen Weltrettungsgemeinschaft nichts verloren.
Der Klebstoff zwischen Hightech, kapitalistischer Entwicklungslogik,
Lösungskompetenz und integrativer Präsentation ist bei der Expo wie im Umweltbereich insgesamt derzeit die Ideologie der
Nachhaltigkeit. Mit dem aggressiven Einfordern von Konsenslösungen, runden Tischen, Diskussionsangeboten, hippem Edutainment,
modischen Modernisierungsfloskeln, einer disneylandartig umgesetzten Agenda 21 und der multimedialen Inszenierung von Hightech werden
(fast) alle zu einem Teil der "Zivilgesellschaft" mit ihrer "globalen Verantwortungsethik".
Die Hightechproduktion wird nicht angetastet, dafür findet der
Umbau des sozialen Herrschaftssystems durch Flexibilisierung und ökologische wie ökonomische Kostensenkung statt.
Das Motto der Expo - "Mensch - Natur - Technik. Eine neue Welt
entsteht" - steht für die Idee, die Welt von morgen zu präsentieren. Es wird Politik mit der Zukunft gemacht. Man droht, falls
sie verpasst wird, man verspricht Neues und Besseres. Allerorten herrscht Handlungsbedarf. Die Geschäftsgrundlage der
gesellschaftlichen Zukunft ist ohne Wenn und Aber eine neue Ökonomie des genetischen Codes.
Getreu der Idee von "Auslese und Ausmerze" ergänzen
Biowissenschaften und Bevölkerungskontrolle das Set an modernen Sozialtechniken: das Kranke, Hässliche und Unbrauchbare
wird aus dem Volkskörper herausgeschnitten. Der "gesunde" Rest wird fit gemacht für die Verwertungszwänge
der Zukunft.
Das "Zukunftslabor des Jahres 2000" erfindet hierbei keinen
wesentlichen Gedankengang neu, vielmehr greift die Ausstellung einen zunehmenden Trend in herrschenden Politikmustern auf.
Biowissenschaftliche "Analysen" ersetzen politische Diskussionen um Gesellschaftsentwürfe. Die soziale Frage wird zu einer
biologischen verkehrt, der Mensch wird zum genetisch gesteuerten Wesen. In dieser Logik müssen nicht mehr die Verhältnisse
verändert werden, sondern das Genmaterial. "Lösungen" werden folglich im Labor kreiert. Und dies geschieht
keineswegs mehr nur auf einer ideologischen Ebene oder in abgeschirmten Produktionsbereichen.
Gen- und Reproduktionstechnik werden zur Alltäglichkeit. Gentests,
künstliche Befruchtung und gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sind inzwischen mehr als vereinzelte Vorboten einer
Biogesellschaft geworden. Damit einher gehen neue soziale Differenzierungen und Spaltungen.
Während zum einen die medizinische Versorgung für viele
eingeschränkt und im Süden die Bevölkerungszahl kontrolliert wird, wird im Norden genetisch selektiert und operiert und
für wenige die kostenintensive Genmedizin angeboten.
Gentechnologie im Zentrum
1990 begann das Human Genome
Project (HUGO) mit dem Ziel, bis zum Jahr 2003 die menschlichen Erbanlagen zu entschlüsseln und die DNA-Bausteine dahingehend zu
analysieren, an welchem Ort welche Gene im Erbgut liegen. HUGO möchte alle Krankheiten wie Krebs oder
Herzkreislaufschwächen entdecken, eventuell sogar die genetischen Grundlagen von psychischen oder altersbedingten Krankheiten.
Laut Expo-Konzept ist die "Entschlüsselung des menschlichen
genetischen Codes" auf dem Weg, "Diagnostik und Behandlungsformen zu revolutionieren". Im Themenpark wird
"einiges zur Genomforschung (u.a. HUGO, Gen-Chipkarte) zu sehen" sein.
Der gentechnisch beeinflussten Umdefinition des Krankheitsbegriffs liegt
die Ideologie zugrunde, dass die Erbanlagen Grundlage aller Lebenserscheinungen seien. Bei der Expo GmbH heißt das dann
"biologisch vorgegebene Grenzen". Die Genforschung ist beseelt von dem Gedanken, auch persönliche Merkmale bis hin zu
Charaktereigenschaften aus den genetischen Informationen eines Menschen herauslesen zu können.
Die Sensationsmeldungen über neu entdeckte Gene, wie z.B.
Aggressivitäts-, Homosexualitäts- oder Intelligenzgene, sorgen dafür, dass sich der Glaube an die genetische
Vorbestimmtheit in den Köpfen festsetzt. Bei diesem schleichenden Bewusstseinswandel gerät allzu leicht in Vergessenheit, dass
der Mensch mehr ist als die Summe seiner Gene, nämlich in erster Linie ein soziales Wesen. Mit der Allgegenwart der Gentechnik in der
Medizin droht sich ein biologistisches Menschenbild in unseren Köpfen festzusetzen.
Kostenreduktion und genetische
Ausgrenzung
Mit jeder neuen Entdeckung eines Gens wächst der lukrative Markt für Gentests. Erste kommerzielle
Gentests für ein Routinescreening von Brust-, Eierstock- und Darmkrebs sind bereits entwickelt. Weitere für Alzheimer,
Bluthochdruck und Schizophrenie sind in der Entwicklung. Da die Tests immer einfacher handhabbar und billiger werden, ist deren breite und
unkontrollierte Anwendung wahrscheinlich. "Gentests für jedermann" schlägt die Expo GmbH vor.
Im Technikfolgeabschätzungsbericht des Bundestags 1994 wird das
eigentliche Ziel benannt: "Eine frühzeitige Identifizierung anfälliger Personen - vor Ausbruch einer Krankheit - könnte
als geeignete Strategie zur Reduktion von Kosten durch eine entsprechende Änderung des Lebenswandels der betreffenden Personen
angesehen werden."
Diagnosen können direkt aus der genetischen Beschaffenheit einer
Person gestellt werden, und zwar bereits bevor eine Krankheit zum Ausbruch kommt, die vielleicht auch ein Leben lang nie ausbrechen wird.
Für eine Vielzahl von Krankheiten wären Ursachen und Mechanismen angebbar und damit neue Therapien und
"Reparaturmöglichkeiten" in Aussicht. Die Korrektur genetischer "Defekte" direkt am genetischen Material, die
Gentherapie, folgt dieser Logik auf den Schritt.
In den USA werden bereits Menschen mit einer diagnostizierten
Erbkrankheit nicht mehr oder nur noch gegen überhöhte Beiträge krankenversichert. In zunehmendem Maße sind auch
Menschen betroffen, die wegen eines Gendefekts als "krank" eingestuft werden, obwohl sie völlig gesund sind - sie gelten als
"asymptomatische Kranke", also als Kranke ohne Symptome.
Selbst an einigen Unis ist bereits die Zulassung zum Medizinstudium von
einem Gentest abhängig. Der US-Chemiekonzern Dow Chemical hat mit Hilfe eines arbeitsmedizinischen
Überwachungsprogramms Angestellte ausgesondert, die als besonders "krebsanfällig" galten. Die Selektion von
Menschen nach genetischen Prognosen ist die Vorhut einer nachfrageorientierten Eugenik.
Das Prinzip, ganze Belegschaften gezielt auf ihr genetisches Material hin zu
untersuchen, um Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten zu erkennen, soll vermehrt zum Einsatz kommen. Lohnabhängige
werden aufgrund genetischer Kriterien selektiert und als geeignet bzw. ungeeignet für besonders belastete Berufe eingestuft.
Berufskrankheiten werden individualisiert, nicht die schlechten Arbeitsbedingungen in der Industrie sind verantwortlich, sondern einzelne
Erbanlagen. Strategie ist die Minimierung sozialer Ausgaben durch Selektion.
Heute schon gescreent?
Aber nicht nur im
Arbeitsleben, auch in der Versicherungsbranche spielt die Genanalyse eine Rolle. In der BRD sind Menschen, die eine private Kranken- oder
Lebensversicherung abschließen, verpflichtet, alle "gefahrenerheblichen Umstände" anzuzeigen und ihren Arzt oder ihre
Ärztin von der Schweigepflicht zu entbinden.
Versicherer können somit auf Ergebnisse genetischer Tests
zurückgreifen und davon den Versicherungsabschluss oder die Beitragshöhe abhängig machen. Das Versicherungsprinzip,
Risiken und Kosten gemeinschaftlich zu tragen, wird dadurch systematisch in Frage gestellt.
Die Folgen sind weitere Sparmaßnahmen und eine Entsolidarisierung
der Versicherten bis hin zu dem Punkt, dass Versicherungsschutz eine Frage der "richtigen Gene" ist. Schleichend droht eine
Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen mit bestimmten genetischen Merkmalen.
Die Expo GmbH benennt das Problem der genetischen Diskriminierung,
impliziert wird aber lediglich eine Gentherapie als Lösung, nicht etwa Möglichkeiten zur Beseitigung der Diskriminierung.
Das Datenmodell kann zur Richtschnur der Biografie werden, sich
verselbständigen und ein Eigenleben entwickeln. Immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens fallen damit in die
Zuständigkeit eines Gesundheitssektors, der Informationen über biologische Merkmale eines Menschen erheben und verarbeiten
darf.
Seit 1976 werden nahezu alle Neugeborenen durch Screening erfasst, d.h.
in Reihenuntersuchungen auf ein genetisches Merkmal hin untersucht. Ziel ist die Ermittlung von "genetischen Risikofaktoren", die
bei Kranken häufiger als bei Gesunden auftreten. Die pränatale Diagnostik soll dazu verhelfen, dass nur die fittesten und
gesündesten Kinder geboren werden.
Menschen nach Maß
Der Gang zur humangenetischen Beratungsstelle
gehört zunehmend zum Normalverlauf einer Schwangerschaft und die Zahl der Frauen, die sich einer Pränataldiagnostik
unterziehen, steigt kontinuierlich an. Hinzu kommt, dass sich seit mehreren Jahren die Schadenersatzprozesse im Zusammenhang mit
pränataler Diagnostik häufen.
Versäumt es etwa eine Ärztin oder ein Arzt, einer 38-
jährigen Schwangeren zu den Untersuchungen zu raten, macht sie oder er sich, falls das Kind behindert zur Welt kommt,
schadenersatzpflichtig. Denn mittlerweile haben schwangere Frauen ab 35 Jahren einen Rechtsanspruch auf Pränataldiagnostik. Der
"Schaden" ist das Kind, das krank geboren wird. Der Arzt haftet also nicht, weil seinetwegen jemand gestorben ist, sondern weil
jemand lebt. Indirekt bestätigt die Justiz damit als Aufgabe der Pränataldiagnostik, behindertes Leben zu verhindern.
Die deutsche Wirklichkeit lehrt bereits heute, dass Eltern mit moralischem
Druck und finanziellen Nachteilen zu rechnen haben, die sich trotz Optionen auf vorgeburtliche Diagnostik und Vermeidung für behinderte
Kinder entscheiden. Je einfacher es technisch wird, genetische Missbildungen des Fötus zu diagnostizieren, desto mehr
"Schuld" wird den Eltern oder den Müttern zugewiesen, wenn sie behinderte Kinder zur Welt bringen, die hätten
verhindert werden können.
Biodressur
Der normierende Zugriff auf den Lebenswandel ist als
"Gesundheitsbewusstsein" nahezu überall präsent: ob als ballaststoffreiche Biokost, gut gemeinter Ratschlag der
Krankenkasse zum "wirbelsäuleschonenden Bildschirmarbeitsplatz", optimale Biorhythmustabelle oder als vehemente
Antiraucherkampagne. Krankheit erscheint immer mehr als individuelles Problem, das bei rechtzeitiger Information und entsprechendem
Verhalten vermeidbar ist.
Überall sind biopolitische Ordnungssysteme als zukünftig
richtungsweisend anerkannt. Weniger Medikamente, Privatisierung der Pflege, geringer stationärer Aufenthalt. Unter einer Bedingung: der
eigenen konsequenten Körperdressur und biologischen Selbstkontrolle. "Eine wichtige Voraussetzung der Gesunderhaltung ist die
Annahme gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen in der Kindheit und ihre Beibehaltung bis ins hohe Alter" (Expo GmbH).
Das faktisch herrschende medizinische Präventionsmodell
individualisiert Krankheit, macht die Menschen zum Objekt, deren "natürliche" Anlagen es zu entschlüsseln gilt.
Prävention und Eugenik verbinden sich zu einem undurchsichtigen Geflecht.
Mit der Definitionsmacht über Normalität und mit der Macht,
in Lebenszusammenhänge eingreifen zu können, bedeutet medizinisch orientierte Gesundheitsvorsorge bei genauerem Hinsehen
Selektion, soziale Ausgrenzung sowie physische und psychische Gewalt.
Die Perspektiven der Prävention sind Entmündigung und
Disziplinierung der Versicherten sowie die Ökonomisierung und Bürokratisierung von Krankheit und Behinderung. Die Medizin
übernimmt die Rolle einer Institution sozialer Kontrolle: wer sich angepasst verhält, bekommt nach bestimmten Kriterien
finanzielle und materielle Unterstützung. Der Präventionsgedanke wandelt sich in ein technokratisches Instrument der Medizin, das
auf individuelle Schuldzuweisung und persönliche Verantwortung setzt und unausweichlich zur Entsolidarisierung des Sozialsystems
führt.
Wunsch nach perfekten Menschen
Mit der Entwicklung eines "Schönheitssalons" im
Themenpark der Expo und der Einbeziehung von "kompetenten Partnern aus der Fitnessbranche" und solchen aus "der Welt
der Kosmetik und Mode" sollen die BesucherInnen "ermutigt" werden, "aktiv zu sein und ihren Körper zu
kultivieren".
Gesundheit, Schönheit, Fitness und Leistungsfähigkeit sind die
Grundwerte des Normalisierungsdenkens im Alltag. Wer funktioniert, wer selbst- und fremdauferlegte Anforderungen pausenlos erfüllt,
gilt als gesund. Gesundheitspolitiker sprechen zunehmend in der Sprache der Ökonomie. Aus Menschen werden "molekulare
Systeme", aus Krankenhäusern "Forschungsressourcen" und aus der Politik eine "Beschaffungsagentur"
für Pharmakonzerne und Joint-Venture-Unternehmen, alles im Namen eines "effizienten Gesundheitsmanagement".
Die Expo GmbH zeigt Verständnis für den "Wunsch nach
dem perfekten Menschen", der durch die "Möglichkeiten des Klonens in greifbare Nähe gerückt" ist. Ein
Gesellschaftsentwurf, der auf Vermeidung, Verhinderung und einem Verlassen all jener basiert, die nicht der Utopie von Gesundheit und
Normalität entsprechen, hat wieder Hochkonjunktur.
Wer von einer leidfreien Gesellschaft träumt, steht immer in der
Gefahr, Kranke auszusondern und auszumerzen. Aus der Überbetonung des Gesunden erwächst leicht die Herrschaft der Gesunden.
Das gerade vorherrschende Wertesystem einer Gesellschaft entscheidet, wer abgewertet wird. Eine Gesellschaft wird nämlich nur jene
abwerten, die das Gegenteil von dem verkörpern, was der Gesellschaft wert ist.
Grenzenlose Zurichtung als
Programm
Im Laufe der Medizingeschichte hat sich eine Sichtweise auf den menschlichen Körper durchgesetzt, die diesen als
mehr oder weniger funktionstüchtige Maschine begreift: resistent gegen Krankheiten, kaum mehr verschleißanfällig und mit
unendlicher Lebenserwartung.
Im Themenfeld "Der Mensch" der Expo werden BesucherInnen
in einem überdimensionalen menschlichem Körper herumlaufen können. "Auf den Spuren der Gen- und Hirnforscher
begeben sich die Besucher in eine Reise nach innen", wandern "zu einem überdimensionalen Herzen", können
"in die faszinierende Welt des Gehirns eintauchen" und "zu den Geheimnissen der Menschen vordringen, tiefer als je
zuvor".
"Wunschziel" der Planer: unser virtuelles Spiegelbild
"nach unseren Träumen verändern". Wenn das Gewordene Mängel aufweist, dann wird es halt neu gemacht. So
die Botschaft, die auf der Expo vermittelt werden soll.
Die Zähmung und Züchtung des Menschen in nicht allzu ferner
Zukunft ist noch unendlich wirkungsvoller mit Methoden, die nicht am Verhalten und am Bewusstsein, sondern an der biologischen Substanz
ansetzen. Im begehbaren Menschen sollen die BesucherInnen "selbst Proteine herstellen und dabei die komplexen Funktionsmechanismen
des genetischen Codes kennenlernen". So begreifen sie spielend: Partizipieren heißt Mitmanipulieren.
Im Themenbereich "Die Gesundheit" wird gefragt, welchen
"Beitrag" die Gentechnologie zum "Management von Krankheit und Gesundheit" leistet. Deutlich wird, wie die
Ausblendung der sozialen Hintergründe von Krankheit und der Individualisierung von Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit
medizinischen Normen und ökonomischen Verwertungskriterien biopolitisch wirkt. Eine wichtige Ursache für Krankheiten - eine
krankmachende Umgebung - wird nicht benannt. Bezeichnenderweise sind gerade die Krankheiten, bei denen durch gentechnologisch
durchgeführte Diagnose- und Therapieverfahren der große Durchbruch erwartet wird, fast ausschließlich
Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes.
Genetisches Doping
Nicht nur für
Models gilt: Mein Körper ist mein Kapital. Die Sichtweise auf uns selbst als besitzbares Werkzeug hat zur Folge, dass wir dieses
Werkzeug absichern müssen. Die Verwertungslogik fordert zudem, im Wettbewerb diese Werkzeuge ständig zu verbessern oder
vor zukünftigen Unzulänglichkeiten zu bewahren. Der Wunsch, seinen Körperbesitz zu optimieren, ist Ansatzpunkt für
die Versprechungen der Gentherapeuten.
Wer bezahlen kann, konsumiert Gesundheit nach dem Einbau-
/Ersatzteilmodell. Der optimal zusammengesetzte, selbstbewirtschaftete Körper wird zum individuellen Privileg und Produktionsmittel.
Gentherapie ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Methoden, bei
denen durch Verpflanzung von Genen ein heilender Effekt auf eine Krankheit erzielt werden soll. Unterschieden werden die somatische
Gentherapie - der Gentransfer in Körperzellen - und die Keimbahntherapie oder Keimbahnmanipulation. Bei letzterer erfolgt der
Gentransfer in die Keimzellen, also in Eizellen oder Spermien oder in frühe Embryonalzellen. Dieser Eingriff wird an die nachfolgenden
Generationen weitergegeben und verändert sämtliche Zellen des Organismus mit dem Ziel, zukünftige Generationen qualitativ
zu verbessern.
Der verengte Blick auf die Gene versperrt die Sicht auf die vielen anderen
Facetten des Phänomens Krankheit: Psychosoziale Faktoren, krankmachende Konsum-, Arbeits- und Lebensumstände - all diese
Aspekte geraten im Zuge des molekularen Denkens zur Nebensache. Die Folge ist eine Medizin, die den Menschen als molekulare Maschine
begreift, die beliebig zu steuern, zu reparieren und zu programmieren ist.
Bisher wurde noch kein Mensch durch eine Gentherapie geheilt und
dennoch findet eine kontinuierliche Ausweitung der Experimente auf immer neue Krankheitsbilder statt.
Gene für den
Staatsschutz
Die Genomanalyse wird nicht zuletzt auch in Strafverfahren angewandt. Das Gläserne Labor in Berlin-Buch, eines
der vielen dezentralen Expo-Projekte, vermittelt das "ABC der Gentechnik". Beim "Erlebnis Genforschung"
können BesucherInnen hier "in die Rolle von Genforschern schlüpfen und gemeinsam mit Wissenschaftlern grundlegende
gentechnische Versuche durchführen". Die DNA wird "mit einfachen Mitteln" isoliert und bearbeitet oder am virtuellen
Tatort ein "Verdächtiger" wird via DNA-Fingerprinting überführt. Experimente für Schulklassen sind ein
Angebot der Museumspädagogik und ein idealer Schachzug, um Mitmachbereitschaft zu erzeugen. In Miniatur wird hier popularisiert,
was bereits gesellschaftliche Realität ist.
Ebenfalls an SchülerInnen richtet sich der Arbeitsbogen der Expo
GmbH, auf dem lang und breit der genetische Fingerabdruck erklärt wird. Jeder Mensch verliert ständig Haare und Hautschuppen.
Mit Hilfe von genetischen Rasterfahndungen kann innerhalb einer größeren Menschengruppe nach Tätern gefahndet werden.
Statt mühsam Indizien zu sammeln oder in einem zeitraubenden Prozedere Fingerabdrücke abzugleichen, genügt eine winzige
Spur und eine ausreichend große Datenbank, um Straftäter zu überführen - das ist zumindest die Hoffnung.
Während der genetische Fingerabdruck als Kontrollinstrument in der
Einwanderungspolitik seit 1993 angewendet wird, ordnete der damalige Innenminister Kanther im April 1998 ohne gesetzliche Grundlage die
Einrichtung einer zentralen DNA-Analyse-Datei zu Fahndungszwecken beim BKA an.
Mit der Einführung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes
und der Änderung der Strafprozessordnung wurden inzwischen die rechtlichen Voraussetzungen für die präventive
Speicherung genetischer Fingerabdrücke in der zentralen Gendatei beim Bundeskriminalamt geschaffen. Mit Hilfe dieser Datei soll
künftig automatisch jede an einem Tatort gefundene genetische Information gespeichert und mit den genetischen Fingerabdrücken in
der Gendatei verglichen werden.
Die DNA-Analyse kann nun auch zwangsweise durchgeführt werden
- ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit -, wenn jemand einer "Straftat von erheblicher Bedeutung"
beschuldigt wird.
Doch die Träume der Polizeibehörden gehen längst
weiter: Die Expo GmbH zitiert das Basler Kriminalkommissariat, das es "verlockend" findet, "von jedem Neugeborenen aus
rein kriminalistischen Erwägungen gleich bei der Geburt das DNA-Profil zu nehmen".
Genetische
Kontrolle
Heutzutage weiß kaum jemand, welche Daten in den elektronischen Netzen, etwa der Sozialversicherung, gespeichert
sind. Daten über Gene verschärfen das Problem, weil ihre Aussagekraft und Glaubwürdigkeit besonders hoch
eingeschätzt wird. Zugleich schwinden die Möglichkeiten zu kontrollieren, wer welche Informationen mit gentechnischen Methoden
erhebt und in wessen Hände die persönlichen Gen-Daten gelangen. Denn schon ein verlorenes Haar oder ein Blutstropfen
genügen für einen Gentest. Das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" wird so durch die enthemmte
gentechnische Entwicklung ausgehöhlt.
In Island wurde mit dem Aufbau einer nationalen Gen-Datenbank begonnen.
Wenn von der vorgeburtlichen Diagnose bis zu Krankheitsbild und Medikation, von der Röntgenaufnahme bis zu Blut- und
Gewebeanalyse und zum Totenschein alles gespeichert, verknüpft und abgeglichen wird, dürfte die Datenbank auch andere
interessieren: etwa die Pharmakonzerne, Krankenkassen, Gesundheitsplaner, Versicherungswirtschaft und nicht zuletzt die unternehmerische
Personalpolitik.
Die Gentechnik wird kommen "wie ein Naturgesetz" (Expo-
Beauftragter von Siemens). Schleichend verabschiedet sich die Politik - und die gesellschaftliche Gestaltung wird dem genetischen Code
überantwortet.
Andreas Hechler
Empfohlene Literatur