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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 08.06.2000, Seite 12

Volksabstimmungen in Italien

Wahlsieger Berlusconi

"Eine Phase ist zu Ende gegangen" - so bilanzieren alle Kräfte der Linken den Ausgang der Volksabstimmungen am 21.Mai in Italien. Das Ende der Mitte-Links-Regierung ist nunmehr absehbar. Gewerkschaften und politische Parteien stehen vor einer Neuorientierung. Der nachstehende Text ist die Zusammenfassung des ersten Teils eines Gesprächs, das die SoZ mit Gigi Malabarba geführt hat. Malabarba arbeitet bei Alfa Romeo (Mailand) und ist Sekretär der unabhängigen Gewerkschaft SIN Cobas. Der zweite Teil des Gesprächs erscheint in der nächsten SoZ.

Zur Abstimmung stand am 21.Mai ein ganzes Paket von sieben Vorlagen, die alle von der Radikalen Partei eingebracht worden waren. Zwei davon hatten weitreichende politische Bedeutung, ihr Ausgang hätte in jedem Fall über das weitere Schicksal der Mitte-Links-Regierung entschieden. Die beiden Vorlagen betrafen:
- Die Reform des Wahlrechts. Nach dem jetzigen Wahlsystem werden 25% der Parlamentssitze per Verhältniswahlrecht vergeben. Die Vorlage der Radikalen Partei wollte auch diesen Anteil abschaffen und ein reines Mehrheitswahlrecht einführen. In Italien können Volksabstimmungen nur bestehende Bestimmungen abschaffen, nicht neue einführen. Eine Abstimmung ist nur gültig, wenn mindestens 50% der Wahlberechtigten an ihr teilnehmen.
- Die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Die zur Abstimmung stehende Vorlage forderte die Abschaffung des Artikels 18 des Arbeitsgesetzbuchs. Dieser Artikel verpflichtet den Arbeitgeber, einen nicht rechtmäßig entlassenen Beschäftigten wieder an seinem alten Arbeitsplatz einzustellen. Die Bestimmung gilt für Betriebe mit mehr als 16 Beschäftigten; ihre Abschaffung hätte eine erhebliche Lockerung des Kündigungsschutzes bedeutet.

Unternehmer und Parteien

Der Unternehmerverband Confindustria war die einzige Kraft, die sich offen und ohne Abstriche auf die Seite der Radikalen Partei stellte und alle ihre Vorlagen befürwortete. Er griff aktiv in die Auseinandersetzung ein.
Dies stellt einen Wandel dar. In den letzten Monaten hat es an der Spitze des Unternehmerverbands einen Führungswechsel gegeben. Die großen Familienbetriebe, die mit den Namen Agnelli, Pirelli u.a. verbunden sind und die historisch bis in die 90er Jahre die Hegemonie über das Unternehmerlager ausübten, sind von einem neuen Management abgelöst worden, das auf die Bedürfnisse der sog. New Economy Rücksicht nimmt, aber auch auf zwei Besonderheiten der italienischen Wirtschaft: den Mezzogiorno, wo ein Maximum an Flexibilität der Arbeitskräfte herrscht, und den italienischen Nordosten, wo Klein- und Mittelbetriebe dominieren, die auf den Exportmärkten sehr rührig sind und in den Beziehungen zu den Belegschaften eine sehr radikale Haltung vertreten.
Der neue Chef der Confindustria, Antonio D‘Amato, schlägt einen sehr offensiven Kurs ein, der mit der traditionellen politischen Zurückhaltung der Wirtschaft gegenüber der Politik bricht und sich unmittelbar in diese einmischt.
Die Haltung der politischen Parteien war nicht so eindeutig. Die sog. Regierungslinke, vor allem die DS (die Linksdemokraten, hervorgegangen aus der PCI und geführt von Massimo D‘Alema), hat massiv die Vorlage zur vollständigen Einführung des Mehrheitswahlrechts unterstützt, die zur Lockerung des Kündigungsschutzes aber abgelehnt.
Die extreme Rechte hat fast dieselbe Haltung eingenommen. DS und Alleanza Nazionale haben de facto eine gemeinsame Front für die Einführung des Mehrheitswahlrechts gebildet.
Forza Italia, die Partei von Silvio Berlusconi und größte Oppositionspartei, hat bei dieser Abstimmung ihre Haltung zum Wahlrecht geändert. Bislang war sie eine eifrige Verfechterin des Mehrheitswahlrechts gewesen. Bei dieser Abstimmung erklärte sie jedoch, in der bestehenden politischen Phase müsse man zum Verhältniswahlrecht zurückkehren. Um das zu verstehen, muss man folgendes wissen:
Im vergangenen Jahr ist in den Reihen des Bürgertums der Wunsch, mit einer Neuauflage der Democrazia Cristiana (DC) erneut ein starkes bürgerliches Zentrum herauszubilden, wieder erheblich gestiegen. Die DC war 1992 aufgelöst worden. Das politische Personal dieser Partei hat sich über die zahlreichen Spaltprodukte verteilt und stellt überall deren Führung - sowohl von Mitte-Links-Parteien wie von Mitte-Rechts-Parteien.
Die meisten dieser politischen Kräfte sind jedoch winzig, sie wären unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts zur politischen Bedeutungslosigkeit verdammt. Es gibt deshalb eine starke Tendenz zu einer Neugründung der DC als neue Partei der Mitte.
Berlusconi verfolgt, seitdem er im letzten Jahr mit seiner Truppe in die Europäische Volkspartei eingetreten ist, eine mehr auf die Mitte zielende Orientierung, obwohl er am Bündnis mit der extremen Rechten festhält. Er möchte gern Dreh- und Angelpunkt einer Neubildung der DC sein. Einem solchen Prozess wäre ein reines Mehrheitswahlrecht zum jetzigen Zeitpunkt aber hinderlich.
Hinzu kommen taktische Motive: In den Regionalwahlen im April hatte die Radikale Partei geschwankt, mit wem sie sich verbünden sollte; schließlich hat sie zu den DS tendiert. Berlusconi sah sich einen Bündnispartner davonschwimmen und beschloss nunmehr, die Kritik an der Radikalen Partei zuzuspitzen. Seitdem hat er pauschal gefordert, die Vorlagen der Radikalen Partei müssten abgeschmettert werden, sie seien "nicht nützlich".
Er ist dabei gar nicht ins Detail gegangen und hat nicht inhaltlich erklärt, womit er nicht einverstanden war; in Bezug auf die Vorlage zum Kündigungsschutz ist er zweideutig geblieben; die Vorlage zum Mehrheitswahlrecht hat er eindeutig abgelehnt.
Wie Rifondazione Comunista auf der Linken hat auch Berlusconi dazu aufgerufen, sich bei allen Vorlagen der Stimme zu enthalten, um die ganze Operation der Radikalen Partei zu Fall zu bringen.
Aber nur Rifondazione hat klar erklärt, dass sich sowohl die Abschaffung des Verhältniswahlrechts wie auch die Einschränkung des Kündigungsschutzes gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten und der sozial schwächsten Schichten der Gesellschaft richten. Ein Zweiparteiensystem zwingt zu einem Bündnis mit politischen Kräften, die die liberale Politik unterstützen, und damit zur Preisgabe der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Es würde nur die Möglichkeit bieten, zwei Varianten liberaler Politik auszudrücken: eine fortschrittlich-liberale und eine liberal-konservative.
Das Ergebnis war, dass nur ein Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen ist, 32% - das war die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Republik. Natürlich ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund der wachsenden Wahlenthaltung der letzten Jahre zu sehen (bei den Regionalwahlen lag die Beteiligung bei 60%). Es war aber auch eine politische Entscheidung, die Vorlagen durch Nichtbeteiligung zu Fall zu bringen.

Das Ergebnis

Dabei ist der Ausgang für die einzelnen Vorlagen durchaus unterschiedlich zu werten und auch eine explizite politische Willensentscheidung darin zu erkennen.
Die Gewerkschaftslinke (das sind die unabhängigen linken Gewerkschaften und die Linke in der CGIL) hatte dazu aufgerufen, sich bei der Aufhebung des Kündigungsschutzes nicht der Stimme zu enthalten, sondern mit Nein zu stimmen.
Wäre nämlich die Vorlage wegen zu niedriger Wahlbeteiligung zwar zu Fall gebracht, aber dennoch von den Abstimmenden mit Ja beschieden worden, hätte es eine politische Rechtfertigung gegeben, die Sache vors Parlament zu bringen. Entsprechende Gesetzesentwürfe und Tagesordnungsvorschläge lagen bereits vor. Eine parlamentarische Mehrheit hätte sich darauf berufen können, dass es eine Abstimmungsmehrheit für die Abschaffung des Kündigungsschutzes votiert hatte.
Durch die klare Ablehnung der Vorlage ist eine solche Legitimation nun nicht mehr gegeben. Bei allen anderen Vorlagen haben 70% der Abstimmenden mit Ja gestimmt; beim Kündigungsschutz haben 70% mit Nein gestimmt.
Dabei war dieses Ergebnis nicht einfach zu erzielen, es gab hohe bürokratische Hürden. Die Wählerinnen und Wähler mussten die Wahlunterlagen für nur eine Vorlage anfordern und für alle anderen ausdrücklich verweigern. Das Abstimmungsergebnis ist in diesem Fall also besonders positiv zu werten.
Es hat zugleich ein bestimmtes Kalkül der Gewerkschaftsvorstände und der hinter ihnen stehenden DS zu Fall gebracht. Alle drei gewerkschaftlichen Dachverbände, CGIL, CISL und UIL, hatten dazu aufgefordert, bei der Vorlage zum Kündigungsschutz mit Nein zu stimmen. Sie hatten die Wahlempfehlung aber deutlich mit der Absicht verbunden, die Wahlenthaltung damit generell auch für die anderen Vorlagen (vor allem die Wahlrechtsreform) zu verringern und die Chancen ihrer Annahme zu steigern.
Die DS hatten ihren Wahlkampf ganz auf die Ablehnung der Vorlage zum Kündigungsschutz abgestellt, in der Hoffnung, die Wählerschaft mit einer fortschrittlichen Motivation zu ködern, damit sie einem den DS weit wichtigeren rückschrittlichen Projekt eine Mehrheit verschaffte. Dieses von den Gewerkschaftsvorständen unterstützte Manöver ist nicht aufgegangen.
Ein zentrales politisches Projekt der DS ist somit gescheitert. Das hat sie in eine tiefe Krise gestürzt. Die DS hatten ihr politisches Projekt ganz auf das Zweiparteiensystem abgestellt; nur in einem solchen System konnten sie darauf hoffen, als Partei eine zentrale Rolle für eine politische Umgruppierung zu spielen. Sie haben fast ihre Existenz darauf verwettet, dass sie diese Abstimmung gewinnen würden.
Die CGIL wiederum, die sich als Handlanger für das Manöver hergegeben hat, kann zwar in Bezug auf den Kündigungsschutz auf einen Erfolg verweisen, eine andere ihr wichtige Vorlage aber, die die Struktur der Gewerkschaftsbeiträge betraf und den Gewerkschaftsapparat privilegiert hätte, wurde wegen zu geringer Wahlbeteiligung abgeschmettert. Hier sind die Wähler den Empfehlungen der CGIL nicht gefolgt.

Die Rechte ist gestärkt

Die Abstimmungen lassen also einen gewissen Reflex an Verteidigung von Klasseninteressen erkennen. Dennoch ist die einzige politische Kraft, die von sich behaupten kann, Siegerin auf der ganzen Linie zu sein, Berlusconi. Er hatte schon die Regionalwahlen gewonnen und danach erklärt, es sei nicht nötig, die Volksabstimmungen überhaupt durchzuführen, man solle gleich zu Neuwahlen übergehen.
Die Mitte-Links-Regierung hat die Abstimmungen dennoch durchgesetzt, die auf diese Weise zu einer Abstimmung über die Regierung geworden sind. Sie ist auf der ganzen Linie gescheitert. Das gibt Berlusconi Recht. Nun ist die Wahrscheinlichkeit näher gerückt, dass er bei den nächsten Parlamentswahlen den Sieg davon trägt.
Dennoch schiebt der Ausgang der Abstimmungen dem aggressiven Kurs der Confindustria zunächst einmal einen Riegel vor. Auch die Diskussion über das Mehrheitswahlrecht ist vorerst gestorben. Das Projekt der Neubildung der DC lässt genügend Spielraum für politische Alternativen. Unter dem Strich haben die Volksabstimmungen also eher ein positives Resultat gebracht.
Die andere politische Kraft, die sich auf der Erfolgsseite wähnen kann, ist Rifondazione Comunista. Das ist vielleicht paradox, besagt aber, dass das politische Zentrum zerbricht, während die politischen Kräfte auf der Rechten wie auf der Linken gestärkt werden, allerdings bedeutend mehr auf der Rechten.


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