Sozialistische Zeitung |
Vielleicht klappt es ja noch. Der Eichborn-Verlag will an die Börse und und sein altertümliches
Produkt "Buch" mit den Interessen des Shareholder-Value-Gesindels versöhnen. Passend zu dieser Zielsetzung hat er ein
Werk von Dietrich Schwanitz auf den Markt geworfen mit dem bescheidenen Titel Bildung. Alles, was man wissen muß.
Für Neunundvierzigmarkachtzig gehen 540 Seiten über den
Ladentisch oder werden via Internet-Bestellung ins Haus geliefert, die Small-talk-Anleitungen zu zahlreichen Themen aus Geschichte, Kultur
und Politik aneinandereihen. Für die flüchtigen Begegnungen, wo noch miteinander gesprochen wird, wo nicht
"umgesetzt", "vermittelt", "verlinkt", "gecoacht" und "gebrieft" wird, liefert
Schwanitz seine Konversationshilfen.
Herausgekommen ist allerdings nicht ein Universallexikon und auch kein
Zitatenhausschatz, mit denen früher solche "Lieben Sie Brahms?"-Situationen bestens vorbereitet und bewältigt werden
konnten, sondern nur eine aufgeblähte Variante der in Zeitgeistmagazinen regelmäßig erscheinenden bunten Schaubildchen,
mit Listen was "in" und was "out" wäre.
In flapsigem Stil und schlechtem Deutsch reiht Schwanitz zackige
Bekenntnisse aneinander, mit denen der Anleger von heute breit gefächerte Anliegen vorgaukeln kann, von Architektur im alten Rom bis
zur Zusammenbruchstheorie bei Karl Marx. Die ganze Welt in Partyhäppchen und im knackigen Bistro-Macho-Stil: "Das war so
und das ist so."
Schwanitz ist Professor an der Hamburger Universität und vor allem
durch einen Kolportageroman bekannt geworden, der unter dem Titel Der Campus die Seichtigkeit und Bigotterie der akademischen Yuppie-
Szene zwischen Elbe und Alster beschreibt. Sein neues Buch könnte deshalb auch als ironischer Zettelkasten aus und für dieses
Milieu verstanden werden. Aber wir vermuten, er sieht darin tatsächlich einen ernsthaften Versuch der Entwicklungshilfe eines
Mitleidenden in einer Selbsthilfegruppe.
Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind nur die Kandidaten. Heute ist
Karl Marx dran. "Der größte Romancier war Hegel, und sein eifrigster Leser war Karl Marx", sagt Schwanitz.
"Für ihn ist die Realität nicht geistig, sondern materiell." "Die erste Aufgabe des Marxisten besteht deshalb in
Zerstörung des ideologischen Scheins … Und so wird der Marxismus zur hohen Schule der Demaskierung. Die Symbolsysteme der
Zivilisation werden entlarvt. Das hat ganze Generationen von Detektiven hervorgebracht, die Gott und die Welt demaskiert und die
Überführung von getarnten Unterdrückern zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben."
Der "Marxismus (hatte) auf dem Theoriemarkt in Deutschland eine
beherrschende Stellung, weil er im Bereich des Ideologieverdachts unschlagbar war." Er hatte aber "auch im Bereich Sinngebung
eine sehr breite Angebotspalette, jeder Kunde wurde mit einem grandiosen Szenario beliefert, in dem er eine heroische Rolle spielen
konnte." Aber - dank des Untergangs des "real existierenden Sozialismus" - "nun ist er out. Ob er sich wieder erholt, ist
schwer zu sagen … Im Augenblick sind selbst die besten Marktbeobachter zurückhaltend."
Statt Analyse small-talkiger Analystendünnschiss - da bleibt nur noch
als Minimalforderung: Schwanitz ab in den Container, der wo da seine Freunde RTL2 Gewinne verschaffen tun.
Peter O. Chotjewitz schreibt in der konkret, dass solch ein Buch immerhin
auf Sauf- und Kiffparties seinen Wert hat. Man könne es im Rausch vorlesen und hätte mit jeder Seite Lachsalven satt. Wer aber
bitte schön, streckt dafür fünfzig Mark vor?
Thies Gleiss