Sozialistische Zeitung |
Mitte Juni einigte sich die "rot"-grün geführte Bundesregierung mit der CDU/CSU-
Opposition auf eine "Rentenreform", die erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine Teilprivatisierung der Altersvorsorge
einleitet. Damit findet ein Systemwandel weg von der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente hin zur kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge
statt. Die Privatisierung wird von den Unternehmern, aber auch der EU und dem IWF, im Namen der Senkung der Lohnnebenkosten schon lange
gefordert; er verschafft vor allem der privaten Versicherungswirtschaft einen lukrativen Zugang zu den Geldern der Rentenversicherungen.
Bundesarbeitsminister Riester plant den Einstieg in den Systemwandel
schon für dieses Jahr - der Abstand zu den Bundestagswahlen soll groß genug sein und der CDU/CSU-Opposition möglichst
wenig Gelegenheit gegeben werden, die Rente zum Wahlkampfschlager zu machen.
Riesters Pläne werden für breite Bevölkerungsschichten
gravierende Auswirkungen haben: Sie führen schon bei heutigen RentnerInnen zu niedrigeren Renten, bei den Beschäftigten zu
höheren Beitragszahlungen und erst recht zu einem deutlich steigenden Aufwand für die Altersvorsorge der jüngeren
Generationen. Trotz höherer Beitragsbelastungen wird das Rentenniveau mittel- und langfristig sinken - Schätzungen gehen von
heute 70% des letzten Nettoeinkommens auf bis zu 44% im Jahr 2030 aus.
Weil die gesetzliche Rente nicht mehr ausreichen wird, den bisherigen
Lebensstandard zu halten, sieht Riesters "Reform" einen Pflichtanteil von zusätzlich 4% des Bruttoeinkommens als Investition
in eine private Altersrente vor. Dieser Zwang zur Einzahlung in die private Zusatzversicherung betrifft nur die Beschäftigten, nicht den
Arbeitgeber; damit sinkt deren Nettoeinkommen - somit die Berechnung der aktuellen Rentensteigerungen - weiter. Für
Geringverdienende mit einem Bruttoeinkommen von unter 70000 Mark im Jahr will Finanzminister Hans Eichel bis zum Jahr 2008 aus
steuerlichen Mitteln einen Gesamtzuschuss von 19 Milliarden Mark locker machen.
Das freut die Profiteure der neuen Regelung, vor allem die privaten
Rentenversicherer des Allianz-Konzerns und vieler großer Bankhäuser; sie alle halten mittlerweile spezielle Angebote für
ihre Kundschaft bereit - Angebote, die sämtlich den schwer kalkulierbaren Risiken der Kapital- und Finanzmärkte unterliegen.
Riester bietet nicht nur den privaten Versicherungskonzernen einen
Milliardenmarkt zum Einstieg in das Geschäft mit den Rentenfonds, er entlastet auch die Unternehmer weiter von ihrem Anteil an den
Lohnnebenkosten - genauer gesagt: er schenkt ihnen einen Teil des Soziallohns. Er erlaubt ihnen, dass sie sich endgültig aus der
paritätischen Finanzierung der Altersvorsorge verabschieden und die Folgen der demographischen Entwicklung allein auf die
abhängig Beschäftigten und Scheinselbstständigen abwälzen.
Es geht nicht darum, das bestehende Rentensystem gegen Verbesserungen
oder Änderungen "zu verteidigen", sondern Verschlechterungen für viele Betroffene abzuwehren und der tendenziellen
Zerschlagung der paritätisch finanzierten Rentenversicherung nicht tatenlos zuzusehen.
Auch im neuen Rentenmodell bleiben die Beiträge trotz ihrer
Absenkungen an die Einkommen aus Lohnarbeit gebunden. Dabei haben schon heute weniger als 50% der Beschäftigten eine
ungebrochene Erwerbsbiografie. Alle anderen sind zwischenzeitlich erwerbslos oder bilden sich fort oder arbeiten zu Niedriglöhnen, die
eine angemessene Rente nicht mehr ermöglichen.
Besonders hart wird die Altersarmut Frauen treffen, die Kinder
großziehen. Die Anzahl der Renten, die in zwanzig bis dreißig Jahren unter dem Existenzminimum liegen, wird sprunghaft steigen.
Angebracht ist angesichts dessen die Einführung einer garantierten Mindestrente.
Es ist darüber hinaus eine kalkulierte Frechheit, von einer
"angemessenen Belastung aller" zu reden, wenn Arbeitnehmer mit 4% vom Bruttoeinkommen zusätzlich zu ihrem
Rentenbeitrag von 10% zur Kasse gebeten, die Beiträge der Unternehmen hingegen auf maximal 10% eingefroren werden; das konnte
nicht einmal jeder Gewerkschaftsvorstand einfach schlucken. Riester bekommt nun Gegenfeuer aus dem eigenen Stall.
Während des "Rentengipfels" tagte in Berlin auch ein
"Gegengipfel", getragen von Gewerkschaften und Sozialverbänden. Sie erklärten, die Riesterschen Pläne seien
"nicht hinnehmbar". Insbesondere für Geringverdiener bedeute die Reform "trotz vorgesehener Förderung eine
Verschlechterung ihrer Absicherung im Alter, da sie zu einer zusätzlichen Vorsorge nicht in der Lage sein werden", heißt es
in einer gemeinsamen Erklärung.
Die Abteilung Frauenpolitik beim DGB kritisiert zusätzlich, dass
man vom Aufbau eigenständiger Anwartschaften der Frauen weiter entfernt sei als zuvor.
Doch die Haltung der Gewerkschaften entspricht nicht unbedingt ihrer
politischen Praxis. Wie können sie über ihre Mitglieder-Service-Organisationen mit dem Hinweis auf die Unsicherheit der
künftigen Rente private Rentenversicherungen anbieten und gleichzeitig glaubhaft gegen Riesters Pläne protestieren?
Anlass zu Protest und Widerstand nicht nur der heutigen, sondern auch der
künftigen RentnerInnen, gibt es genug. Versuche, alt gegen jung gegeneinander auszuspielen, müssen verhindert und über die
wahren Profiteure der "Rentenreform" aufgeklärt werden. Im Herbst, anlässlich der sogenannten "Halbzeit"
der rot-grünen Regierung, müssten die Proteste schon über papierne Erklärungen hinausgehen, wenn da noch was
verändert werden soll.
Das Erfurter Bündnis "Aufstehen für eine andere
Politik", das schon vor der letzten Bundestagswahl zu einer Großdemonstration nach Berlin mobilisierte, plant am 23.September
wieder Aktionen in der Hauptstadt. Diesmal gegen die Politik der neuen Bundesregierung.
Ob sich die Gewerkschaften, die noch vor eineinhalb Jahren mit einer
groß angelegten Werbekampagne zur Wahl der jetzigen Regierung beitrugen, an den Straßenprotesten beteiligen werden, bleibt
abzuwarten. Das verbale Säbelrasseln einiger Gewerkschafter in Berlin reicht nicht aus, zu sehr haben sich ihre rhetorischen Floskeln
abgenutzt. Nun ist Handeln gefragt.
Rolf Euler/d.Red.