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Was stellt das Konzept eines europaweiten Mindesteinkommens dar?
George Debunne: 1989 hat der Europarat in Straßburg eine Charta
für ein europäischen Mindesteinkommen akzeptiert. 1992 hat sogar die EU-Kommission eine entsprechende Empfehlung
unterzeichnet. Die Umsetzung scheiterte damals an der Blockadehaltung der deutschen und britischen Regierung im Ministerrat.
Die FERPA hat auf der Basis der Charta und der Empfehlungen eine
konkretes Modell für ein europäisches Mindesteinkommen entwickelt. Auf der Grundlage des in den einzelnen Mitgliedstaaten
unterschiedlichen Bruttoinlandsprodukts haben wir ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen ausgerechnet. Die FERPA hat sich auf 40%
dessen als Mindesteinkommen festgelegt.
Welche Bevölkerungsgruppen schließt diese Forderung ein?
Wir wollen die Armut bekämpfen. Alle, die kein oder ein nicht
ausreichendes Einkommen haben, sind im Konzept des Mindesteinkommens eingeschlossen. Und zwar nicht nur diejenigen, die
Staatsbürger in einem der europäischen Mitgliedstaaten sind, sondern alle, die in Europa leben.
Dieses Konzept widerspricht einer Politik des Abbaus sozialer Sicherungssysteme und der voranschreitenden Privatisierung der
Alterssicherung, die derzeit in der EU betrieben wird. Wie soll das Mindesteinkommen gegen die Interessen der Wirtschaft durchgesetzt
werden?
Mit der Charta des Europarats und den Empfehlungen der Kommission gibt
es Ansatzpunkte, die nicht einfach ignoriert werden können und auf denen wir aufbauen wollen. Im Dezember soll unter der
französischen EU-Ratspräsidentschaft eine europäische Grundrechtecharta verabschiedet werden. Daran werden wir
anknüpfen und eine Implementierung des Mindesteinkommens in die Grundrechtecharta fordern.
Gibt es Mobilisierungen, um der Forderung Nachdruck zu verleihen?
Am 17.Mai hat die FERPA einen europaweiten Aktionstag
durchgeführt. Bis auf Deutschland gab es eine beachtliche Resonanz, insgesamt sind 250000 Menschen auf die Straße gegangen. In
Deutschland ist die Mobilisierung so schlecht gelaufen, weil der DGB sich noch immer weigert, Mitglied der FERPA zu werden - im
Gegensatz zu allen anderen Gewerkschaftsdachverbänden in Europa.
Wir haben nun auch eine Petition formuliert, die sowohl das Recht auf ein
Mindesteinkommen als auch das auf eine Wohnung und auf Gesundheitsversorgung enthält. Ende September wollen wir die Petition mit
insgesamt einer Million Unterschriften überreichen und voraussichtlich im Oktober durch Demonstrationen unsere Forderungen nochmals
unterstreichen.
Welche anderen gesellschaftlichen Kräfte außer der FERPA unterstützen die Forderung nach einem europäischen
Mindesteinkommen?
Die FERPA hat 1999 beim Treffen des EGB in Helsinki eine Resolution
durchgesetzt, die auch das Mindesteinkommen enthält. Das richtete sich gegen die Interessen des DGB und einiger Gewerkschaften aus
Skandinavien, die ein Mindesteinkommen ablehnen. Aber die Mehrheit der Gewerkschaften im EGB ist dafür. Auch die
Erwerbslosenorganisationen haben ein Interesse daran.
Wie ist die bisherige Resonanz auf den Vorstoß in der breiteren Öffentlichkeit?
In Frankreich und Italien hatten bspw. die Proteste vom 17.Mai ihren festen
Platz in den Fernsehnachrichten. Die FERPA hat außerdem gute Beziehungen zu vielen Abgeordneten des Europaparlaments und auch
einen Draht in die Generaldirektion Arbeit und Soziales der EU-Kommission. Diese Direktion ist für ein Mindesteinkommen. Allerdings
gibt es mit letzteren Unstimmigkeiten über die Höhe des Einkommens.
Aber von den 40% werden wir nicht abweichen, denn ein
Mindesteinkommen sollte ein menschenwürdiges Leben garantieren. Im Zusammenhang mit der europäischen Grundrechtecharta
wird auch die Debatte um ein Mindesteinkommen noch breitere Kreise ziehen.