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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 3

Einwanderungsgesetz

Nicht Arbeitskräfte, sondern Menschen

Freizügigkeit ist ein Menschenrecht. Es muss allen Menschen freigestellt sein, ein Land, in dem sie sich nicht wohl fühlen, zu verlassen - sei es aus wirtschaftlicher Not, sei es wegen politischer oder anders begründeter Repression und Verfolgung. Wer das Menschenrecht auf Flucht und freie Ausreise verteidigen will, muss auch für eine ungehinderte Einreise eintreten. Wohin sonst sollten Menschen fliehen oder ausreisen?
Die jetzt vorgeschlagene Regelung für sog. Green Cards ist in weiten Teilen eine Mogelpackung. Das beginnt schon damit, dass die Empfänger solcher Green Cards sich weder dauerhaft hier niederlassen dürfen noch gleiche Rechte bekommen wie die Menschen, die hier leben. Bleibt es dabei, so führt diese Green-Card-Regelung nur zu einer neuen Form von Ungleichheit und Diskriminierung. SPD, CDU/CSU, FDP und Grüne streiten fast nur über die genauen Modalitäten dieser Ungleichbehandlung und Diskriminierung, nur über das wie, nicht über das ob.
Schon die einfache Tatsache, dass die geplante Green-Card-Regelung als eine "Ausnahmeverordnung von der (seit 1973 geltenden) Anwerbestoppverordnung" eingeführt werden soll, macht deutlich, dass sich an den Grundsätzen der Asyl- und Migrationspolitik in diesem Land nichts ändern soll. Die alte demokratische und humanistische Kritik an der "Gastarbeiterpolitik" der alten BRD in den 60er und frühen 70er Jahren: "Sie wollten Arbeitskräfte, es kamen Menschen", gilt deshalb auch für die jetzige Green-Card-Debatte.
Insbesondere aus CDU und CSU, aber auch aus anderen Parteien werden in der Green-Card-Debatte wieder einmal Töne laut, die für eine weitere Einschränkung des Asylrechts eintreten. Dabei nehmen Länder wie Großbritannien, die Niederlande oder die Schweiz gemessen an ihrer Bevölkerungszahl schon jetzt mehr Flüchtlinge auf als die Bundesrepublik.
Europaweit ist die deutsche Politik in Fragen von Asylrecht und Migration in der Rolle des Bremsers. In vielen EU-Ländern sind frauenspezifische Fluchtgründe und nichtstaatliche Verfolgung - z.B. durch religiöse Fundamentalisten - als Asylgrund anerkannt, nur nicht in der BRD. In Ländern wie Frankreich, Spanien und Belgien bekommen Menschen, die durch restriktive Gesetze in die "Illegalität" geraten sind, ein legales Bleiberecht. Bei uns sind sie ein Fall für die Polizei und für Abschiebebehörden.
Die vor den Bundestagswahlen von SPD und Grünen angekündigte großzügige "Altfallregelung" für lange hier lebende Flüchtlinge stellt sich für tausende Flüchtlingsfamilien in diesen Wochen und Monaten als große Enttäuschung heraus. Sie erhalten kein Bleiberecht.
Eine Einwanderungsregelung, die nur angeblich "hochqualifizierte" Menschen ins Land lassen will, schafft nur neue Hürden und Diskriminierungen. "Hochqualifiziert" meint zudem nur: für den augenblicklichen Bedarf der Wirtschaft. Was ist, wenn sich dieser Bedarf ändert oder diese Menschen alt werden? Gelten sie dann wieder als "unqualifizierte Armutsmigranten"? Sollen sie dann wieder abgeschoben werden?
Schon das Kriterium zeigt, dass sich diese Diskussion nur um den Nutzen der Wirtschaft dreht. Aber nicht die Wirtschaft, die Menschen müssen im Mittelpunkt aller Diskussionen um Asyl und Migration stehen.
Auch die mit der Green Card Debatte verbundene Diskussion um ein Einwanderungsgesetz zielt derzeit nicht auf eine demokratische Korrektur der Asyl- und Migrationspolitik ab. Sie will lediglich der Wirtschaft ermöglichen, wieder reibungsloser Arbeitskräfte im Ausland zu rekrutieren. Alle derzeit vorgeschlagenen "Einwanderungsgesetze" sind deshalb in Wirklichkeit "Einwanderungsbegrenzungsgesetze".
Immer geht es darum, entweder die Zahl der Flüchtlinge noch weiter zu begrenzen oder die Zahl der Aussiedler oder den Familiennachzug oder alles zusammen. Ob CDU/CSU, SPD, FDP oder Grüne: Alle wollen mit ihren Vorschlägen Einwanderung begrenzen. Weniger Armutsmigranten, mehr Hochqualifizierte, ist ihre gemeinsame Devise.
Die damit geplante Selektion, Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Menschen - die für die Wirtschaft "Nützlichen" dürfen kommen, die Armen, die Menschen in Not sollen draußen bleiben - ist inhuman und unvereinbar mit dem Gleichheitsgebot.
Die Debatte um Green Card und Einwanderungsgesetze wirft noch ein weiteres Problem auf. Die dringend notwendige Diskussion um die bessere Integration, um die Gleichberechtigung der hier schon lebenden Migrantinnen und Migranten und der Flüchtlinge wird immer weiter in den Hintergrund gedrückt. Vernünftige Forderungen wie die nach Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge, nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, nach Abschaffung der Abschiebehaft, nach Fortsetzung der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts - weg vom Blutsrecht, hin zu einem demokratischen Staatsbürgerschaftsrechts, das allen Menschen, die hier dauerhaft leben, auch volle staatsbürgerliche Rechte gewährt - geraten dadurch weiter ins Hintertreffen
Seit den 60er Jahren wird die Abwerbung qualifizierter Kräfte aus armen Ländern auf diesem Globus durch Firmen des industrialisierten Nordens (auf englisch bekannt als brain drain - zu deutsch etwa: Abwerbung der Gehirne) als eine Form des Neokolonialismis kritisiert.
Der Generaldirektor der UNESCO, der 62-jährige Koichiro Matsuura aus Japan, hat deshalb vor dieser Abwerbung zu Recht gewarnt. Dadurch werde sich das wirtschaftliche Gefälle zwischen der Dritten Welt und den Industriestaaten noch weiter verstärken, kritisierter der Chef der UN-Organisation für Bildung, Kultur und Wissenschaft in einem Pressegespräch in Berlin. "Die Kluft zwischen jenen Ländern, die über Wissen verfügen, und denen, die nichts haben, wird immer größer." Die UNESCO strebe Bedingungen an, bei denen diese Experten in ihrer Heimat bleiben könnten, ergänzte er.
Tatsächlich ist das Green-Card-Vorhaben der Bundesregierung eine neue Form des Nord-Süd-Konflikts. Während die armen Länder des Südens (oder Osteuropas) die Kosten mit der Ausbildung dieser Experten haben und später, wenn sie alt und krank wieder in ihre Länder zurückgeschickt werden, auch mit ihrer Versorgung, macht die Hightechbranche in der Bundesrepublik auf diese Weise noch mehr private Gewinne.
Alles bisher gesagte führt zu dem Schluss: Die von vielen erhoffte, von manchen auch schon vermutete Wende in der deutschen Asyl- und Migrationspolitik, weg vom deutsch-völkischen Muff, weg von reaktionären Parolen wie "Das Boot ist voll" oder "Ausländer raus", hin zu einer humanen, rationalen und demokratischen Politik ist nicht zu erkennen.
Für eine solche Wende gilt es weiter zu streiten - zusammen mit Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten und zusammen mit anderen demokratischen Kräften.
Es geht um die Stärkung des Asylrechts bzw. es für viele Flüchtlinge überhaupt wieder herzustellen. Die Politik der "Festung Europa" muss aufhören. Nicht die illegalen Schleußer und Schlepper sind unser Problem, wie Politiker der CDU und CSU, der SPD und FDP weismachen wollen, sondern eine Abschottungspolitik, die Menschen in Not dazu zwingen, illegal, auf Schleichwegen, im Schutz der Dunkelheit in dieses Land zu fliehen.
Mit dieser Politik muss endlich Schluss gemacht, das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention müssen wieder hergestellt werden und uneingeschränkt gelten. Dazu gehört die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes und des Arbeitsverbots gegen Flüchtlinge ebenso wie die Abschaffung von Abschiebehaft und gewaltsamer Abschiebung.
Dazu gehört eine wirkliche Integrationspolitik gegenüber Flüchtlingen und Migranten, wie sie z.B. in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern schon länger praktiziert wird. Dazu gehört weiter die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung und frauenspezifischer Fluchtgründe als Asylgrund, und dazu gehört schließlich eine Politik, die die vielen Menschen, die in den letzten Jahren hierzulande in den Status von "Illegalen" hinabgedrückt wurden, wieder legalisiert, ihnen Bleiberecht gibt.
Wer in die BRD kommt, muss sich dauerhaft hier niederlassen dürfen und gleiche Rechte haben wie alle anderen Menschen, die hier leben. Das bedeutet: Niederlassungsrecht, volle staatsbürgerliche Rechte, Fortsetzung der Staatsbürgerschaftsreform bis zur völligen Abschaffung des Blutsrechts, Schutz vor Diskriminierung durch ein Antidiskriminierungsgesetz. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Antirassismus, Flüchtlinge und MigrantInnen in der PDS lehnt jedes Einwanderungsgesetz, dass die Einwanderung allein an den Interessen der Wirtschaft ausrichten will und das deshalb das Asylrecht, das Recht auf Familiennachzug und die Zahl der Aussiedler begrenzen will, strikt ab.
Die Diskussion um die Green Card, bei der sich längst auch andere Branchen schon gemeldet haben, die ebenfalls Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren wollen - als Saisonarbeiter für die Ernte, als Pflegekräfte in sozialen Einrichtungen oder wo auch immer - zeigt: Die Zeiten des Anwerbestopps gehen zu Ende. Wir stehen vor einer neuen Phase der Migrationspolitik. Hinzukommen demografische Gründe.
UN-Experten haben erst kürzlich erklärt, Länder wie die Bundesrepublik benötigten schon allein aus demografischen Gründen jährlich eine "Nettozuwanderung" von ca. 500000 Menschen. Derzeit beträgt diese "Nettowanderung" ziemlich genau Null: etwa 700000 Menschen kommen jedes Jahr in die Bundesrepublik, genauso viele - 1997 und 1998 sogar mehr - verlassen sie wieder, wandern aus oder werden gegen ihren Willen wieder ausgewiesen.
Die Menschen, die in die BRD kommen, müssen gleiche Rechte haben, sie müssen von Anfang an mit offenen Armen empfangen werden und sie müssen von Anfang an Anspruch auf gleichberechtigte Integration haben.
Das schreibt auch die UN-Konvention über Wanderarbeit vor: gleiche Rechte für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und ihre Familien wie für die Menschen in den Anwerbeländern. Das heißt gleiche politische Rechte, gleichen sozialen Schutz, gleichen Anspruch auf Pflege ihrer Sprache, ihrer Kultur, ihrer Religion wie alle anderen auch.
Diese Konvention ist von der alten Bundesregierung nicht unterzeichnet worden, und auch die neue Regierung weigert sich bis heute, sie zu unterzeichnen.

Katina Schubert/Giyasettin Sayan/Imihan Zorlu

Die AutorInnen sind Mitglieder der BAG Antirassismus, Flüchtlinge und MigrantInnen der PDS.


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