Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 7

UN-Bericht über Wanderarbeiterinnen

CallCenter und Heimarbeit

Unter den Computerfachleuten, die einen Antrag auf zeitlich befristete Arbeitserlaubnis in Deutschland - fälschlich nach der UN-Einwanderungsgenehmigung Green Card genannt - gestellt haben, sind über 30% Frauen: Informatikerinnen aus Ländern wie Bulgarien, Indien oder auch den EU-Nachbarstaaten Polen und Ungarn, die Softwareprogramme für deutsche Firmen schreiben wollen. Trotz aller Hindernisse und absehbarem Lohndumping fühlen sie sich möglicherweise dennoch eher als "Gewinnerinnen" der Globalisierung.
Arbeitsmigration, im neoliberalen Sprachgebrauch gern Flexibilität genannt, ist ein zentrales Strukturmerkmal der Globalisierung. So jedenfalls sieht es der UN-Bericht "Weltüberblick über die Rolle von Frauen in der Entwicklung", den die UNO alle fünf Jahre veröffentlicht. Der neueste Bericht in englischer Sprache datiert von Ende 1999. Er arbeitet zwei auffällige Entwicklungen heraus:
n Immer weniger Menschen wandern dauerhaft in ein wirtschaftlich besser gestelltes Land ab. Die meisten kehren nach wenigen Jahren in ihre Heimat zurück. Der Anteil der Frauen an der Wanderarbeiterschaft wächst, während bisher Frauen eher als Familienangehörige, Hausfrau und Mutter einem Migranten folgten.
n Abgesehen von einer relativ kleinen Elite hoch qualifizierter Spezialistinnen wie Ärztinnen oder Computerexpertinnen handelt es sich bei den Wanderarbeiterinnen eher um Industrie- oder Landarbeiterinnen. Den größten Teil aber machen Hausangestellte und Dienstleisterinnen im Unterhaltungssektor aus. Diese werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine gesicherte Vollzeitbeschäftigung finden, sondern sind auf "flexible", "informelle" Jobs angewiesen - also auf ungeschützte Teilzeit- und Heimarbeit, Saisonarbeit und Akkordarbeit - niedrigst bewertet und entlohnt.
Nach Auffassung der UNO verkörpert genau dieser Typ von Arbeit den heute vorherrschenden "globalen Trend". Im vergangenen Jahrzehnt stieg laut Quellen der ILO die Erwerbsarbeit von Frauen weltweit stärker als die von Männern. Doch die Mehrzahl der erwerbstätigen Frauen findet sich in kleinen Dienstleistungs- und Zulieferjobs, in Leih- und Heimarbeit, als Tagelöhnerin auf Abruf oder im Kleinhandel wieder. Frauen sind die Pionierinnen der sog. "flexiblen Abeitsformen".
Die Asienkrise hat gezeigt, wie schnell und umfassend die Arbeitsmärkte umgewälzt werden können. In Korea gab es Massenentlassungen in zuvor patriarchalisch strukturierten Konzernfabriken, in Banken und Versicherungen mit der Corporate Identity einer großen Betriebsfamilie, ebenso wie in Kleinunternehmen. Sie verliefen alle nach demselben Schema:
- Gefeuert wurden zuerst verheiratete Frauen,
- an zweiter Stelle kamen die ledigen Frauen,
- erst zum Schluss kamen die Männer.

Etliche Firmen boten den Frauen schon bei der Kündigung einen Teilzeit- oder Gelegenheitsjob an, andere Frauen wurden an Leiharbeitsfirmen verwiesen. Damit waren alle erkämpften Errungenschaften und tarifliche Leistungen von heute auf morgen verschwunden: Die neuen Stundenlöhne liegen jeweils um ein Drittel unter dem alten Tariflohn, bezahlter Urlaub ist ganz weggefallen, nur noch selten wird Kranken-, Unfall- oder Rentenversicherung gezahlt.
Global gesehen folgt der Dienstleistungssektor, vor allem der Finanz- und Versicherungsbereich, dem koreanischen Beispiel, Vollbeschäftigung systematisch in flexible Jobs umzuwandeln. Konzerne, die dies betreiben, wissen auch Gesetze gegen Scheinselbständigkeit zu umschiffen. Weltweit sind 80% der Teilzeitbeschäftigten Frauen.
Die globalen Märkte bieten Frauen neue Chancen, Qualifikationen und Karrieremöglichkeiten, lautet die Bilanz des UNO-Berichts in der Diktion des Kapitals, wenngleich er anerkennt: "Nicht alle flexiblen Jobs müssen notwendigerweise schlecht sein, aber sie erhöhen die Risiken auf dem Arbeitsmarkt." Risiken, die Männer in dem geforderten Umfang (noch) nicht bereit sind einzugehen.
Die Mehrzahl der Frauen allerdings - die Telefonistinnen in den boomenden Call-Centern, die polnischen Spargelstecherinnen mit Hochschulabschluss in Mittelfranken und der norddeutschen Heide, die Erntehelferinnen aus Mexiko und Zentralamerika in Kalifornien, die Putzfrauen und Prostituierten in der Expo-Stadt Hannover, die Algerierinnen, Türkinnen, Marokkanerinnen und Portugiesinnen, die in französischen und dutschen Großstädten in Heimarbeit für einen Stundenlohn von weniger als zwei Euro nähen - sie allen fallen aus den marktschreierischen Wohltaten der Globalisierung, wie die UNO sie propagiert, heraus.
Der "Weltüberblick über die Rolle von Frauen in der Entwicklung" spiegelt nicht mehr als die unipolare kapitalistische Welt, als deren Garant die UNO sich sieht.

Ekkehard Jänicke


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