Sozialistische Zeitung |
Anfang der 90er Jahre wurde das Phänomen "Rechtsrock" erstmals in den Medien
aufgegriffen. Im Zusammenhang mit den rassistischen Morden nach der Wiedervereinigung tauchten verschiedene Nazibands der damals noch
überschaubaren Szene in Talkshows, und Magazinen auf. Während die Szene in den Folgejahren immer weiter anwuchs und ein
wichtiger Faktor für die Rekrutierung von Nachwuchs und die Finanzierung des "Nationalen Widerstands" wurde, geriet das
Thema erst wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als die Band Weissglut 1999 einen Vertrag bei dem Major-Label Sony/Epic
unterschrieb. Daraufhin veröffentlichte der Spiegel einen Artikel über die in Antifa-Kreisen längst bekannten
rechtsextremistischen Aktivitäten und Kontakte des Weissglut-Sängers Josef Klumb.
Die Kölner Antifa K sieht die Nazi-Musik als
"Ideologieträger Nr.1" und hat deshalb die Kampagne "Weg mit dem rechten Sounddreck!" ins Leben gerufen.
Musik von rechtsextremen Bands spiele mittlerweile "die wichtigste Rolle bei der Ausbreitung der Naziszene", heißt es in der
Kampagnenzeitschrift. Als Vorbild nahm sie sich die Kampagne "Stoppt die Händler des Hasses", der englischen Antifa-
Zeitschrift Searchlight.
Die 1996 gestartete Kampagne führte zu massiven
Produktionsproblemen für britische Nazi-Labels, so dass viele von ihnen ihre Aktivitäten auf Skandinavien oder auch Deutschland
verlegten. Auch das schwedische Antifa-Magazin Expo führte diese Kampagne fort und erreichte, dass die taiwanesische Firma Ritek
keine Aufträge des Nazi-Labels Ragnarock-Records mehr entgegennimmt.
Die Kampagne versucht nun, den in Köln ansässigen Vertrieb
Rock-o-Rama ins Blickfeld zu rücken - einen der größten Vertriebe und Produzenten für Nazi-Musik in Europa.
Für den 22.Juni ruft die Antifa K zu einer Demonstration gegen den Nazi-Vertrieb in Köln-Braunsfeld auf. Der seit den 70er Jahren
bestehende Versand von Herbert Egoldt fing mit dem Verkauf von Psycho- und Rockabilly-Platten an, später war Rock-o-Rama in
Deutschland die praktisch einzige Bezugsquelle für Punk- und New Wave-Platten.
In das Geschäft mit Nazi-Musik stieg Egoldt über die
Zusammenarbeit mit dem britischen White Noise Club ein. Das Ergebnis dieser Zusammenschlusses war die Sampler-Reihe No Surrender 1-4,
auf denen deutsche und englische Nazi-Bands vertreten waren. Nach Spaltungen innerhalb des White Noise Club wechselten die drei
verkaufsträchtigsten Bands Skrewdriver, No Remorse und Brutal Attack zu Egoldt und Rock-o-Rama-Records. Mit der Übernahme
des alleinigen Vertriebs für Skrewdriver wurde Egoldt, der "große unbekannte Vertriebsmogul" (Spex), Vorreiter im
Handel mit Nazi-Musik in Deutschland.
Mit der Gründung der Band Skrewdriver begann 1977 in
Großbritannien die Geschichte des "Rechtsrock". Ian Stuart Donaldson, mittlerweile verstorbener Gründer der Band
und glühender Verehrer von Rudolf Hess, reaktivierte Anfang der 80er Jahre die Bewegung Rock against Communism.
Aus dem 1980 gegründeten und von der National Front gesteuerten
White Noise Club baute Donaldson das Netzwerk Blood & Honour auf. Bis 1998 wurde das Netzwerk von der terroristischen Nazi-
Gruppe Combat 18 geleitet; Im August 1998 brach die Mehrheit der Bewegung mit Combat 18 und verstärkte den Kontakt zu der in den
USA entstandenen Hammerskin-Bewegung.
Die Hammerskins sind nach dem Prinzip des führerlosen
Widerstands in voneinander unabhängigen Zellen organisiert und verfügt über internationale Kontakte, unter anderem zum
Ku-Klux-Klan. Mit der Band Ultima Thule konnte das Hammerskin-Label Nordland zwischenzeitlich sogar Platz 1 in den schwedischen Charts
erreichen. Inzwischen ist Nordland jedoch nahezu zusammengebrochen.
Ein Viertel der Konzerte rechtsextremer Bands in der Bundesrepublik wird
mittlerweile von Blood & Honour organisiert. Die "Deutschlanddivision" von Blood & Honour ist mit 250 Mitgliedern
eine eher kleine Gruppierung, nimmt aber dennoch eine ideologische und organisatorische Vorreiterrolle ein.
Welche Rolle Nazi-Bands für die Rekrutierung von Nachwuchs
spielen, führt Manfred Rouhs in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Europa Vorn (mittlerweile Signal) aus: "Hat der
Jugendliche erst einmal an Bands, die patriotische Motive in ihren Texten verarbeiten, Gefallen gefunden, dann fragt er möglicherweise
nach mehr, nach dem Woher und Warum des Nationalismus. Das ist der Augenblick, in dem wir von Europa Vorn zuschlagen, ihm Inhalte und
Kontakte bieten müssen."
Rouhs hat längst seinen eigenen Musikvertrieb, durch den er sich
nicht mehr nur an die rechte Jugendsubkultur wenden will: "Patrioten verschiedener Stilrichtungen sollen gesammelt und geeint
werden." Auch die NPD hat mittlerweile ihren eigenen CD-Versand gegründet, um ihre politische Arbeit zu finanzieren: Auf
"Pühses Liste" werden mehrere hundert verschiedene CDs angeboten.
Der Handel mit Nazi-Musik ist nicht mehr eine Randerscheinung und auf
eine Subkultur beschränkt, sondern längst zu einem Millionengeschäft geworden. Seit 1991 haben über 100 deutsche
Bands knapp 500 verschiedene CDs mit einer Auflage von bis zu 15000 Stück produziert. Vertrieben werden diese von über 50
Labels.
Die Nazi-Subkultur hat viele Erscheinungsformen von vermeintlich linken
Subkulturen wie Punk übernommen - vom Fanzine bis zu selbstorganisierten Konzerten. Einige rechte Kulturstrategen berufen sich offen
auf Antonio Gramsci und sein Konzept der "kulturellen Hegemonie". Die Nazi-Szene öffnet sich mittlerweile gezielt für
andere Subkulturen, wie die Dark-Wave/Gothic- und die Black-Metal-Szene, die in einigen europäischen Ländern
größer ist als die Skinhead-Szene. Im Black Metal gibt es mittlerweile schon eine offen nazistische Strömung, den NS-Black-
Metal.
Patrick Hagen