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Eigentlich hätte das Nachfolgeabkommen des Lomé-Vertrags zwischen der EU und den 71
Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (AKP) zwischen dem 5. und 8.Juni auf Fiji unterzeichnet werden sollen. Doch auf einem Treffen der AKP-
Botschafter in Brüssel erklärte der Vertreter Fijis kurz zuvor, dass er nach dem gewaltsamen Sturz der Regierung nicht mehr
für "die notwendige Sicherheit" der Verhandlungsteilnehmer "garantieren" könne. Nun hat der Ministerrat
der AKP-Staaten das Treffen auf Ende Juni verschoben und in die westafrikanische Republik Benin verlegt.
Die Verhandlungen um das neue Abkommen dauerten vom September 1998
bis Februar dieses Jahres an. Die AKP-Staaten standen währenddessen vor der unmittelbaren Bedrohung, dass die
Handelspräferenzen, die sie unter den Lomé-Verträgen gegenüber der EU hatten, mit dem fortwährenden
Hinweis der EU auf den Liberalisierungsdruck der Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) völlig abgeschafft würden.
Die EU beabsichtigte, den bisherigen Charakter des Abkommens komplett
zu verändern, denn "die Postkolonialzeit ist vorbei, und es geht darum, das Geber-Empfänger-Denken zu
überwinden", hieß es in einem Kommissionspapier. Nur ein finales Aufbäumen, in dem die AKP-Staaten "all ihre
Verhandlungskapazitäten, politischen Fähigkeiten und internationale Unterstützung" mobilisierten, hat nach Ansicht
einer jüngst aktualisierten Hintergrundanalyse der Entwicklungsorganisation WEED das Schlimmste verhindert.
Dennoch sind die Kernstücke des Lomé-Vertrags, die
Preisstabilisierungsfonds, die die negativen Auswirkungen schwankender Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte und
mineralische Rohstoffe ausgleichen sollten, nicht mehr Bestandteil des neuen Vertrags. Stattdessen sollen die 33 AKP-Länder, die nicht
zu den ärmsten Ländern, den Low Developed Countries (LDCs), gehören, schrittweise nach den Prinzipien des Freihandels
in den Weltmarkt eingegliedert werden.
Das neue Abkommen mit einer Laufzeit von 20 Jahren sieht eine
achtjährige Vorbereitungsphase für die REPAs (Regional Economic Partnership Agreements) vor, die die Handelsbeziehungen
regulieren bzw. deregulieren sollen. Die übrigen 39 AKP-Staaten, die zu den ärmsten der Welt zählen, sollen sich bereits im
Jahr 2004 entscheiden, ob sie den REPAs ebenfalls beitreten wollen. Falls nicht, soll ihnen ein noch nicht näher definiertes
"äquivalentes System" zu Lomé angeboten werden.
Noch im vergangenen Dezember betonte der stellvertretende WTO-
Direktor gegenüber der EU, dass Ausnahmeregelungen zu den Freihandelsbestimmungen der WTO für die Vorbereitungsphase der
AKP-Staaten weiterhin ohne Probleme erteilt würden. Dennoch ist WEED der Ansicht, dass es für keine der vorgeschlagenen
Optionen, die Handelspräferenzen der EU ausschließlich für die AKP-Staaten vorsehen, "a priori" eine Garantie
gibt, in der WTO zu bestehen.
Anfang Juli will die WTO über die nach wie vor gewährten
Präferenzen in der Vorbereitungsphase entscheiden.
Scharfe Auseinandersetzungen gab es während der Verhandlungen um
"good governance". Die EU wollte die Demokratiefrage, Wirtschaftsführung und Korruptionsbekämpfung zu einem
"wesentlichen Element" machen, dessen Verletzung einem Vertragsbruch gleichkommt. Die AKP-Staaten lehnten dies als
neokolonialistische Einmischung ab, zumal parallel zu den Verhandlungen fast die gesamte EU-Kommission der Korruption
überführt wurde. Das neue Abkommen hält nun fest, dass die Kommission lediglich im Falle "schwerer
Korruption" Sanktionen bis hin zur Einfrierung der Mittel verhängen kann.
Auf Ablehnung der AKP-Seite stieß auch die von der EU forcierte
Rücknahmeverpflichtung "illegaler" Einwanderer. Die EU-Innen- und Justizminister hatten auf einem Sondergipfel im
vergangenen Herbst eine Standardklausel für alle zukünftigen Verträge mit Drittländern verabschiedet, die eine
Rücknahmeverpflichtung nicht nur für die Staatsbürger des jeweiligen Landes, sondern auch für von dort eingereiste
Staatenlose und durchreisende Flüchtlinge vorsieht.
Doch die AKP-Staaten machten noch in der letzten Phase der
Verhandlungen deutlich, dass sie dies auf keinen Fall akzeptieren werden. Nun haben die Verhandlungspartner eine Übereinkunft
getroffen, dass alle Modalitäten zur Rücknahme von "illegalen" Einwanderern in bilateralen Abkommen jeweils einzeln
verhandelt werden sollen.
Für die ersten fünf Jahre des Abkommens ist ein
Finanzvolumen von 13,5 Milliarden Euro vorgesehen. Davon soll eine Milliarde konditioniert vergeben und bis zum Abschluss einer
Effizienzüberprüfung zurückgehalten werden. Weitere 2,2 Milliarden sind zur "Förderung des
Privatsektors" vorgesehen und 1,3 Milliarden zur Vorbereitung der REPAs durch die finanzielle Unterstützung regionaler
Integrationsprojekte.
Die verbliebenen 9 Milliarden Euro sollen durch einen gestrafften
Vergabemodus den realen Finanzfluss beschleunigen. Das sei das Hauptmotiv der AKP-Staaten gewesen, "der eigentlich eher knappen
Mittelausstattung letztlich doch zuzustimmen", erklärt WEED.
Die vor allem von den AKP-Staaten angestrebte Aufnahme Kubas in das
gemeinsame Abkommen hat die kubanische Regierung Anfang Mai abgelehnt. Gleichwohl betonte Kuba sein Interesse an intensiven
Beziehungen zur AKP-Gruppe.
"Nicht nur gegenüber der EU, sondern auch in den WTO-
Verhandlungen werden sich die 71 Länder zunehmend ihrer Verhandlungsmasse bewusst", meint WEED. Tatsächlich haben
EU und AKP-Staaten gemeinsam eine rechnerische Mehrheit in der WTO, die bei Entscheidungen formal das Prinzip "Ein Land, eine
Stimme" zugrunde legt. Diese Mehrheitsverhältnisse könnten im Hinblick auf die kommenden Verhandlungsrunden der WTO
ein wesentlicher Grund für das Einlenken der EU gewesen sein.
Gerhard Klas