Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 14

Frankreich

Kongress der LCR

Vom 1. bis 4.Juni fand der 14.Kongress der LCR (französische Sektion der IV.Internationale) statt. Das Medieninteresse galt vor allem ihrer Beziehung zu der anderen großen trotzkistischen Organisation in Frankreich namens Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf) - konkret: ihrer gespannten Beziehung. 200 Delegierte repräsentierten die Mitglieder der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), deren Zahl auf etwa 1500 geschätzt wird.
Der umstrittenste Punkt auf der Tagesordnung war der über die Kommunalwahlen 2001; hierbei ging es nicht einfach um die Gemeinderatswahlen, die im März 2001 in ganz Frankreich stattfinden werden und als Test für Regierung der "pluralen Linken" gelten. Es ging vor allem um das Verhältnis zu LO und um das Ausmaß der politischen Zugeständnisse ihr gegenüber.
Die LCR hatte schon vor längerer Zeit eine erneute gemeinsame Kandidatur der beiden Organisationen vorgeschlagen. Die beiden Leitungen hatten ihre Vorschläge und Positionen in einigen offenen Briefen deutlich gemacht, die eher ihre Differenzen zum Ausdruck brachten.
Dass es zwischen LCR und LO, die beide mit dem Etikett "trotzkistisch" versehen werden, Spannungen gibt, ist nichts Neues: ihr politisches Profil, ihr Verhältnis zu sozialen Bewegungen, ihr internes Funktionieren und nicht zuletzt ihre Analyse der Realität und die daraus abgeleiteten Schwerpunkte der politischen Aktivitäten unterscheiden sich stark voneinander.
Ihr 1999 geschlossenes Bündnis bei den Wahlen zum Europaparlament erhielt 910000 Stimmen und wurde über Frankreich hinaus stark beachtet; relativ problemlos war danach eine gemeinsame Abgeordnetengruppe (drei von LO und zwei von der LCR) gebildet worden. Diese gemeinsame Aktivität hat zu einer gewissen Annäherung, mehr Kontakten und Debatten geführt.
Bei den EP-Wahlen gab es jedoch ein in Frankreich ungewöhnliches Wahlverfahren mit nur einer Runde; die Frage des Verhaltens in den Stichwahlen, zu denen nur noch die beiden bestplazierten KandidatInnen antreten, stellte sich nicht.
Hierüber gibt es zwischen LCR und LO aber traditionell Differenzen: LO setzt die bürgerlichen Rechts- und die grossen Linksparteien mehr oder minder gleich und ruft zur Enthaltung auf; die LCR ruft für Kandidatinnen und Kandidaten der Linken auf, um in den Augen von deren Anhängerschaft nicht am Sieg der Rechten schuld zu sein.
Ein anderer Punkt, an dem die Meinungsverschiedenheiten deutlich werden, bezieht sich auf das Verhältnis zu der nicht parteiförmig organisierten "alternativen Linken" und den linken Strömungen bei den Grünen, in der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) usw. Die LCR möchte Mitglieder von linken Gewerkschaftsströmungen, von Initiativen wie AC!, Ras l‘front, DAL oder regionalen und örtlichen Initiativen auf die Listen nehmen und sie an der Formulierung des Kommunalprogramms beteiligen, während LO zu solchen "nichtproletarischen" Kräften Distanz hält und auf einen zentral ausgehandelten Text Wert legt.
Im Hinblick auf das Verhältnis zu LO hatten sich bei der Vorbereitung des Kongresses in der alten Leitung vier Positionen entwickelt (die nicht mit den bislang traditionell existierenden Tendenzen identisch sind). Zentral ging es um die Frage, welche Bedeutung der Achse LO-LCR gegeben werden soll und ob sich die LCR nicht zu sehr der Politik von LO anpasst und in den sozialen Bewegungen nur noch am Rand tätig ist.
Im Verlauf des Kongresses wurde eine Kompromissresolution gefunden (94%), die unter anderem festlegt: Die LCR wird auf alle Fälle zu den Kommunalwahlen kandidieren, nach Möglichkeit soll hierzu eine landesweite "ausgewogene Übereinkunft" mit LO gefunden werden. Sie soll sowohl die Gemeinsamkeiten herausstellen als auch beiden Seiten zur die Freiheit zur Vertretung ihrer jeweiligen Auffassungen garantieren. Kommt keine Übereinkunft zustande, schlägt der Kongress eine Aufteilung der Gemeinden vor, so dass die beiden Organisationen nicht gegeneinander antreten würden.
Nach dem Kongress der LCR stellte die Leitung von Lutte Ouvrière klar, dass es keine gemeinsame Kampagne geben wird.
Erwähnt sei noch eine andere Debatte: Ein Teil der Mitglieder und der Leitung tritt seit längerem für eine Namensänderung ein, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig wäre. Umstritten ist insbesondere die Bezeichnung "kommunistisch", die in den Augen einiger durch den realen Stalinismus unwiederbringlich diskreditiert ist, während andere dafür eintreten, in einem Land wie Frankreich mit seiner grossen kommunistischen Tradition und in Anbetracht der Identitätskrise der PCF dieses Adjektiv beizubehalten und die Tradition des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung für die Strömung zu reklamieren, die aus der internationalistischen und antistalinistischen Opposition entstanden ist. Der Antrag auf Namensänderung wurde von ca. 60% der Delegierten abgelehnt.

Friedrich Dorn

Weitere Informationen auf http://www.lcr-rouge.org.


zum Anfang