Sozialistische Zeitung |
Keine flog übers Kuckucksnest. Das wäre ein möglicher Alternativtitel für den US-
amerikanischen Film Durchgeknallt, der im amerikanischen Original Girl, Interrupted heißt. Als Vorlage dient das gleichnamige Buch von
Susanna Kaysen, in dem sie ihre Erlebnisse während eines Aufenthalts in der Psychiatrie Ende der 60er Jahre verarbeitete.
Der Film ist im Jahr 1967 angesiedelt, während des berühmten
"summer of love", den viele SoZ-LeserInnen im Gegensatz zum Autor dieser Zeilen, der in diesem Jahr erst 2 Jahre alt war,
vermutlich noch aus eigener Erfahrung kennen. In der Ecke der USA, wo der Film geografisch angesiedelt ist - im Nordwesten - scheint die
neue Zeit aber noch nicht angekommen zu sein. Sie löst bei der konservativ geprägten Bevölkerung eher Irritation oder sogar
Angst aus.
Die Geschichte ist schnell erzählt: 17-jähriges Mädchen
aus gutem Hause leidet unter Depressionen und begeht mit Hilfe von Wodka und Aspirin einen halbherzigen Selbstmordversuch. Die
überbesorgten Eltern, die aber ansonsten weder besonders liebe- noch verständnisvoll sind, verfrachten ihr Töchterchen
mehr oder weniger zwangsweise in die "Klapsmühle". Dort trifft sie echte "Irre" und Personal, von dem man auch
nicht so ganz sicher sein kann, ob es nicht besser zu den PatientInnen wechseln sollte. Das verirrte Töchterchen findet letztlich doch zu
sich selbst oder besser gesagt zurück in die bürgerliche Gesellschaft, in der sie zunächst Buchhändlerin letztlich aber
Autorin werden möchte.
Das Ganze ist mit der Musik von Cat Stevens, Jim Morrison und anderer
Popikonen der 60er Jahre untermalt. Vom angeblich besonders rebellischen Zeitgeist der späten 60er Jahre ist im Film aber nicht viel zu
spüren. Zwar landen die Protagonistinnen während einem ihrer Ausbruchversuche auf einer "wilden" Hippie-Party, wo
alle Hippie-DarstellerInnen sich sehr bemühen, wild und frei zu wirken und viele vermutlich unechte Joints zu rauchen. Es fehlt auch
nicht der sanfte Vollbartträger, der nach Vietnam eingezogen wird, um dort mit Sicherheit zu sterben. Zwar hielten sich 80% der US-
amerikanischen Soldaten in Vietnam in der Etappe auf, aber es ist eine alte "Weisheit" der US-Filmindustrie, dass die Hauptopfer
des Vietnamkriegs nicht etwa die Zivilbevölkerung Vietnams sondern die Soldaten der US-Armee waren.
Auch im Bezug auf die Praktiken in der "Klapse" ist wenig von
Rebellion zu spüren. Whoopi Goldberg darf in ihrer Rolle als Oberschwester wieder einmal den guten Kumpel geben, der manchmal
etwas rauh ist, im Grunde genommen aber das Herz auf dem rechten Fleck hat und permanent mit gutmütigem Knautschgesicht über
seine halbe Brille schielt. Die beiden PsychiaterInnen wirken zwar anfangs etwas merkwürdig, stellen sich aber am Ende als
übermässig verständnisvolle HohepriesterInnen der neuen Religion heraus, die verkündet, dass alle Probleme durch
die richtige Therapie gelöst werden können. Vor allem die Anstaltsleiterin erscheint zum Schluss fast wie eine Heilige.
Nur eine Insassin - Lisa - verkörpert so etwas wie eine Rebellin. Sie
wird sehr intensiv von der Neuentdeckung Angelina Jolie dargestellt, die der einzige Lichtblick - unter den Blinden ist der Einäugige
bekanntlich König - des Films ist. Sie wird nach ihren häufigen Ausbruchversuchen regelmässig in Handschellen
zurück in die Anstalt geschleppt. Aber gerade sie muss sich am Ende des Films von der Hauptperson Susanna (Winona Ryder) sagen
lassen, dass ihr Herz im Grunde genommen schon tot sei. Insgesamt ist Lisa das böse Mädchen, vor dem uns unsere Eltern schon
immer gewarnt haben. Deswegen gehört sie - in der Logik des Films - auch in diese Anstalt.
Das Motto des Films könnte auch lauten: Gute Mädchen
kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen in die Anstalt. So bewegt sich der Film über die 60er Jahre weitgehend im
Mainstream des beginnenden 21.Jahrhunderts, in dem "law and order" und "zero tolerance" gepredigt werden. Er
beschreibt so auch die Wandlung vieler Angehöriger der sog. 68er-Generation, die heute als Minister und sonstige
Würdenträger genau diese Politik exekutieren.
Nachdem dann am Ende die Teenie-Insassinnen noch allerhand
Gefühlskitsch abgelassen haben und die endlich entlassene Hauptperson nur noch ein Problem hat, sie hat ihre Diagnose -
Boarderlinepersönlichkeit - immer noch nicht verstanden, ist der Film dann endlich zu Ende. Als gewissermaßen etwas zu
spät geborener Linker geht man mit dem unguten Gefühl nach Hause, in einer Zeit zu leben, in der Rebellion nicht nur
unterdrückt sondern überhaupt nicht mehr verstanden wird.
Andreas Bodden