Sozialistische Zeitung |
"Die vorrangige Verfolgung sozialer Ziele wie Armutsbekämpfung ist mit dem monetären Mandat des IWF nicht
vereinbar." So wurde der Bundesbankvize Jürgen Stark am 8.April 2000 in der Frankfurter Rundschau zitiert. Warum auch sollte
eine Institution wie der IWF (Internationale Währungsfonds), die etwas verkürzt auch als "Finanzpolizei" bezeichnet
wird, plötzlich karitative Gefühle entwickeln?
Der IWF wurde 1944 zusammen mit der Weltbank und dem Abkommen
GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) geschaffen, um einen reibungslosen Übergang von der Kriegs- zur Friedensproduktion
zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte der freie Zugang zu allen Märkten, der freie Zugang zu allen Rohstoffen und der
Abbau von Zollschranken durchgesetzt werden. Der störungsfreie Welthandel sollte durch ein System von festen Wechselkursen mit dem
Dollar als Leitwährung garantiert werden.
Die Aufgabe des IWF war es, bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten eines
Landes "helfend" einzugreifen, um Störungen der Finanzarchitektur möglichst zu verhindern. Bei anhaltenden
Zahlungsschwierigkeiten verband der IWF neue Kredite mit strengen Auflagen, die weitgehende Auswirkungen auf die Wirtschafts- und
Finanzpolitik der betroffenen Länder haben. Die Sowjetunion beteiligte sich im Übrigen 1944 nicht am IWF, da er für sie ein
Instrument war, um die kapitalistische Wirtschaftsordnung weltweit durchzusetzen.
Seitdem Anfang der 80er Jahre etliche Länder der Dritten Welt ihre
Zahlungsunfähigkeit erklärten, da sie den ständig wachsenden Schuldendienst nicht mehr aufbringen konnten, und einige US-
Banken in Konkurs gingen, wurden immer neue Modelle entwickelt, damit die hochverschuldeten Länder weiterhin ihren Schuldendienst
aufrecht erhalten können. Eine Umschuldung löst seitdem die andere ab, ein Teilschuldenerlass den anderen.
Dies hat jedoch mitnichten dazu geführt, dass die Verschuldung der
Dritten Welt sich verringert oder auch nur gleich geblieben wäre. Im Gegenteil: von 1980 bis 2000 hat sich die Verschuldung der Dritten
Welt auf 2400 Milliarden US-Dollar verfünffacht. Diese Entwicklung ist seit langem absehbar, weil viele Ländern mit ihren
Schuldenzahlungen die Kredite nicht tilgen, sondern allenfalls die Zinsen aufbringen.
Schon seit den 80er Jahren ist diese Schuldenspirale offensichtlich:
"Brasilien bringt von 1970 bis 1986 nicht weniger als 153 Milliarden Dollar für den Schuldendienst auf, 89 Milliarden allein
für die Zinsen. Geliehen hat es sich bis dahin 108 Milliarden Dollar. Würde das Land weiterhin Zinsen zahlen, dann hätten
die Gläubiger in fünf Jahren das Doppelte von dem kassiert, was sie den Brasilianern in 17 Jahren geliehen haben."*
Viele der überschuldeten Staaten sind faktisch zahlungsunfähig.
Der IWF greift mit Umschuldungskonzepten ein, um den Konkurs eines Landes zu vermeiden, vor allem wenn zu befürchten steht, dass die
internationalen Auswirkungen eines solchen Konkurses auch die reichen Gläubigerstaaten beeinträchtigen könnten. Nur in
einem solchen Fall taucht das Thema auch in den hiesigen Medien auf - ansonsten ist über die Auswirkungen der Verschuldung der
Dritten Welt auf hunderte Millionen Menschen weltweit nur selten etwas zu hören und zu lesen.
Selbst ein schlechter Prophet konnte somit nach den Beschlüssen des
Weltwirtschaftsgipfels in Köln im Juni 1999 vorhersehen, dass die mit großen Schlagzeilen angekündigte Entschuldung der
41 hoch verschuldeten armen Länder (HIPC-Länder) mit 70 Milliarden US-Dollar ein Jahr später noch zu keinerlei
Verringerung der Verschuldung dieser Länder geführt haben würde und wohl auch nicht führen wird.
Ungeachtet aller vollmundigen Erklärungen wird lediglich der Teil
der Schulden gestrichen, den die betroffenen Ländern sowieso nicht hätten zurückzahlen können. Außerdem
wurde in den meisten der Gläubigerländer die Entwicklungshilfe um einen Betrag gekürzt, der den erlassenen Betrag noch
übersteigt: So wurde die Entwicklungshilfe der BRD im Bundeshaushalt 2000 um 600 Millionen Mark gekürzt.
Auf dem Weltwirtschaftsgipfel, der in diesem Juli im japanischen Okinawa
stattfand, kündigten die G8-Staaten an, neun Ländern der Dritten Welt 15 Milliarden US-Dollar Schulden zu erlassen. Dieser
Schuldenerlass - wahrscheinlich ebensowenig effektiv wie der Beschluss auf dem Kölner Gipfel vor einem Jahr - soll medienwirksam
die neue Welthandelsrunde begleiten, die auf demselben Gipfel für Ende des Jahres beschlossen wurde. Statt effektiver
Schuldenstreichung soll den armen Ländern jedoch der Internetzugang ermöglicht werden.
Und da mensch vom virtuellen Brot nicht satt wird, spendet die USA
großzügig den 1,2 Milliarden Menschen, die laut UNO täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen, 300
Millionen Dollar aus Ernteüberschüssen, also einen Vierteldollar für jeden Armen.
In Folge der "Schuldeninitiative" des Kölner
Weltwirtschaftsgipfels und der Jahrestagung von IWF und Weltbank 1999 wurde das IWF-Strukturanpassungsprogramm für hoch
verschuldete Länder ESAF (Enhanced Structural Adjustment Facility) kurzerhand in Programm für Armutsverringerung und
Wachstum umbenannt (Poverty Reduction and Growth Facility - PRFG). Bisher hatte sich der IWF mit seinem Stukturanpassungsprogramm
(SAP) auf die Durchsetzung makroökonomischer Ziele beschränkt, die - wie auch im Weltentwicklungsbericht der UNO dargestellt
- nicht armutsverringernd waren, sondern vielmehr die Armut noch erheblich verschärft haben.
Die soziale Abfederung wurde - wenn überhaupt - der Weltbank
überlassen. Mit dem PRFG soll dem schlechten Image der IWF-Auflagenprogramme entgegengewirkt und dem IWF nunmehr auch der
Zugriff auf die Sozialhaushalte und die Sozialpolitik des Landes ermöglicht werden.
Die Umbenennung des IWF-Programms folgt damit einer Logik, wie sie die
Firma Parker vorgemacht hat: Als das Spiel "Risiko" mit seinem Slogan "Erobern Sie 24 Länder Ihrer Wahl" ins
Gerede kam, brachte Parker flugs eine neue Version mit der Spielanweisung "Befreien Sie 24 Länder Ihrer Wahl" auf den
Markt - und schon war der Imageschaden behoben.
Die Südostasienkrise, die drohende Zahlungsunfähigkeit
Russlands sowie die nach wie vor wachsende Verschuldung der Dritten Welt haben selbst bei Verfechtern einer liberalen Weltwirtschaft die
Erkenntnis wachsen lassen, dass gewisse Änderungen und Regelungen der weltweiten Finanzarchitektur vonnöten sind, um das alte
Ziel von Bretton Woods, einen ungestörten Welthandel, weiterhin zu gewährleisten.
Die flüssigen Geldmittel von Konzernen und Banken betragen
inzwischen ein Vielfaches selbst der Staatshaushalte der OECD-Staaten. Der ungehindert boomende nachholende Kapitalismus in den
ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts hat insbesonders die Finanzsektoren durcheinandergebracht, was im Falle Russlands nicht nur
wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch zu gewaltigen politischen Destabilisierungen führen könnte.
Die politische Destabilisierung und der Zerfall Jugoslawiens sind nicht
zuletzt auch auf die Auswirkungen der IWF-Auflagenprogramme für Jugoslawien zurückzuführen. Eine bedingte Regulierung
vor allem im Finanzsektor ist also kein Widerspruch zur bisherigen IWF-Politik, sondern ein ergänzender Bestandteil. Der
Währungsfonds hat also zwei Möglichkeiten der Einflussnahmen, denn sowohl die Kreditvergabe als auch der Schuldenerlass sind
an Bedingungen geknüpft.
Die Forderungen der Gläubiger werden nicht angezweifelt, obschon
die Summe der Schulden- und Zinszahlungen die ursprüngliche Kreditmenge bei weitem übersteigt. Und auch das
"Armutsbekämpfungsprogramm" des IWF, das den in Köln geplanten Teilschuldenerlass begleiten soll, geht von der
Rechtmäßigkeit der Schulden der Dritten Welt aus und dementsprechend auch von der Berechtigung, Bedingungen an ihren Erlass
zu knüpfen.
Aber eine Forderung, die nicht zu Recht besteht, kann nicht unter Auflagen
erlassen werden. Eine auflagenfreie Entschuldung käme dagegen auch oppositionellen Bewegungen entgegen. Bislang verweisen die
Regierungen der verschuldeten Staaten - insbesondere auch Diktatoren und korrupte Eliten - häufig auf die Auflagen des IWF, wenn sie
Kürzungen in Sozialsektor begründen.
Tatsächlich werden sie ja gerade durch die Auflagen des IWF dazu
gedrängt, die Staatsausgaben drastisch zu Lasten der Bevölkerung zu verringern. Eine Schuldenstreichung würde auch den
Basisbewegungen und Gewerkschaften argumentativ Spielräume eröffnen, um die Bevölkerung für ihre sozialen Ziele
zu mobilisieren.
Denn dann könnten sich die Regierungen nicht mehr auf vorgegebene
Auflagen berufen, sondern wären für ihre Politik selbst verantwortlich zu machen. Anstatt einer positiven Bezugnahme auf eine
"Armutsverringerung" (oder Armenverringerung) durch das neue IWF-Programm sollten wir die Forderung der Kampagne Jubilee
South unterstützen, die von den ehemaligen Kolonialstaaten Reparationszahlungen in Milliardenhöhe an die
Entwicklungsländer für jahrhundertelangen Raub, Völkermord, Versklavung und Zerstörung fordern.
Soziale und ökologische Ziele werden bestimmt nicht mit dem IWF
und neoliberalen Regierungen, sondern nur in harten Auseinandersetzungen gegen diese durchgesetzt. Armutsbekämpfung erfordert die
bedingungslose Schuldenstreichung, denn die Schulden sind für die Dritte Welt unbezahlbar, da der Schuldendienst mittlerweile einen
großen Teil der Exporterlöse der Entwicklungsländer auffrisst bzw. diese noch übersteigt und die Bevölkerung
der Südhalbkugel die ursprünglichen Kredite längst zurückgezahlt hat, wenn man die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen bei der Krediterteilung zugrunde legt.
Ein Lösungsansatz zur "Verschuldungskrise" muss
zwangsläufig Partei ergreifen, eine "neutrale" Lösung, die allen Interessen gerecht wird, kann es nicht geben. Und eine
Schuldenstreichung allein wird die Probleme langfristig nicht lösen. Solange das Prinzip des größtmöglichen Gewinns
das politische und ökonomische Handeln bestimmt, werden Menschen und Umwelt nur als Kostenfaktor darin auftauchen. Eine soziale
und ökologische Gesellschaftsordnung entsteht nicht durch die Auflagen von Regierungen, Banken und Konzerne, die sich ansonsten nicht
für soziale Menschenrechte interessieren und zur gigantischen Zerstörung der Lebensgrundlagen beitragen.
Wolfram
Treiber
Anmerkung
*Dieter Boris 1987 in Der Gewerkschafter, in dem er ein weiteres Beispiel
anführt: "Die Schulden aber steigen nun automatisch weiter, immer rasanter. In Jugoslawien hält sich diese Dynamik noch in
Grenzen. 1981 ist es mit 21 Milliarden Dollar verschuldet. In den folgenden 5 Jahren leistet das Land 28,5 Milliarden Dollar an Zins und
Tilgung." Damit konnte die Hauptschuld nur um eine Milliarde Dollar gesenkt werden.