Sozialistische Zeitung |
Mitte Juli wandten sich etwa 80 UnterzeichnerInnen eines Offenen Briefs an den Präsidialrat der PKK,
um ihrer Besorgnis über das Schicksal von 54 KämpferInnen Ausdruck zu verleihen. In Deutschland lebende Familienmitglieder
hatten zuvor die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kontaktiert, da sie über Informationen verfügten, ihre Angehörigen
hätten sich als KritikerInnen von der PKK getrennt und seien bald darauf von loyalen Einheiten verhaftet worden. Andere hielten sich
noch in den Bergen Südkurdistans versteckt. Nun seien sie von Seiten der PKK mit dem Tod bedroht worden.
Den entscheidenden Ausschlag, diese Besorgnis sehr ernst zu nehmen und
sich unverzüglich mit einem Offenen Brief an das höchste Organ der Arbeiterpartei Kurdistans zu wenden, gaben
Äußerungen des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Vorsitzenden selbst. Der hatte in der
Juniausgabe der Parteizeitung Serxwerbun unmissverständlich klar gemacht, was mit den AbweichlerInnen zu geschehen habe.
"Selbstverständlich wird die Entwicklung zeigen, welches
unter Kriegsbedingungen die Gesetze dafür sind," sinnierte Öcalan über die zu verhängenden Strafen. "Ihre
Straftaten sind schwerwiegend, das ist Verrat, innerer Verrat. Was sie gemacht haben, ist ein vollkommener Akt der Liquidation, man
muß strengstens dagegen vorgehen. Kriegsbedingungen sind die kritischsten Zeiten. Von daher müssen die härtesten
Sanktionen angewandt werden … Es ist ein Mangel der Partei, dass sie die Flüchtigen nicht vorher aufgerieben hat" (Serxwerbun
222, S.12-14).
Mit den PDS-Abgeordneten Jelpke und Hübner, dem Öcalan-
Anwalt Eberhard Schulz, den IPPNW-VertreterInnen Prof. Dr.Gottstein und Dr. Pentecker und dem Herausgeber des Kurdistan-Rundbriefs,
Rüdiger Lötzer unterzeichneten 75 weitere Personen einen Offenen Brief, in dem sie den Präsidialrat der PKK aufforderten,
zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Auch die bündnisgrüne Abgeordnete Claudia Roth wandte sich in einem eigenen
Brief an die PKK-Führung.
Die Reaktionen kamen prompt. Die UnterzeichnerInnen des Offenen Briefs
seien Teil eines internationalen Komplotts gegen die Partei, hieß es in den kurdischen Medien, verbunden mit unterschwelligen
Drohungen: "Die Betreiber dieses Komplotts verfolgten das Ziel, die PKK zu zersplittern, indem sie unseren Vorsitzenden
angriffen", erklärte Präsidialratsmitglied Cemil Bayik in Medya-TV am 16.Juli. "Diejenigen, die momentan ihre
Angriffe auf die PKK fortsetzen, werden bald erkennen, mit wem sie es wirklich zu tun haben. Sehr bald werden sie ihren Irrtum und die
Irrealität ihrer Berechnungen einsehen … Nieder mit dem internationalen Komplott und seinen Helfershelfern!"
(Presseerklärung, Präsidialrat vom 14.7.2000.)
Die Inhaftierung von parteiinternen KritikerInnen wird von der PKK
grundsätzlich bestritten und entsprechende Meldungen werden als Verleumdungen abgetan. Zwar sei für Abtrünnige die
"höchste Strafe" gefordert worden, dabei handle es sich jedoch um den Ausschluss aus der Partei. Vor dem Hintergrund von
tätlichen Übergriffen und Drohungen gegen AussteigerInnen hier in Europa erscheint diese Erklärung allerdings wenig
glaubwürdig. Im übrigen seien die KritikerInnen zu Talabanis PUK übergelaufen.
Auch aus den Reihen der deutschen Kurdistan-Solidarität hagelt es
bis heute Proteste gegen die UnterzeichnerInnen. "Der Staat verhaftet und verurteilt, die linken und nationalistischen KritikerInnen
beklagen die ‚Kapitulation bzw. Sinnlosigkeit der neuen Politik. Selbst die Vorwürfe, mit denen Stimmung gegen die PKK
gemacht wird, sind die selben geblieben: parteiinterne Säuberungen … Die VerfasserInnen des offenen Briefs an den Präsidialrat
machten sich nicht einmal die Mühe, die Quellen der Vorwürfe zu benennen", heißt es in einem Schreiben der
Informationsstelle Kurdistan.
Wenn ein Komplott in Sicht ist, darf auch Hans Branscheid, Aktivist in
Kurdistan-Gruppen, nicht fehlen, der alsbald unter der Überschrift "Fame & Fiction" wissen ließ, dass der Brief
den "Verdacht erregt, dass es hier um die Stiftung von Unruhe, Verdacht und Diversion geht, nicht um Tatsachenaufklärung."
Waren die UnterzeichnerInnen wirklich so naiv, sich vor ein Komplott
spannen zu lassen? Oder wurden sie gar, wie die englischsprachige Internetausgabe von Özgür Politika am 5.8. meldet dazu
gezwungen? Ein Blick in die PKK-Zeitschrift Serxwerbun gibt Auskunft. In derselben Ausgabe, in der Öcalan laut über notwendige
Strafmaßnahmen nachdenkt, begründet der Präsidialrat die den KritikerInnen unterstellte Verschwörung mit den
später bestrittenen Festnahmen:
"Der von uns geführte Kampf, die von uns durchgeführten
Festnahmen und die Informationen, die wir bei den Verhören herausbekommen haben, zeigen dies … so werden wir zu einer
Organisation, die jede Art von Komplott besiegt. Selbst wenn einige Agenten und Provokateure in unseren Reihen die Partei von innen
zerstören wollen, werden sie sofort verhaftet … und mit ihnen abgerechnet; wir können jede Art von Liquidatorentum und
sämtliche Probleme auf diese Weise überwinden."
Die UnterzeichnerInnen wurden vom Präsidialrat aufgefordert, selber
nach Südkurdistan zu kommen und sich vor Ort von der Situation zu überzeugen. Seit die Abgeordneten Jelpke und Hübner
diese Einladung angenommen haben, schweigt sich die PKK jedoch über die praktische Realisierung einer Delegationsreise
aus.
Knut Rauchfuss