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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2000, Seite 9

Gefahr für das Asylrecht

Zur Debatte um die Einwanderung

Die mit der Einführung der Greencard erneut entflammte Diskussion um ein Einwanderungsgesetz kreist derzeit im wesentlichen um zwei Punkte:
- Soll die Einwanderung nach Deutschland von der "Nützlichkeit" der Einwanderer abhängen und möglicherweise in Form jährlicher Quoten begrenzt werden?
- In welchem Verhältnis soll ein Einwanderungsgesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, zum Asylrecht und Familiennachzug stehen?
Bundespräsident Johannes Rau hat in seiner "Berliner Rede" dazu aufgerufen, zur Gestaltung der Einwanderung "gut durchdachte, praktikable Konzepte" zu entwickeln. Nur bitte, man dürfe "niemanden überfordern". Denn: "Wir brauchen einen breiten Konsens über Integration und Zuwanderung." Konkreter konnte der Bundespräsident wohl nicht werden. Immerhin, das Asylrecht steht für ihn nicht zur Disposition, im Gegenteil: "Es kann auf keinen Fall dazu kommen, dass man Asyl gegen Einwanderung aufrechnet", sagte Rau im Juni gegenüber dem NDR. Einwanderung sei eigennützig, Asyl hingegen uneigennützig. Schon das geltende Recht führe "in vielen einzelnen Fällen immer wieder zu Entscheidungen, die auch viele von denen für falsch und unvertretbar halten, die im Grundsatz für eine restriktive Asylpraxis eintreten".
Er erhalte viele Briefe von Menschen, die sich gegen die Abschiebung einzelner Flüchtlinge einsetzen. Meistens könne man jedoch wegen des geltenden Gesetzes nicht helfen. "Ich frage mich, ob die Behörden nicht einen größeren Entscheidungsspielraum brauchen, damit sie der jeweils besonderen Situation besser gerecht werden können."
Im Gegensatz zum Bundespräsidenten spricht Otto Schily im Zusammenhang mit Asylsuchenden immer wieder von den "Grenzen der Belastbarkeit"; ihre Zahl solle zugunsten "qualifizierter Zuwanderer" reduziert werden. Damit steht er der CSU näher als den Parteitagsbeschlüssen der SPD. Noch der letzte SPD-Parteitag hatte gefordert, Einwanderung im Rahmen von Quoten möglich zu machen. Das Asylrecht solle dabei unangetastet bleiben, das Arbeitsverbot für Asylbewerber endlich fallen.
Die Einführung der Greencard hatten einige für einen ersten Schritt in diese Richtung gehalten. "Irrtum!", erklärt die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Cornelie Sonntag- Wolgast. Die Greencard bedeute "keinen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik".
Ihr Fraktionskollege Sebastian Edathy sekundierte im Innenausschuss: In Fragen der Zuwanderung dürfe es nur "moderate Schritte" geben, um die Bevölkerung nicht zu überfordern. Vor weiteren Maßnahmen müsse man sich "parteiübergreifend" zumindest in Grundzügen auf eine zukünftige Zuwanderungspolitik geeinigt haben.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, hingegen hat sich von seinem Innenminister abgesetzt und erklärt, die Aufnahme von Flüchtlingen dürfe nicht zu einem Gnadenrecht werden: "Humanität lässt sich nicht quotieren." Konkreter ist auch er nicht geworden.
Der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen betrachtet das Thema Einwanderung und Asyl zwar als seine Herzensangelegenheit, hält sich in der Debatte aber auffallend zurück. 1996 hatte man noch eigene Entwürfe für ein Einwanderungsgesetz mit jährlichen Quoten, in die Asylsuchende und Familiennachzug nicht einbezogen sein sollten, und für ein Niederlassungsrecht mit Rechtsgarantien für die Eingewanderten vorgelegt.
Davon ist jetzt nichts mehr zu hören. Cem Özdemir hat im Juni angekündigt, die Fraktion werde einen neuen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz erarbeiten. Özdemir hält offenbar am Quotengedanken fest, im Innenausschuss bezeichnete er diesen Ansatz für eine "Steuerung der Einwanderung" als richtig. Ansonsten treten die Grünen dafür ein, dass Asyl und Einwanderung scharf voneinander getrennt werden. Konkretere Aussagen gibt es auch hier keine.
Die Union hat endlich begriffen, dass es in Deutschland Einwanderung gibt. Sie ist umgeschwenkt: Ihr Fraktionssprecher Erwin Marschewski erklärte im Innenausschuss, die CDU/CSU müsse über Zuwanderung diskutieren. Wenn es um Details geht, werden derzeit jedoch mindestens drei Positionen innerhalb der Union sichtbar:
- Der für Innenpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach hat im Auftrag von Friedrich Merz ein Diskussionspapier für den Geschäftsführenden Fraktionsvorstand erstellt, das dieser im Juni auf einer Tagung in Luckenwalde beraten hat.
In der später veröffentlichten Luckenwalder Erklärung fordern CDU und CSU, die "Zuwanderungs-, Asyl- und Integrationspolitik" so zu gestalten, dass sie "zu weniger Belastung und zu mehr Bereicherung für unsere Gesellschaft führt". Die Union verlange daher "ein modernes, europakompatibles Konzept" mit einer "Begrenzung der ungesteuerten Zuwanderung von denjenigen, die uns brauchen, um Spielraum für Zuwanderung für diejenigen zu gewinnen, die wir brauchen".
Diese Formulierung verrät, dass die Union ausschließlich Wirtschafts- und Staatsinteressen berücksichtigt sehen will. Außerdem müsse es "ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis von Aufnahme aus humanitären, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen" geben. Die Interessen Deutschlands "müssen dabei selbstverständlich genauso ihren Rang einnehmen" wie die humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Die Union will die Aufnahme von Schutzsuchenden quotieren und von Wirtschafts- und Staatsinteressen abhängig machen.
Bei der Diskussion müsse es auch um "Fragen des Asylrechts und des Asylverfahrens" gehen, erklärte Erwin Marschewski im Innenausschuss. Die Zuwanderungsbegrenzung dürfe "nicht vor dem Grundgesetz halt machen." Im Klartext: die Union will in diesem Punkt das Grundgesetz brechen.
- Anderen Kräften in der CDU - z.B. dem baden- württembergischen Generalsekretär Volker Kauder - und der CSU ist die Luckenwalder Position schon zu radikal.
CSU-Generalsekretär Thomas Goppel hat erklärt: "Wir brauchen nach wie vor eine Begrenzung der Zuwanderung." Die Interessen der Wirtschaft und der Gesellschaft müssten im Vordergrund stehen. Hierfür und für die "Harmonisierung in Europa" "muss das Asylrecht im Grundgesetz geändert und neu gestaltet werden".
- Eine kleine Minderheit um Geißler, Süssmuth und Schwarz- Schilling setzt sich weiterhin für den Schutz der Flüchtlinge oder zumindest einiger Flüchtlingsgruppen ein. Sie findet aber in Partei und Fraktion offenbar immer weniger Gehör.
Interessant ist die ständige Bezugnahme von Bosbach, Goppel & Co. auf die Äußerung Schilys, "das Boot [sei] voll", die "Grenze der Belastbarkeit erreicht". Schily hat einem Bericht der FAZ zufolge positiv auf das Bosbach-Papier geantwortet: "die darin enthaltenen Positionen zu Deutschland als Einwanderungsland und zum Nutzen der Zuwanderung seien begrüßenswert und böten eine gute Grundlage für eine Mitarbeit der Union in der beabsichtigten Sachverständigenkommission".
Die FDP versucht mit wachsendem Erfolg, über die Einwanderungsdiskussion ihre öffentliche Präsenz zu stärken. Sie will die Festlegung eine jährlichen Höchstgrenze für die Zuwanderung nach Deutschland. Diese Quote soll von einer Expertenkommission bestimmt werden, die aus Vertretern der Bundesregierung, des Bundestags, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände besteht. Auf die Quote sollen auch Asylbewerber, andere Flüchtlinge, Aussiedler und nachziehende Familienangehörige angerechnet werden.
FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ließ im Innenausschuss die Katze aus dem Sack: Seiner Partei gehe es um die "internationale Wettbewerbsfähigkeit" Deutschlands "sowie darum, die Zuwanderung nicht nur zu steuern, sondern auch an wohlverstandenen nationalen Interessen auszurichten". Nur was gut für die Wirtschaft ist, ist auch gut für Deutschland. Dabei hat sie in erster Linie die exportorientierten Wirtschaftszweige im Auge, die sich auf dem globalen Markt behaupten müssen.
In den Bundestagsdebatten warf Westerwelle den anderen Parteien vor, ihr Verhalten sei im wesentlichen von Taktik geprägt.
Die PDS nahm er ausdrücklich aus: Diese verfolge "einen anderen sachlichen Ansatz". Wo er Recht hat, hat er Recht: Die PDS hält überhaupt nichts von Quoten. Ihr Parteiprogramm fordert eine "offene und tolerante Gesellschaft, die allen hier lebenden und arbeitenden Menschen und jenen, die hier leben und arbeiten wollen, gleiche materielle und soziale Bedingungen und gleiche demokratische Grundrechte einräumt". Unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus sollen alle Bewohnerinnen und Bewohner des deutschen Staatsgebiets gleich behandelt werden.
Ein ausführliches Positionspapier der BAG Antirassismus beim PDS-Parteivorstand kritisiert die derzeitige Einwanderungsdiskussion als in Wirklichkeit eine "Einwanderungsbegrenzungsdiskussion": "Weniger Armutsmigranten, mehr Hochqualifizierte ist ihre gemeinsame Devise" (siehe SoZ 13/00). Die BAG fordert "ein dauerhaftes Niederlassungsrecht für die Menschen, die zu uns kommen, und volle staatsbürgerliche Rechte, völlige Abschaffung des Blutrechts". "Wir lehnen jedes Einwanderungsgesetz, das die Einwanderung allein an den Interessen der Wirtschaft ausrichten will und das deshalb das Asylrecht, das Recht auf Familiennachzug und die Zahl der Aussiedler begrenzen will, ab."
In der Diskussion sind auch die Stimmen der Wissenschaftler nicht zu vergessen. Sie haben schon vor Jahren im "Manifest der 60" darauf hingewiesen, dass die weltweiten Wanderungs- und Fluchtbewegungen "individuelle und gesellschaftliche Antworten auf politische, ökonomische und ökologische Krisensituationen" darstellen. Im "globalen Dorf" kann man sich nicht mehr damit begnügen, den eigenen nationalen Gartenzaun immer höher zu ziehen.
Erforderlich ist eine kohärente Politik mit einem klaren Konzept. Diese muss dazu beitragen, dass die Krisen und Nöte, die die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen, beseitigt werden.
Die Flüchtlings- und Migrationsbewegung darf jetzt nicht abwarten. Jetzt muss sie ihre eigenen Positionen deutlich machen und für sie werben.
Pro Asyl, Amnesty International und einige andere Verbände wollen in den nächsten Monaten eine Kampagne starten und auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zum Schutz für Flüchtlinge hinweisen. An der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen Völkerrechtsinstrumenten darf dieses Land nicht vorbeikommen! Flüchtlingsschutz ist nicht quotierbar und steht nicht zur tagespolitischen Disposition!
Migranten sind in der Einwanderungskommission so gut wie nicht vertreten. Um so wichtiger ist es, dass sie ihre eigenen Interessen und Positionen in die Öffentlichkeit tragen. Sonst wird wieder einmal eine Debatte ohne die Betroffenen geführt.

Stefan Keßler

Stefan Keßler arbeitet im Rahmen eines Werkvertrags an einem einwanderungspolitischen Eckpunktepapier für die PDS- Fraktion im Bundestag.



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