Sozialistische Zeitung |
Die mit der Einführung der Greencard erneut entflammte Diskussion um ein Einwanderungsgesetz kreist
derzeit im wesentlichen um zwei Punkte:
- Soll die Einwanderung nach Deutschland von der
"Nützlichkeit" der Einwanderer abhängen und möglicherweise in Form jährlicher Quoten begrenzt werden?
- In welchem Verhältnis soll ein Einwanderungsgesetz zur Aufnahme
von Flüchtlingen, zum Asylrecht und Familiennachzug stehen?
Bundespräsident Johannes Rau hat in seiner "Berliner
Rede" dazu aufgerufen, zur Gestaltung der Einwanderung "gut durchdachte, praktikable Konzepte" zu entwickeln. Nur bitte,
man dürfe "niemanden überfordern". Denn: "Wir brauchen einen breiten Konsens über Integration und
Zuwanderung." Konkreter konnte der Bundespräsident wohl nicht werden. Immerhin, das Asylrecht steht für ihn nicht zur
Disposition, im Gegenteil: "Es kann auf keinen Fall dazu kommen, dass man Asyl gegen Einwanderung aufrechnet", sagte Rau im
Juni gegenüber dem NDR. Einwanderung sei eigennützig, Asyl hingegen uneigennützig. Schon das geltende Recht führe
"in vielen einzelnen Fällen immer wieder zu Entscheidungen, die auch viele von denen für falsch und unvertretbar halten, die
im Grundsatz für eine restriktive Asylpraxis eintreten".
Er erhalte viele Briefe von Menschen, die sich gegen die Abschiebung
einzelner Flüchtlinge einsetzen. Meistens könne man jedoch wegen des geltenden Gesetzes nicht helfen. "Ich frage mich, ob
die Behörden nicht einen größeren Entscheidungsspielraum brauchen, damit sie der jeweils besonderen Situation besser
gerecht werden können."
Im Gegensatz zum Bundespräsidenten spricht Otto Schily im
Zusammenhang mit Asylsuchenden immer wieder von den "Grenzen der Belastbarkeit"; ihre Zahl solle zugunsten
"qualifizierter Zuwanderer" reduziert werden. Damit steht er der CSU näher als den Parteitagsbeschlüssen der SPD.
Noch der letzte SPD-Parteitag hatte gefordert, Einwanderung im Rahmen von Quoten möglich zu machen. Das Asylrecht solle dabei
unangetastet bleiben, das Arbeitsverbot für Asylbewerber endlich fallen.
Die Einführung der Greencard hatten einige für einen ersten
Schritt in diese Richtung gehalten. "Irrtum!", erklärt die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Cornelie Sonntag-
Wolgast. Die Greencard bedeute "keinen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik".
Ihr Fraktionskollege Sebastian Edathy sekundierte im Innenausschuss: In
Fragen der Zuwanderung dürfe es nur "moderate Schritte" geben, um die Bevölkerung nicht zu überfordern. Vor
weiteren Maßnahmen müsse man sich "parteiübergreifend" zumindest in Grundzügen auf eine
zukünftige Zuwanderungspolitik geeinigt haben.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz,
hingegen hat sich von seinem Innenminister abgesetzt und erklärt, die Aufnahme von Flüchtlingen dürfe nicht zu einem
Gnadenrecht werden: "Humanität lässt sich nicht quotieren." Konkreter ist auch er nicht geworden.
Der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen betrachtet das
Thema Einwanderung und Asyl zwar als seine Herzensangelegenheit, hält sich in der Debatte aber auffallend zurück. 1996 hatte
man noch eigene Entwürfe für ein Einwanderungsgesetz mit jährlichen Quoten, in die Asylsuchende und Familiennachzug
nicht einbezogen sein sollten, und für ein Niederlassungsrecht mit Rechtsgarantien für die Eingewanderten vorgelegt.
Davon ist jetzt nichts mehr zu hören. Cem Özdemir hat im Juni
angekündigt, die Fraktion werde einen neuen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz erarbeiten. Özdemir hält offenbar
am Quotengedanken fest, im Innenausschuss bezeichnete er diesen Ansatz für eine "Steuerung der Einwanderung" als richtig.
Ansonsten treten die Grünen dafür ein, dass Asyl und Einwanderung scharf voneinander getrennt werden. Konkretere Aussagen gibt
es auch hier keine.
Die Union hat endlich begriffen, dass es in Deutschland Einwanderung gibt.
Sie ist umgeschwenkt: Ihr Fraktionssprecher Erwin Marschewski erklärte im Innenausschuss, die CDU/CSU müsse über
Zuwanderung diskutieren. Wenn es um Details geht, werden derzeit jedoch mindestens drei Positionen innerhalb der Union sichtbar:
- Der für Innenpolitik zuständige stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach hat im Auftrag von Friedrich Merz ein Diskussionspapier für den
Geschäftsführenden Fraktionsvorstand erstellt, das dieser im Juni auf einer Tagung in Luckenwalde beraten hat.
In der später veröffentlichten Luckenwalder Erklärung
fordern CDU und CSU, die "Zuwanderungs-, Asyl- und Integrationspolitik" so zu gestalten, dass sie "zu weniger Belastung
und zu mehr Bereicherung für unsere Gesellschaft führt". Die Union verlange daher "ein modernes, europakompatibles
Konzept" mit einer "Begrenzung der ungesteuerten Zuwanderung von denjenigen, die uns brauchen, um Spielraum für
Zuwanderung für diejenigen zu gewinnen, die wir brauchen".
Diese Formulierung verrät, dass die Union ausschließlich
Wirtschafts- und Staatsinteressen berücksichtigt sehen will. Außerdem müsse es "ein vernünftiges, ausgewogenes
Verhältnis von Aufnahme aus humanitären, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen" geben. Die Interessen
Deutschlands "müssen dabei selbstverständlich genauso ihren Rang einnehmen" wie die humanitären und
völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Die Union will die Aufnahme von Schutzsuchenden quotieren und von
Wirtschafts- und Staatsinteressen abhängig machen.
Bei der Diskussion müsse es auch um "Fragen des Asylrechts
und des Asylverfahrens" gehen, erklärte Erwin Marschewski im Innenausschuss. Die Zuwanderungsbegrenzung dürfe
"nicht vor dem Grundgesetz halt machen." Im Klartext: die Union will in diesem Punkt das Grundgesetz brechen.
- Anderen Kräften in der CDU - z.B. dem baden-
württembergischen Generalsekretär Volker Kauder - und der CSU ist die Luckenwalder Position schon zu radikal.
CSU-Generalsekretär Thomas Goppel hat erklärt: "Wir
brauchen nach wie vor eine Begrenzung der Zuwanderung." Die Interessen der Wirtschaft und der Gesellschaft müssten im
Vordergrund stehen. Hierfür und für die "Harmonisierung in Europa" "muss das Asylrecht im Grundgesetz
geändert und neu gestaltet werden".
- Eine kleine Minderheit um Geißler, Süssmuth und Schwarz-
Schilling setzt sich weiterhin für den Schutz der Flüchtlinge oder zumindest einiger Flüchtlingsgruppen ein. Sie findet aber in
Partei und Fraktion offenbar immer weniger Gehör.
Interessant ist die ständige Bezugnahme von Bosbach, Goppel &
Co. auf die Äußerung Schilys, "das Boot [sei] voll", die "Grenze der Belastbarkeit erreicht". Schily hat
einem Bericht der FAZ zufolge positiv auf das Bosbach-Papier geantwortet: "die darin enthaltenen Positionen zu Deutschland als
Einwanderungsland und zum Nutzen der Zuwanderung seien begrüßenswert und böten eine gute Grundlage für eine
Mitarbeit der Union in der beabsichtigten Sachverständigenkommission".
Die FDP versucht mit wachsendem Erfolg, über die
Einwanderungsdiskussion ihre öffentliche Präsenz zu stärken. Sie will die Festlegung eine jährlichen
Höchstgrenze für die Zuwanderung nach Deutschland. Diese Quote soll von einer Expertenkommission bestimmt werden, die aus
Vertretern der Bundesregierung, des Bundestags, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände besteht. Auf die Quote sollen auch
Asylbewerber, andere Flüchtlinge, Aussiedler und nachziehende Familienangehörige angerechnet werden.
FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ließ im
Innenausschuss die Katze aus dem Sack: Seiner Partei gehe es um die "internationale Wettbewerbsfähigkeit" Deutschlands
"sowie darum, die Zuwanderung nicht nur zu steuern, sondern auch an wohlverstandenen nationalen Interessen auszurichten". Nur
was gut für die Wirtschaft ist, ist auch gut für Deutschland. Dabei hat sie in erster Linie die exportorientierten Wirtschaftszweige
im Auge, die sich auf dem globalen Markt behaupten müssen.
In den Bundestagsdebatten warf Westerwelle den anderen Parteien vor, ihr
Verhalten sei im wesentlichen von Taktik geprägt.
Die PDS nahm er ausdrücklich aus: Diese verfolge "einen
anderen sachlichen Ansatz". Wo er Recht hat, hat er Recht: Die PDS hält überhaupt nichts von Quoten. Ihr Parteiprogramm
fordert eine "offene und tolerante Gesellschaft, die allen hier lebenden und arbeitenden Menschen und jenen, die hier leben und arbeiten
wollen, gleiche materielle und soziale Bedingungen und gleiche demokratische Grundrechte einräumt". Unabhängig von der
Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus sollen alle Bewohnerinnen und Bewohner des deutschen Staatsgebiets gleich behandelt
werden.
Ein ausführliches Positionspapier der BAG Antirassismus beim
PDS-Parteivorstand kritisiert die derzeitige Einwanderungsdiskussion als in Wirklichkeit eine
"Einwanderungsbegrenzungsdiskussion": "Weniger Armutsmigranten, mehr Hochqualifizierte ist ihre gemeinsame
Devise" (siehe SoZ 13/00). Die BAG fordert "ein dauerhaftes Niederlassungsrecht für die Menschen, die zu uns kommen, und
volle staatsbürgerliche Rechte, völlige Abschaffung des Blutrechts". "Wir lehnen jedes Einwanderungsgesetz, das die
Einwanderung allein an den Interessen der Wirtschaft ausrichten will und das deshalb das Asylrecht, das Recht auf Familiennachzug und die
Zahl der Aussiedler begrenzen will, ab."
In der Diskussion sind auch die Stimmen der Wissenschaftler nicht zu
vergessen. Sie haben schon vor Jahren im "Manifest der 60" darauf hingewiesen, dass die weltweiten Wanderungs- und
Fluchtbewegungen "individuelle und gesellschaftliche Antworten auf politische, ökonomische und ökologische
Krisensituationen" darstellen. Im "globalen Dorf" kann man sich nicht mehr damit begnügen, den eigenen nationalen
Gartenzaun immer höher zu ziehen.
Erforderlich ist eine kohärente Politik mit einem klaren Konzept.
Diese muss dazu beitragen, dass die Krisen und Nöte, die die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen, beseitigt werden.
Die Flüchtlings- und Migrationsbewegung darf jetzt nicht abwarten.
Jetzt muss sie ihre eigenen Positionen deutlich machen und für sie werben.
Pro Asyl, Amnesty International und einige andere Verbände wollen
in den nächsten Monaten eine Kampagne starten und auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zum Schutz für
Flüchtlinge hinweisen. An der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen Völkerrechtsinstrumenten darf dieses Land nicht
vorbeikommen! Flüchtlingsschutz ist nicht quotierbar und steht nicht zur tagespolitischen Disposition!
Migranten sind in der Einwanderungskommission so gut wie nicht
vertreten. Um so wichtiger ist es, dass sie ihre eigenen Interessen und Positionen in die Öffentlichkeit tragen. Sonst wird wieder einmal
eine Debatte ohne die Betroffenen geführt.
Stefan Keßler