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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2000, Seite 12

Millau: Roquefort für alle

Die Monate Juni/Juli waren von einer Reihe bedeutender Mobilisierungen gegen die Folgen des Freihandels, der Globalisierung und der Politik von IWF, WB und WTO gekennzeichnet.
Jede dieser Mobilisierungen war zugleich ein Schritt vorwärts im Prozess der zunehmenden internationalen Vernetzung, der darauf ausgerichtet ist, internationale Informationspools und internationale Handlungsfähigkeit zu erreichen. Genf, Millau und Okinawa waren die Stationen, die auf Seattle, Bangkok und Washington folgten…
Am 30.Juni und 1.Juli fand in Millau, einer Kleinstadt auf dem Plateau Larzac im französischen Zentralmassiv, der Prozess gegen den Vorsitzenden des französischen Bauernverbands Confédération Paysanne, José Bové, und neun seiner Mitstreiter statt. Sie wurden beschuldigt, ein Jahr zuvor mit ihren Traktoren eine in Bau befindliche McDonald‘s-Bude demoliert zu haben.
Der Konzern hatte 218000 Mark Schadenersatz geltend gemacht - ein bisschen viel für eine Baustelle, fanden nicht nur die Angeklagten. Dann wurde Bové noch mit dem Satz zitiert, "McDonald‘s werde so oft zerstört werden wie nötig, erforderlichenfalls mit einer Bombe". Die Kläger versuchten daraus einen Terrorismusvorwurf zu konstruieren.
Die Bauern verteidigten sich politisch: Sie leugneten nicht die handfeste Aktion, wohl aber die Höhe des Schadens. An jenem 12.August 1999 seien 300 Bauern aus der Umgebung zu einer friedlichen, kämpferischen Bürgerdemonstration zusammengekommen.
"Sie sprechen von einer friedlichen Aktion", wandte der Richter ein. "Aber wie kann das sein, wenn Sie mit Schraubenziehern, Brecheisen und Kreissäge angerückt sind?" "Hätten wir wirklich alles in Stücke hauen wollen, wären wir mit Baggern gekommen", entgegnete Bové.
"Unsere Aktion war friedlich, weil sie mit offenem Visier durchgeführt wurde, im Beisein unserer Familien und Kinder und nach ordnungsgemäßer Benachrichtigung der Behörden." "Herr Präsident, wir leben in einem rechtsfreien Raum, weil wir gegen die WTO und die Besteuerung des Roqueforts machtlos sind."
Was sind schon abgetragene Dächer, verschmierte Wände, aufgebrochene Schlösser, durchgetrennte Kabel gegen zerstörte bäuerliche Existenzen, manipu lierte Lebensmittel, vergeudete Milliarden?

WTO-Kolonialismus

Die Bauern auf dem Plateau Larzac sind Schafzüchter der besonderen Art: Sie stellen den Roquefort her, eine der teuersten Käsesorten und Markenzeichen der gehobenen französischen Küche. Die USA haben in einem Racheakt gegen die EU und deren Importverbot für hormonbelastetes Rindfleisch die Einfuhr des Käses mit 100% Steuern belegt.
Bové stellte die Aktion der Bauern in eine antikolonialistische Tradition. "Während des indischen Unabhängigkeitskriegs plünderten Gandhi und die Nationalisten ein Salzlager der Kolonialherren. Dafür bekamen sie zehn Jahre Gefängnis. Heute bezeichnet man das als eine gewaltfreie Aktion." "Eine supranationale Organisation, die WTO, fasst Beschlüsse, die unser Alltagsleben betreffen, ohne eine politische Debatte. Diese Logik, dass die Bürger nicht mehr über ihre Ernährung entscheiden können, muss man denunzieren."
Bové führt keinen protektionistischen Kampf. Sechzehn Zeugen, Bauern aus Afrika, Südamerika, Asien, Ozeanien, hat er aufgefahren, die mit einer Stimme die zerstörerischen Folgen der Freihandelspolitik vor dem Gericht ausbreiten. Sie mussten alle zugelassen werden.
Die öffentlich bekundete Solidarität für die Bauern war überwältigend. Vor dem Gerichtsgebäude hielten sich ständig 2000-3000 Menschen auf, die in Sprechchören die Blindheit der Justiz anklagten. Dem Aufruf zur Demonstration unter dem Motto "Die Welt ist keine Ware" folgten ca. 30000 Menschen, abends am Konzert nahmen 45000 teil.
Alles was an sozialen Bewegungen, linken Parteien und fortschrittlicher Intelligenz in Frankreich Rang und Namen hat, nahm an diesem "Woodstock gegen die Globalisierung" oder auch "Seattle-sur- Tarn" teil. 400 Busse und zwei Sonderzüge waren eingesetzt worden.
Susan George, Vandana Shiva und Lori Wallach überbrachten die solidarischen Grüße der weltweiten Bewegung gegen die WTO, CGT und die SUD-Gewerkschaften solidarisierten sich, ebenso die demokratische Vereinigung der Richter, die Liga für Menschenrechte und viele andere Verbände und Einrichtungen.
Aus Deutschland verirrten sich nur wenige an diesen traditionsreichen Ort, darunter immerhin Jürgen Hinzer, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in Frankfurt am Main, der nach Millau gekommen war, um die solidarischen Grüße der NGG zu übermitteln.
Die breite und auch von den Medien stark beachtete Unterstützung blieb nicht ohne Erfolg: Der Geschäftsleiter von McDonald‘s zog im Verlauf des Prozesses seine Nebenklage zurück - "um zu verhindern, dass das Medienecho noch größer wird, aber auch unter dem Druck der Behörden".

Gesundheit

Bové war auch in Seattle gewesen und hatte dort den Protest gegen den Zwang zur exportorientierten Landwirtschaft (siehe Interview auf dieser Seite) verbunden mit dem Protest gegen die neue Freihandelsdiktatur und der Werbung für eine qualitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion: Die Demonstranten, die die WTO-Versammlung belagerten, versorgte er mit eingeschmuggeltem Roquefort und führte ihnen damit vor Augen, dass die schrankenlose Produktion für den Weltmarkt nicht nur wirtschaftliche Existenzen und die Eigenversorgung einer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zerstört, sondern minderwertige Lebensmittel sowie eine zerstörte Umwelt und Gesundheit hervorbringt.
Für die eingewanderten Vorstadtjugendlichen, die in Millau angereist waren, um die beliebte Musikgruppe "Zebda" zu hören, liegt dieser Zusammenhang alles andere als auf der Hand. Für sie ist Roquefort, der Käse, der drei Jahre lang bei konstanten 10 Grad in den Felsenhöhlen des Larzac reift wie ein guter Wein, unerschwinglich; zu McDonald‘s gehen sie alle.
Es ist ein sozialer und kultureller Graben zu überwinden, um sie davon zu überzeugen, dass Großstadtkinder ein gemeinsames Interesse mit Bauern, Gewerkschaften und internationalistischen Bewegungen verbindet.
"Die zentrale Frage ist die der schlechten Ernährung; wir haben zu lange nur die Produktionsbedingungen kritisch betrachtet, nicht den Konsum. Wir sind so städtisch", sagt der Musiker Moustafa Amokrane einer der anwesenden französischen Tageszeitungen.
Ihn beruhigt, dass Bovés Verband nicht korporatistisch argumentiert. Das liegt auch daran, dass sie ihn und seine engeren Vertrauten seit Jahren kennen - aus Antifazusammenhängen, aus der antimilitaristischen Arbeit gegen die Erweiterung eines Militärcamps auf dem Larzac, aus den Antiatomprotesten in Malville. Beim großen Eisenbahnerstreik 1995 hatte Bovés Verband zu einem Festessen im Bahnhof von Millau Lamm und Roquefort beigesteuert.
Nach Seattle sieht Bové ein Weltbürgertum heranwachsen, das alle anspricht, weil alle mit demselben Problem konfrontiert sind: "wie die Politik den Handel beherrscht".
"Der Gegengipfel, das sind die Generalstände, der Sturm auf das Sheraton die Einnahme der Bastille, jetzt muss eine Konstituante geschaffen werden. Wir haben weniger als ein Jahr, um hier Fortschritte zu machen." Das sagte er einer französischen Tageszeitung im Dezember 1999.
Bové wurde zu zehn Monaten Gefängnis, davon neun auf Bewährung, verurteilt, seine Mitstreiter zu drei Monaten auf Bewährung.

Angela Klein


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