Sozialistische Zeitung |
Ende September wird der ÖTV-Hauptvorstand eine, wie es heißt, grundsätzliche
Entscheidung im Prozess zur Etablierung der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) treffen. Diese Entscheidung soll nach dem
Willen der ver.di-Befürworter dann im November vom Gewerkschaftstag abgesegnet werden. Mitte Juli hatte der ÖTV-
Hauptvorstand, er besteht aus sieben Personen, vorgegeben, dass bis zum 15.September nur noch eine Diskussion über
grundsätzliche Punkte zur Satzung und die Budgetierungsrichtlinien zugelassen sind. Die bisherige Diskussion, und das trifft für alle
Gewerkschaften zu, die in ver.di aufgehen sollen, wurde nicht intensiv und tiefgreifend in der Mitgliedschaft geführt, sondern wurde unter
Hauptamtlichen und dem Funktionärsapparat auf der ehrenamtlichen Ebene höchstens bis zur Vertrauensleutebasis, soweit
überhaupt vorhanden, geführt. Eine Ausnahme war die GEW, und die hat sich vor einiger Zeit von ver.di verabschiedet.
Im Vordergrund für die Schaffung von ver.di standen die Vereinfachung der
Mitgliederverwaltung und effizientere Finanzierungsmöglichkeiten. Konfliktorientierte Durchsetzungsstrategien zur Wahrung der
Interessen von Mitgliedern und der Arbeitnehmerschaft insgesamt gegenüber Kapital und Regierung fehlen völlig. So ist es nicht
verwunderlich, wenn jetzt noch immer Satzungs- und Finanzfragen die Diskussion beherrschen. Während der Tarifrunde in diesem Jahr
ist deutlich geworden, dass große Teile von Funktionären und Gewerkschaftsbasis bis weit hinein in den hauptamtlichen Bereich
unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit fand ihren Ausdruck in der Ablehnung des Schlichterspruchs zur Tarifeinigung durch die Basis von
ÖTV und DAG. Die Bundesjugendkonferenz der ÖTV fordert den Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit. Der Antrag
wird dem Gewerkschaftstag im November vorliegen. Das sich dies auf dem bevorstehenden Gewerkschaftstag im November auch gegen die
Befürworter um den Vorsitzenden Herbert May richtet, liegt auf der Hand.
Die Auseinandersetzungen um ver.di werden jetzt auch in der Öffentlichkeit
geführt. Da schreibt Gerold Schaub, hessischer Bezirksleiter und May-Nachfolger in diesem Amt, einen langen Artikel in der Frankfurter
Rundschau. May tritt im Fernsehen auf, Hartmut Limbeck, ÖTV-Bezirksleiter in NRW II, kommt in der FAZ zu Wort. Bei der Flucht in
die Medien bleibt die innergewerkschaftliche Demokratie auf der Strecke. Sie ist auch Indikator dafür, dass es bisher keinen wirklich
demokratischen Diskussionsprozess gegeben hat. Warum würde man sonst auch die Medien für die Diskussion benutzen?
Spätestens auf dem Gewerkschaftstag wird sich herausstellen, ob es der Opposition, die sich im Verlauf der ÖTV/GAG-Tarifrunde
bemerkbar gemacht hat, gelingt, einen Schritt vorwärts zu tun oder ob die jetzige Führungsriege sich wieder einmal, wie in
verbürokratisierten Massenorganisationen üblich, mit administrativen Entscheidungen durchsetzt.