Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2000, Seite 4

Zensurversuche

Kritik an Lageberichten unerwünscht

"Kritische Beiträge muss eine Regierung aushalten", meint die stellvertretende Pressechefin des Auswärtigen Amts (AA). Doch der bisweilen joviale Ton des nun von Josef Fischer geleiteten Amts kann schnell umschlagen. Das musste auch Albrecht Kieser erleben, dessen Hörfunkbeitrag "Asylrecht und Diplomatie - die Lageberichte des Auswärtigen Amts" im Mai der Deutschlandfunk ausstrahlte. Knapp zwei Wochen später erging ein Schreiben der Presseabteilung an die zuständige Redaktion, in dem das Amt fordert, "zukünftig ähnlich einseitige und unausgewogene Berichte wie die von Herrn Kieser" zu vermeiden.
Die streng vertraulichen Lageberichte des AA dienen den Verwaltungsgerichten als Entscheidungsgrundlage bei Asylanträgen. SoZ-Autor Kieser hat die Berichte über den Kosovo, die Türkei und den Irak kritisch unter die Lupe genommen. "Eine derartige Abwehrhaltung gegen kritisches Nachfragen habe ich in meiner bisherigen Arbeit noch nicht erlebt", kommentiert der seit vielen Jahren tätige Journalist das Informationsgebahren des Amtes.
Auch dem grünen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ludger Vollmer, sind die existentiellen Auswirkungen der Lageberichte bewusst, und er bemängelt, dass es "der alten Regierung" mit den Lageberichten "letztlich um eine Abschottungspolitik" ging. Grund genug für Kieser, diese Aussagen und die nach Angaben des AA bereits im Sommer 1999 durchgeführte "umfangreiche Reform seiner Lageberichte" zu überprüfen.
Im Ergebnis konnte der Journalist "trotz der kritischen Äußerungen Vollmers" keinen "erkennbaren Bruch mit der bisherigen Praxis" erkennen. Das AA konterte und behauptete, der Bericht enthalte "eine Vielzahl von falschen Behauptungen und Unrichtigkeiten".
Besonders empfindlich reagierte das AA auf Kiesers Feststellung, dass es noch im November 1998 Abschiebungen in den Kosovo "empfohlen" hätte. Diese "Behauptung" sei "falsch", denn das AA spreche "grundsätzlich keine ‚Empfehlungen‘ aus. Vielmehr enthielten die Lageberichte "lediglich eine objektive Beschreibung der abschieberelevanten Lage vor Ort". Zudem beruft sich das Amt auf das damalige Flugverbot nach Jugoslawien, was einen "faktischen Abschiebestopp" darstelle.
Tatsächlich beinhaltet der Kosovo-Lagebericht vom 18.November 1998 eine "inländische Fluchtalternative". "Nur weil es diese Einschätzung gab, konnten die für die Abschiebung zuständigen Behörden Abschiebungen vornehmen", erläutert Kieser. Zwar seien keine Abschiebungen auf dem Luftweg, jedoch auf dem Landweg bis 1999 hinein u.a. von der Bayerischen Landesregierung organisiert worden - unter Berufung auf den Lagebericht des AA.
Auch in den Irak "empfehle" das AA keine Abschiebungen, so die Pressestelle. Doch die Aussage des Lageberichts, dass im Nordirak "Flüchtlinge und Einheimische weitgehend Schutz vor dem Zugriff der Bagdader Sicherheitsdienste genießen" ist auch hier Entscheidungsgrundlage der Verwaltungsgerichte.
Die geäußerte Aufforderung des AA an den Deutschlandfunk, solche Berichte künftig zu vermeiden, kann Kieser "nur als Zensurversuch interpretieren". Seinem Anliegen jedoch, dass sich der "Deutschlandfunk gegen solches Ansinnen in aller Deutlichkeit und öffentlich" verwahren solle, wird die Rundfunkanstalt nicht nachkommen.
Obwohl Kieser berichtete, dass sich die Redaktion hinter die Grundaussage seines Beitrags gestellt hatte, erklärt der Redaktionleiter, bei dieser Angelegenheit handele es sich um eine "offizielle Auseinandersetzung zwischen dem Autor und dem AA". Der Pressesprecher des Deutschlandfunks spricht von "falschen Inhalten". Ohne direkten Bezug auf den Bericht Kiesers, der mit einer anderen Sendung für den Deutschlandfunk einen Medienpreis der Internationalen Journalistenförderation gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gewonnen hatte, sollten "die Fehler durch einen weiteren Beitrag wieder ins richtige Licht" gerückt werden.
Das dürfte ein schwieriges Unterfangen werden, wenn dabei kein "einseitiger und unausgewogener" Bericht zugunsten des AA herauskommen soll. Denn der jüngste Lagebericht zum Irak, bei dem sich das AA entsprechend seiner vielgepriesenen "Reform" erstmals vor der Erstellung mit Menschenrechtsorganisationen besprochen hatte, ist abermals in die Kritik geraten.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, die an diesem Gespräch beteiligt war, ist enttäuscht. Es gebe "eine ernüchternde Kontinuität der Tradition der Irak-Lageberichte der Ära Kinkel", das Irak-Dossier sei "beschönigend" und versäume es weitgehend, "Daten und Material über die Situation im kurdischen Nordirak vorzulegen", denn tatsächlich seien Kurden dort "staatlichen Repressionen und gezielten Menschenrechtsverletzungen" ausgesetzt. Der Bericht sei Ausdruck der "deutschen und europäischen Flüchtlingsabwehrpolitik", so Pro Asyl.

Gerhard Klas


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